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"DFB hat den Draht zu den Fans verloren"

21. November 2017

Neue Spielzeiten, Videobeweis, Gastspiele der chinesischen U20 - der DFB sorgt seit Wochen für Unmut, der sich auf den Tribünen lautstark Luft macht. Nicht grundlos, erklärt Fan-Forscher Harald Lange im DW-Interview.

Harald Lange, Sportwissenschaftler Universität Würzburg
Bild: Imago/epd

DW: Hat der DFB den Draht zu den Fans verloren?

Professor Harald Lange: Schon lange. Das liegt daran, dass Fans traditionell nicht im Fokus der Aufmerksamkeit von Funktionären und Vereinsbossen liegen. Sie werden nicht in ihrer Leidenschaft, Emotionalität und wegen ihrer Beiträge zum Erhalt einer Fußballkultur wahrgenommen, sondern als zahlende Zuschauer, als Konsumenten, als Empfänger von Werbebotschaften.

Hat der DFB womöglich eine ganz andere Zielgruppe im Visier als die bisher übliche, die man aus den Kurven kennt?

Die haben das Thema Fans aus den Kurven ganz anders auf dem Schirm. Sie nehmen es tendenziell eher als etwas Störendes wahr, wenn dort protestiert, über die Stränge geschlagen oder für eine Stimmung gesorgt wird, die mit dem eigenen ästhetischen Empfinden nicht in Einklang zu bringen ist. Das Besondere eines Fußballspiels, das durch Fans erzeugt wird, nehmen sie einfach hin und sind der Auffassung: Wenn die aus dem Stadion wegbleiben, die jetzt für Stimmung sorgen, werden halt andere nachkommen. Aber das wird in Zukunft so nicht funktionieren.

Es gab vor zwei Wochen ein Treffen von DFB-Chef Reinhard Grindel mit Vertretern von Ultras und anderer Fangruppen. Der DFB teilte hinterher mit, es sei offen und kontrovers diskutiert worden. Von den Fans war nichts zu hören. Ist das symptomatisch?

Ja, die Fans sind überaus misstrauisch. Auf der einen Seite fällt vor allem Herr Grindel in letzter Zeit dadurch auf, dass er Zugeständnisse macht und scheinbar auf die Fans zugeht, etwa indem er Kollektivstrafen aussetzt. Von Fanseite kann man das aber noch nicht so recht einordnen. Man weiß nicht: Machen die das, um die an den ersten Spieltagen in den Stadien zu beobachtende Kritik am DFB einzudämmen und zu besänftigen? Oder steckt ein ernst gemeintes Interesse dahinter, das auf einer Idee von Fankultur aufbaut, die mit den Fans geteilt wird?

Anti-DFB-Banner im Stadion in MönchengladbachBild: Getty Images/Bongarts/C. Koepsel

Die Liste der Beschwerden ist lang. So beklagen die Fans zum Beispiel die Zerfledderung der Spielzeiten, immer höhere Ticketpreise. Ist es da nicht verständlich, dass die Fans skeptisch sind?

Auf jeden Fall. Dahinter steht die Frage: Was genau macht unsere Fußball-Fankultur aus? Und vor allem, wem gehört dieser Fußball? Dieser Besitzanspruch wird von allen Akteuren erhoben. Fakt ist, ohne Fans würde es den Fußball, so wie wir ihn jetzt erleben, nicht geben. Dann könnte man damit keinen einzigen Euro verdienen, weil keine Werbepartner mehr auftauchen würden, die über das Medium Fußball ihre Botschaften loswerden können. Dieses Faktum wird seitens des DFB nicht ernst genommen. Da glaubt man, man könnte es mit einem Eventpublikum kompensieren, das heute zum Fußball, morgen zum Handball und übermorgen in die Oper geht.

Man kann es seit Jahren bei den Spielen der Nationalmannschaft beobachten. Dort herrscht eine inszenierte Theaterstimmung, wo DFB-Animateure vom Platz aus versuchen, die Stimmung anzuheizen. Aber immer wenn es eng wird, werden die Fans der deutschen Mannschaft von den Anhängern der gegnerischen Teams in Grund und Boden gesungen - weil über den "Fanclub Nationalmannschaft" ein ausgeklügeltes Kommerzsystem regiert, das regelt, wer und wie er ins Stadion kommt. Das ist keine gewachsene Fankultur mehr.

Chinas U20 am vergangenen Samstag in MainzBild: picture-alliance/dpa/H. Bratic

Stichwort Kommerz. Die Fans haben sich auch über die Gastauftritte der chinesischen U20-Nationalmannschaft bei Teams der Regionalliga Südwest aufgeregt. Ein Treffen zwischen Fans und DFB wurde abgesagt, weil laut Fans der DFB nicht wollte, dass Journalisten daran teilhaben. Zeigt das nicht auch eine Kluft zwischen beiden Seiten, die kaum noch zu schließen ist?

Die Kluft ist so groß, weil die grundsätzlichen Positionen so weit auseinanderliegen und weil auch nicht dazwischen vermittelt wird. Stattdessen grenzt man sich ab. Journalismus wäre ein wunderbares Mittel, um zu vermitteln: Wie tickt denn der Fan? Weshalb ist die Fankultur so gewachsen, wie sie ist? Weshalb unterscheidet sie sich von der in Spanien, Italien oder England? Grobe Linien sind bekannt auf Seiten des DFB, aber ein grundlegendes Verständnis ist nicht vorhanden. Deshalb führt man Grabenkämpfe, igelt sich immer weiter ein und verpasst Chancen, aufeinander zuzugehen.

Was sagt der Videoassistent?Bild: picture alliance/dpa/T. Frey

Ein weiteres Aufreger-Thema der letzten Wochen war der Videobeweis. Es ist für den Fan intransparent, wie da entschieden wird. Kann das zu einer weiteren Entfremdung zwischen DFB und Fans führen?

Aus meiner Sicht hat dieses System bisher versagt und dazu geführt, das Fußballgeschehen komplizierter und undurchsichtiger zu machen. Man kann nicht sagen, dass nun Fans gegen Funktionäre ausgespielt werden. Aber es trägt sicher nicht dazu bei, den vermeintlich wahren Kern des Fußballs in Szene zu setzen. Da wird Technik von außen hereingespielt, und man weiß erst ein paar Minuten hinterher: War es ein Foul oder keines? Zählt das Tor oder nicht? Das ist Gift für die Atmosphäre im Fußball, die traditionellerweise aus der Spontanität sofort und unverrückbar entsteht. Das heißt, auch eine vermeintliche Fehlentscheidung führt dazu, dass so viel Stimmung und Emotionalität im Spiel ist. Das wird jetzt ein Stück weit herausgenommen.

Glauben Sie denn, dass der traditionelle Fußball im Sterben liegt?

(lacht) Das klingt zu heftig. Was man aber sagen kann, ist, dass der Fußball seit Jahren in einem zum Teil sehr rasanten Wandel begriffen ist. Je nach Standpunkt kann man entweder von Verlusten sprechen oder von Gewinnen. Aus der Sicht eines Wirtschaftswissenschaftler würde ich sagen: Wir haben aus dem Fußball ein wunderbares Geschäft gemacht, viele Menschen verdienen damit richtig viel Geld. Wenn man es hingegen aus der Sicht der Fans betrachtet, die traditionell an den Verein, die Stadt, die Region gebunden sind, ist es ein großer Verlust, dass quasi mit ihrer Identität, ihrer Emotionalität, ihrer Hingabe andernorts Geld verdient wird. Sie fühlen sich massiv verraten. Das ist der Nährboden erst für Protest, aber dann auch für handfeste Konflikte.

Professor Harald Lange (Jahrgang 1968) hat seit 2009 den Lehrstuhl für Sportwissenschaft an der Universität Würzburg inne. Dort gründete der bekennende Fußballfan Anfang 2012 das bundesweit erste Institut für Fankultur.

Das Interview führte Stefan Nestler.

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