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Politik

Ägäische Inseln im Flüchtlingsstrom

Joanna Kakissis (Adaption: Jan D. Walter)14. Mai 2015

Zehntausende Migranten haben in den vergangenen vier Monaten Griechenland erreicht. Mit Schlauchbooten kommen sie von der türkischen Küste auf die Inseln der östlichen Ägäis. Von Leros berichtet Joanna Kakissis.

Flüchtlinge auf der griechischen Insel Leros (Foto: DW/J. Kakissis)
Bild: DW/J. Kakissis

Fast jeden Morgen steht Panos Rozakis vor der kleinen Polizeistation an der Strandpromenade der griechischen Insel Leros. Er verteilt Kleidung, Kekse, Wasser in Flaschen und Säuglingsmilch.

"Braucht sie auch Socken?" fragt er eine junge Afghanin, die ihre kleine Tochter auf dem Arm hält. Die Frau nickt. Fawzia heiße sie und komme aus Kabul, sagt sie. Sie ist müde und dehydriert, ihre Kleidung ist feucht.

"Menschen wie diese junge Frau wissen überhaupt nicht, wohin", erzählt Rozakis. "Sie fragen mich, wo sie sind, was sie als nächstes tun sollen, wo sie ihre Kleidung trocknen können."

Erst an diesem Morgen, sagt Fawzia, sei sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in einem Schlauchboot auf die Insel gekommen. Menschenschmuggler hätten sie aus der Türkei hierhergebracht.

Nahe Küste Europas

Die Zahl der Migranten, die mit dem Boot aus der Türkei nach Griechenland kommen, ist dramatisch gestiegen. Die Internationale Organisation für Migration beziffert sie mit 22.000 - in den ersten vier Monaten des Jahres. Im gesamten Jahr 2014 seien es 34.000 Menschen gewesen. In Italien sind seit Anfang des Jahres 26.000 Migranten angekommen.

"Es sind einfach zu viele. Polizei und Hafenpolizei sind der Menge an Menschen nicht gewachsen", sagt Rozakis. Er ist Lehrer und arbeitet in seiner freien Zeit in dem lokalen Solidaritätsnetzwerk, das die Behörden von Leros dabei unterstützt, die Rekordzahlen von Flüchtlingen und armen Migranten zu bewältigen.

Leros gehört wie die größeren Inseln Kos und Lesbos zu den wichtigsten Ankunftspunkten. Sie alle liegen im äußersten Osten der Ägäis - die Küste Kleinasiens in Sichtweite. Die Gemeinden dort suchen händeringend nach Möglichkeiten, die Migranten unterzubringen, bis sie samt Fingerabdrücken registriert sind. Denn erst dann erhalten sie Papiere, mit denen sie den Ankunftsort verlassen und bis zu sechs Monaten in Griechenland bleiben dürfen.

"Es gibt viele Geschichten wie meine"

"Inmitten der Schuldenkrise verfügt Griechenland nicht über die Mittel, den Migranten zu helfen", sagt die pensionierte Richterin Matina Katsivelli, die das Solidaritätsnetzwerk von Leros leitet: "Seit 2010 wurden viele Leistungen für griechische Bürger gekürzt, die Flüchtlingshilfen wurden erst recht zusammengestrichen. Und auch als klar war, dass eine Flüchtlingswelle aus Syrien auf uns zukommen würde, wurden sie nicht wieder aufgestockt."

Panos Rozakis hilft im lokalen Solidaritätsnetzwerk und kümmert sich um FlüchtlingeBild: DW/J. Kakissis

Auch die 40-jährige Latifah Abouras ist vor dem Krieg in ihrer syrischen Heimatstadt Daraa geflohen. Mit ihren drei Kindern sitzt sie nun auf dem staubigen Grundstück nahe der Polizeistation und wartet auf ihre Registrierung. Inmitten einer Menge anderer Neunankömmlinge füttert sie ihren zweijährigen Sohn Adam mit einer kleinen Portion Spaghetti in Tomatensoße. Sechs Euro zahlt der griechische Staat den Inselgemeinden für jede Mahlzeit, die ihre Mitarbeiter für Flüchtlinge zubereiten.

"Alle sind so freundlich hier", sagt Abouras, "aber es sind so viele Menschen, die auf Papiere warten. Du erzählst deine Geschichte, dass du einen Krieg durchlebt hast, dass du zwei Jahre lang von Ort zu Ort gezogen bist, aber es gibt hier so viele Geschichten wie meine. Die Griechen scheinen helfen zu wollen, aber sie haben einfach nicht genug Geld, um uns allen zu helfen."

Auch auf Leros war eines der größten Probleme, eine Unterkunft für die Migranten zu finden, in der sie zwei bis drei Tage lang unterkommen, bis sie amtlich erfasst sind. Lange Zeit übernachteten die Migranten in den Zellen der Polizeistation, in Lagerräumen und Gängen im Büro der Küstenwache oder auf der Krankenstation eines Altenheims. Deshalb beschafften Katsivelli und ihr Solidaritätsnetzwerk rund 40.000 Euro Regierungsgelder, um ein verlassenes Gebäude des staatlichen Krankenhauses zu renovieren, in dem früher psychisch kranke Patienten untergebracht wurden.

Der Gemeinderat stimmte gegen die Nutzung des Gebäudes. Bürgermeister Michalis Kolias sagt, er würde ein Aufnahmezentrum abseits der Dörfer bevorzugen, weil die Bewohner Angst vor der Übertragung von Krankheiten hätten. Zumal die Flüchtlinge nach ihrer Ankunft gar nicht richtig untersucht würden. "Wir haben ja nicht einmal genug Ärzte für uns selbst auf der Insel", so der Bürgermeister.

Doch am Ende überstimmte die Regierung in Athen den Gemeinderat. Seit März ist das Gebäude fertig. Seine sechs Räume sind für 40 Personen ausgelegt, doch häufig sind mehr Menschen in ihnen untergebracht.

"Versenkt euer Boot!"

Das Solidaritätsnetzwerk von Leros verwaltet die Abläufe in der neuen Flüchtlingsherberge, die nach der griechischen Göttin der Jagd "Villa Artemis" heißt - die traditionelle Schutzpatronin der Insel Leros.

Als Wache ist immer ein Beamter der Küstenwache abgestellt. "Wir sind sehr froh, dass das Haus endlich eröffnet ist", sagt Sakellarios Biliris, Hafenmeister der Küstenwache. "Wir waren von den vielen Menschen vollkommen überfordert. Aber wir brauchen noch mehr Platz, denn - wie es aussieht - werden immer mehr kommen." Die meisten Migranten, sagt Biliris, kämen aus Syrien, aber es seien auch Menschen aus ganz anderen Regionen darunter, zum Beispiel aus der Dominikanischen Republik und Haiti.

Früher, sagt der Hafenmeister, hätten sie häufig Menschenschmuggler an Bord der Boote gefunden. Aber inzwischen schicken sie die Migranten meist allein über das Meer. 1000 Euro zahlen die allein für die kurze Überfahrt in einem Schlauchboot. "Die Schmuggler sagen den Migranten, sie sollen das Boot aufschlitzen, sobald sie ein Schiff der griechischen Küstenwache sehen, damit wir keine andere Wahl haben, als sie aufzunehmen", sagt Biliris. "Dann dauert es sechs, sieben, vielleicht acht Minuten, bis so ein Boot gesunken ist. Wir müssen die Menschen also blitzschnell an Bord holen, um niemanden zu verlieren."

Keine Zukunft in Griechenland

Lange bleiben die Migranten in der Regel nicht auf den Inseln. Sobald sie registriert sind, machen sie sich auf den Weg nach Athen. An einem Nachmittag drängen sich rund 50 Syrer in ein kleines Reisebüro, um Fahrkarten für die Fähre zu kaufen. Unter ihnen ist auch Latifah Abouras, die mit ihren drei Kindern nach Deutschland weiterziehen will.

Latifah Abouras aus Syrien beeindruckt die Hilfsbereitschaft der MenschenBild: DW/J. Kakissis

"Ich weiß, dass es in Griechenland keine Arbeit gibt", sagt sie, während sie wartet. "Meine Freunde aus Syrien leben schon in Deutschland und sie sagen, das Land hat Geld und ich kann dort Arbeit finden." Eine Stunde später verlässt sie die Insel - den Blick voller Hoffnung.

"Sie wissen kaum etwas darüber, wie sie Griechenland verlassen können", seufzt der freiwillige Helfer Rozakis, als er Abouras' Geschichte hört. "Fast alle Wege sind illegal, die meisten sind teuer und manche sogar gefährlich." In Athen versuchen die Migranten, mit gefälschten Papieren Flugzeuge nach Deutschland oder Schweden zu besteigen. Manche verstecken sich in einem LKW, um als blinder Passagier auf einer Fähre nach Italien zu gelangen. Und einige versuchen es zu Fuß und marschieren über den Balkan Richtung Österreich.

"Europa kann seine Probleme nicht unter den Teppich kehren", sagt Rozakis. "Es muss sich der Realität stellen: Kriegsflüchtlinge und verfolgte Menschen kommen hierher - koste es, was es wolle."

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