Ägypten: "Manche Dinge können nicht gesagt werden"
6. November 2022Es gebe keinen Raum für Verzögerungen bei der Bekämpfung des Klimawandels, so Samih Shoukry, der designierte Präsident der 27. Weltklimakonferenz im ägyptischen Scharm el Scheich, in einer Pressemitteilung. Hauptberuflich ist Shoukry Ägyptens Außenminister. Seine Mahnung an die Weltgemeinschaft, endlich entschiedener zu handeln, um in der Klimakrise "Leben und Lebensgrundlagen zu retten", dürfte sein eigenes Land einschließen.
Laut des "Emissions Gap Report" des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) steuert die Welt derzeit auf eine Erderwärmung von 2,8 Grad bis zum Ende des Jahrhunderts zu.
Gastgeberland legt "enttäuschende" Emissionsziele vor
Die Emissionsziele Ägyptens seien "enttäuschend", findet Mia Moisio, Ägypten-Expertin beim Climate Action Tracker, einem Konsortium verschiedener Nichtregierungsorganisationen, die sich auf die Analyse von Emissionszielen spezialisiert haben.
Wie im vergangenen Jahr bei der Konferenz in Glasgow vereinbart, sollten dieses Jahr alle Länder überarbeitete und verbesserte Klimaziele vorlegen. Zwar hat Ägypten seine neuen nationalen Klimaziele (NDCs) als eines der ersten Länder eingereicht, doch das heißt nicht viel.
Weder will das Land irgendwann auf Netto-Null Emissionen kommen, noch findet sich in den Zielen die Absicht, den Ausstoß von klimaschädlichen Treibhausgasen im Vergleich zu heute überhaupt zu reduzieren. Im Gegenteil: "Wir sehen, dass die neuen NDCs zu höheren Emissionen führen werden. Es führt zu keinerlei Einsparungen. Es ist sehr enttäuschend, dass der Gastgeber der Klimakonferenz solch schwache Ziele präsentiert", so Moisio im DW-Interview.
Zwar trägt Ägypten gerade einmal 0,6 Prozent zu den jährlichen weltweiten Treibhausgasemissionen bei, während China, die USA und die EU gemeinsam für über die Hälfte verantwortlich sind. Doch das Land ist der zweitgrößte Gasproduzent in Afrika und verantwortlich für rund ein Drittel des gesamten Verbrauchs auf dem Kontinent.
Die Öl- und Gasförderung soll in den nächsten Jahren massiv ausgebaut werden, für den eigenen Verbrauch und den Export, unter anderen in die EU.
Doch Emissionen und Anpassung sind nur ein Teil des Bildes. Ägypten steht auch wegen anhaltender Unterdrückung und massenhafter Inhaftierung von Mitgliedern der Zivilgesellschaft und Menschrechtsverletzungen in der Kritik.
Eine Militärregierung empfängt die Welt zu Klimagesprächen
Wer die Regierung kritisiere, müsse mit Einschüchterung oder Nachteilen im Berufsleben rechnen. Dazu kämen bürokratische Hürden oder man komme gleich ins Gefängnis, sagte eine Person aus der ägyptischen Aktivistenszene im DW-Interview. Aus Sicherheitsgründen möchte sie nicht namentlich genannt werden. "Es sind schon Leute für einen Facebook-Post ins Gefängnis gekommen", so die Person weiter. "Manche Dinge können einfach nicht gesagt werden."
2013 hatte sich Präsident Abdel Fattah al-Sisi an die Macht geputscht, seit 2014 führt er das Land mit harter Hand. Öffentliche Diskussionen und Kritik sei nur für ausgewählte Themen erlaubt, so der Aktivist.
"Die Regierung schmückt sich mit Themen wie Recycling und versucht, so an der Oberfläche etwas für die Nachhaltigkeit zu tun. In diesen Bereichen kann auch eine Diskussion stattfinden. Aber die systemische Frage, die Frage, warum wir so ineffizient sind oder Kritik am Ausbau fossiler Brennstoffe, darf nicht gestellt werden." Dasselbe gelte für den Bausektor oder der Tourismusindustrie, beides wichtige Wirtschaftszweige.
Menschenrechte und Klimagerechtigkeit seien unausweichlich miteinander verknüpft, so Richard Pearshouse von Human Rights Watch (HRW). "Die internationale Gemeinschaft steht vor dem Dilemma, dass wir uns in der globalen Klimapolitik engagieren müssen - und das in einem Land, in dem die Zivilgesellschaft massiv unterdrückt wird." Die Nichtregierungsorganisation hatte bereits im Vorfeld der COP27 auf die zahlreichen Oppositionellen und Aktivisten in Ägyptens Gefängnissen aufmerksam gemacht.
Während der Konferenz sollen laut COP-Präsident Shoukry in Scharm el Scheich auch Klima-Proteste stattfinden können, ebenso wie bei bisherigen Klimakonferenzen. Medienberichten zufolge wird aber gleichzeitig in Kairo mit Protesten gegen die Politik al-Sisis gerechnet. In den sozialen Medien gibt es bereits Berichte zu willkürlichen Straßenkontrollen und Absperrungen.
Hochrisikogebiet der Klimakrise am Nildelta
Ägypten hat gute Gründe, alles zu tun, um die Anpassung an die Klimakrise und das Tempo bei der Begrenzung der Erderhitzung zu beschleunigen. 95 Prozent der über 100 Millionen Ägypter leben im Nildelta, das stark von den Einflüssen des Klimawandels bedroht ist.
Schon heute regnet es in Ägypten insgesamt weniger als früher. Hinzu kommen weiter steigenden Temperaturen und wachsende Wasserknappheit. Gleichzeitig werden aber auch Starkregen und Hochwasser häufiger und heftiger.
Große Teile des Nildeltas sind Flachland und liegen gerade mal zwei Meter über dem Meeresspiegel. Steigt dieser wie erwartet, werden nicht nur Häuser, öffentliche Infrastruktur, wie Straßen und die Stromversorgung weggespült, sondern auch Ackerland. Gleichzeitig geht immer mehr fruchtbare Erde durch Versalzung und Erosion verloren. Salzwasser dringt in die Nil-Nebenarme ein, und aus bisherigen Süßwasserseen werden Lagunen. Das ist dramatisch, denn 80 Prozent der gesamten landwirtschaftlich nutzbaren Fläche Ägyptens liegt im Nildelta. Dort werden deshalb schon 2030 mindestens ein Drittel weniger Lebensmittel angebaut werden können.
Zwar gebe es einzelne Initiativen, diese Entwicklung aufzuhalten. Ahmed El Droubi von Greenpeace Mittlerer Osten und Nord Afrika sagt jedoch, es fehle die Strategie, diese in größerem Umfang effizient und landesweit umzusetzen. "Das Bewusstsein ist in vielen Regierungsstellen noch sehr schwach ausgeprägt. Daher wird dem Thema nicht überall Priorität eingeräumt."
Trotz des enormen Potenzials für Sonnen- und Windenergie in Ägypten machen Erneuerbare Energien derzeit nur ein Zehntel der Stromversorgung des Landes aus. Immerhin hier soll der Anteil bis 2035 auf 42 Prozent steigen. Alle Ambitionen gelten aber nur unter der Bedingung, dass reiche Länder substantiell bei der Finanzierung helfen.
Bei der Weltklimakonferenz will sich Ägypten vor allem für dringend benötigte finanziellen Hilfen von reichen Industriestaaten einsetzen. Nur so könnten viele arme und gefährdeten Staaten rasch ihre Emissionen reduzieren und Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel ergreifen. "Wir werden alle unsere diplomatischen Fähigkeiten einbringen, um eine Einigung mit dem Fokus Verluste und Schäden voranzutreiben. Wie dies dann aussieht hängt von den Ländern ab", so Mohamed Nasr, Direktor für Umwelt und nachhaltige Entwicklung im ägyptischen Außenministerium.