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Politik

Ägypten: Mit Tweets gegen den Präsidenten

31. Juli 2018

Seit Wochen kritisieren viele Ägypter per Twitter Präsident al-Sisi. Sie wenden sich gegen ökonomische und politische Missstände. Nun äußern sich al-Sisis Anhänger. Al-Sisi selbst bittet die Bürger vor allem um Geduld.

Ägyptens Präsident al-Sisi für zweite Amtszeit vereidigt
Bild: picture-alliance/Xinhua/MENA

Verärgert sei er, erklärte der ägyptische Präsident. Es sei doch so: Seine Gegner hätten das Land in die Armut gestürzt und in eine Nation des Mangels verwandelt. "Aber wenn ich dann dafür zu arbeiten beginne, dass wir da rauskommen, finde ich den Hashtag 'Sisi - hau ab'. Hätte ich verärgert sein sollen oder nicht? Ich bin verärgert. Ich bin verärgert."

Deutlich missmutig gab sich Abdel Fattah al-Sisi am Sonntag während einer Rede vor jungen Ägyptern in Kairo. Wäre es nötig, sei er bereit, es seinen jungen Landsleuten gleichzutun und die Straßen zu fegen, erklärte er. Und würde es den Ägyptern helfen, stark und wohlhabend zu werden, würde er sich mit nur einer Mahlzeit am Tag zufrieden geben - die Antwort des Präsidenten auf einen gegen ihn und seine Regierung gerichteten Hashtag, der seit Wochen in Ägypten die Runde macht. "Irhal, ya Sisi" heißt er: "Sisi - hau ab".

Kritik an hohen Lebenskosten

Die harsche Kritik ist die Reaktion auf die ökonomische Politik der Sparsamkeit, zu der sich Ägypten im Gegenzug für einen im Herbst 2016 gewährten, zwölf Milliarden US-Dollar starken Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF) verpflichtet hatte.

Die Folgen dieser Politik bekommen die Ägypter in Form erhöhter Preise für grundlegende Konsumgüter zu spüren. So hatte die Regierung im Juni dieses Jahres die Strom-Subventionen gekürzt. Daraufhin erhöhten sich die Kosten für die Ägypter um ein gutes Viertel.

Billigware: Auf Märkten wie diesen kaufen immer mehr Ägypter Waren des täglichen BedarfsBild: Abdelrahman Mohamed

Die Preise für Trinkwasser stiegen um die Hälfte. Nach mehreren Teuerungsrunden zog auch der Preis für Benzin noch einmal an. Und der Preis für Fahrten mit der Kairoer Metro verdreifachten sich nahezu.

Schon bislang hatten viele Ägypter bis weit in die Mittelschicht hinein immer größere Problem, ihr Leben zu finanzieren. Viele Familien können sich die Mieten im Großraum Kairo nicht mehr leisten. Laut der deutschen "Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit" (GIZ) sind rund 80 Prozent des neueren Wohnungsbestandes im "informellen Sektor" entstanden. Von den 18 bis 20 Millionen Einwohner des Großraums Kairo leben über neun Millionen in diesen illegalen Siedlungen.

Gegen die Verschärfung der ohnehin schon schwierigen Lebensbedingungen erhob sich in den sozialen Netzwerken Protest. Die Regierung verfolge einen harten Sparkurs, außerdem habe das Militär politischen Einfluss, heißt es in dem Tweet unter "VivaRevolt":

Ein umstrittenes Mediengesetz

Doch der Protest beschränkte sich nicht auf ökonomische Aspekte. Viele Internetnutzer wenden sich auch gegen die aus ihrer Sicht fortschreitende Beschneidung der staatsbürgerlichen Rechte. Die betrifft ganz wesentlich auch die Redefreiheit im Internet.

Mitte Juli hatte das ägyptische Parlament dem neuen Presse- und Mediengesetz zugestimmt. Dieses verpflichtet jede Internetseite und jedes Blog mit über 5000 Lesern, keine "Falschnachrichten" zu veröffentlichen oder zu verbreiten, die zu Hass, Gewalt, Fanatismus oder Rassismus aufrufen oder die Religion beschimpfen.

Unterstützung für den Regierungskurs: Ein Plakat im Süden KairosBild: Getty Images/AFP/K. Desouki

Auf dieser Grundlage könnte die zuständige Medienbehörde entsprechende Seiten und Blogs im Netz künftig sperren. Zuvor muss die Vorlage allerdings noch von Präsident al-Sisi unterzeichnet werden.

Doch schon jetzt haben zahlreiche Menschenrechtsgruppen das Gesetz scharf kritisiert. So warnte Najia Bounaim, Leiterin der Regionalgruppe Nord-Afrika bei Amnesty International, das Gesetz "würde die bereits jetzt sehr weitreichenden Kompetenzen der ägyptischen Regierung zur Überwachung, Zensur und Sperrung der soziale Medien nochmals erweitern. Außerdem würde es Inhalte kriminalisieren, die gegen vage formulierte politische, soziale oder religiöse Normen verstoßen." Ägypten habe bereits 500 Websites blockiert. Dazu gehörten solche unabhängiger Medien ebenso wie die von Menschenrechtsaktivisten.

Massenverurteilung: 75 Anhänger der Muslimbrüderschaft wurden zum Tode verurteiltBild: Reuters/A. A. Dalsh

Auch andere Nachrichten wühlen die Menschen auf. So verurteilte ein Gericht Anfang dieser Woche 75 mutmaßliche Islamisten zum Tode.

Der Nutzer Mohamed Soltan kritisiert in seinem Tweet den harten Umgang der Regierung mit der Opposition. Die sozialen Medien seien der einzige Raum, in dem die Ägypter sich halbwegs sicher ausdrücken könnten:

Bereits jetzt bieten die Gesetze den Behörden weitreichende Handhabe gegen missliebige Stimmen - auch aus dem Ausland. Einem Bericht der britischen BBC zufolge wurde im Juni eine Libanesin zu acht Jahren Haft verurteilt worden. Ihr Anwalt berichtet, sie sei von Taxifahrern sexuell belästigt worden. Darauf haben sie ein Video bei Facebook gepostet, in dem sie erklärte, "die Ägypter verdienen, was er (al-Sisi, Anm. d. Red.) ihnen antut."

Viele der Twitter-User richteten sich auch gegen den aus ihrer Sicht fragwürdigen Umgang mit Bürgerrechten. Es gebe weder Freiheit, noch Gerechtigkeit, noch Bildung, kritisiert der Nutzer Ahmed Zayed.

"Al-Sisi, mein Präsident"

Allerdings kann al-Sisi auch auf eine große Unterstützer-Szene rechnen. "Al-Sisi ist mein Präsident, und ich bin stolz darauf", lautet der Hashtag, mit dem seine Anhänger den Präsidenten unterstützen. Andere preisen ihn als Schöpfer oder Konstrukteur des künftigen Ägypten. "Es lebe Ägypten, es lebe al-Sisi, wir werden unser Land neu aufbauen und wieder herrichten": ein arabischer Tweet eines Anhängers von Präsident Al-Sisi.

Al-Sisi verspricht den Ägyptern derweil eine bessere Zukunft. Im Sommer des Jahres 2020 hätte das Land einen Überschuss an Erdgas. Ganz Ägypten wäre bis dahin von einem Straßennetz durchzogen. Zudem werde die erste Bauphase von rund einem Dutzend neuer Städte vollendet sein. Und auch das Eisenbahnnetz des Landes sei bis dahin erneuert.

Tatsächlich gibt es Anzeichen, die auf eine positive Zukunft hindeuten, so etwa ein Ende Juli eröffneter Windpark. Auf einer Fläche von über 50 Quadratkilometern arbeiten 290 Turbinen, die insgesamt 580 Megawatt liefern. Damit liefern sie ein bis zwei Prozent des gesamten ägyptischen Energieverbrauchs.

Projekte dieser Art weisen den Weg hin zu einer energiepolitischen Unabhängigkeit. Doch es dürfte Zeit brauchen, bis die in Form geringerer Kosten bei den Bürgern ankommt. Ihre Geduld, lassen viele Ägypter ihren Präsidenten wissen, hat Grenzen. Das gilt für die ökonomischen, vor allem aber die politischen Engpässe, die al-Sisi seinen Landsleuten zumutet.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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