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Politik

Muslime und Christen vereint gegen Terror

10. April 2017

Nach den Terroranschlägen gegen koptische Kirchen haben viele Muslime den Christen ihre Solidarität erklärt. Einige spendeten Blut, andere verurteilten den Terror. Gemeinsam wenden sie sich gegen religiösen Hass.

Ägypten Begräbnis einer Polizistin in Kairo
Bild: Getty Images/AFP

Verteilt auf kleine Gruppen sitzen sie in der Manshawi-Moschee in Tanta und beweisen praktische Solidarität. Die einen strecken den Arm aus, um ihr Blut zu spenden, andere bilden eine Warteschlange, um ihren koptischen Mitbürgern auf diese Weise dann ebenfalls helfen zu können. Bilder wie diese ziehen in den ägyptischen Netzwerken ihre Runden - und trösten viele derer, die sie angesichts des Schreckens betrachten. Kaum hatten dschihadistische Terroristen zum Gottesdienst versammelte koptische Gemeinden in Tanta und Alexandria angegriffen und mindestens 44 Menschen mit in den Tod gerissen, riefen ägyptische Muslime zum Blutspenden auf, um ihren Landsleuten zu helfen.

"In der Stunde der Not stehen die Ägypter zusammen", schrieb etwa Abdelfatah Hashem, ein junger Ägypter, der dieser Fotos auf Facebook geteilt hatte. "Der Terror hat keine  Religion", schrieb er weiter, um dann noch einmal zu versichern, dass alle Ägypter eines seien. Und die junge Ägypterin Aya Zain fordert dazu auf, Blut zu spenden.

Bekundungen wie diese, im Netz vielfach zu finden, sind derzeit ein bevorzugtes Mittel, mit dem die Ägypter - Muslime und Kopten gleichermaßen - ihren Widerstand gegen den Dschihadismus bekunden. Einmal mehr haben sie zur Kenntnis genommen, dass Dschihadisten zwischen Muslimen und Kopten keinen Unterschied machen - schließlich hatte sich der Attentäter von Alexandria vor der Kirche in die Luft gesprengt. So zeigte er, dass er nicht davor zurückschreckte, auch Muslime mit in den Tod zu reißen.

Interreligiöse Solidarität. Muslime beim Blutspenden in einer Moschee in TantraBild: facebook.com/abdelfatah.abdelhady

Gemeinsam gegen Terror

Einschüchtern ließen sie sich auch von der Heimtücke der Anschläge nicht. Zu Tausenden versammelten sich Angehörige beider Konfessionen in Tanta vor der angegriffenen Kirche, um ihre Einheit zu demonstrieren. "Muslime und Christen unterstützen sich gegenseitig", skandierten sie. "Wir wissen, dass diese furchtbaren Taten vor allem darauf zielen, Chaos zu verbreiten und alle Versuche, unsere Gesellschaft zu modernisieren, ins Leere laufen zu lassen", zitiert die staatliche Zeitung Al-Ahram einen der Umstehenden. "Aber das werden die Terroristen nicht schaffen. Wir Ägypter stehen zusammen und setzen uns gemeinsam für das Wohl der Nation ein", versichert er.

Auch in Alexandria fanden Kopten und Muslime zusammen. "Der Terrorismus richtet sich gegen Gott" riefen sie. Kopten und Muslime seien durch gemeinsame Lebensumstände miteinander verbunden", sagt der Soziologe Ammar Ali Hassan im Gespräch mit der DW. Beide teilten eine gemeinsame Kultur. Das wolle man gerade in diesen Tagen demonstrieren.

Schwer gesichert: die Kirche von Tanta nach dem AnschlagBild: Reuters/M. Abd El Ghany

"Es fehlen die Worte"

Auch bände sie das Bewusstsein zusammen, dass die Terroristen es darauf abgesehen hätten, beide Gruppen gegeneinander auszuspielen. Die Dschihadisten hätten beiden Gruppen einen Schlag versetzt, sind sich die Demonstranten einig. "Es fehlen die Worte, Trauer und Ohnmacht auszudrücken", heißt es im Tweet von Mona Zaki.

Die Demonstrationen an den Orten der Anschläge wie auch die zahlreichen Solidaritätsbekundungen in den sozialen Netzwerken greifen jene Impulse auf, die sich sehr deutlich bereits im Revolutionsjahr 2011 gezeigt hatten. Damals waren Muslime und Kopten gemeinsam auf den Tahrir-Platz geströmt, um für Menschenrechte und Demokratie zu protestieren. Zwar waren die Kopten zurückhaltender als die Muslime. Aber ihre Präsenz wurde doch registriert.

Den Konfessionalismus überwinden

In ihrer Nachfolge stemmen sich nun auch die Demonstranten in Tanta und Alexandria gegen eine konfessionelle Identitätspolitik, die in Ägypten eine lange Tradition hat. Hassan Banna, der Gründer der Muslimbrüder, war in den 1920er Jahren einer der ersten, die sich im Namen der Religion gegen die Übermacht der damaligen britischen Kolonialmacht wandte. Er empfahl, dieser den "teuren, edlen Islam" entgegenzusetzen. Der politische Islam war geboren.

Dieser blieb lange Zeit zwar die Sache einer Minderheit. Aber die Vorstellung von der islamischen Identität Ägyptens setzte sich Schritt für Schritt fest. "Ich bin der muslimische Präsident eines islamischen Staates", erklärte der damalige Präsident Anwar al-Sadat im Jahr 1980. Zwar setzte er sich auch für die Christen ein – begründete dies aber mit der Schutzpflicht, die Muslime den Christen schuldeten. Damit, beobachtet die Philosophin Laure Guirguis in ihrer Studie über die Situation der Kopten im gegenwärtigen Ägypten ("Copts and the Security State"), habe Sadat die juristische Situation der Christen nicht im Sinne moderner Staatszugehörigkeit, sondern eines nicht mehr zeitgemäßen Konfessionalismus beschrieben. "Der Islam", erklärte Sadat damals, "ist der wahre Garant des Christentums in Ägypten."

Konfessioneller Dialog: Ahmed al-Tayeb, der Scheich der Azhar-Universität, im Gespräch mit dem koptischen Papst Tawadros II. im Januar 2015Bild: picture-alliance/AP Photo/A. Nabil

Für gemeinsame Bürgerrechte

In denjenigen Schichten, in denen der Gedanke der Bürgerrechte kaum oder überhaupt nicht bekannt sei, so Guirguis, herrsche weiterhin die Logik des Konfessionalismus. In einigen salafistischen Kreisen habe sie sich zu einer den Christen gegenüber feindseligen Haltung entwickelt. "Der Islam verbietet es Muslimen, Ungläubigen zuzulächeln", erklärte 2011 etwa der Prediger Muhammad Hassan. Stimmen dieser Art gibt es heute weiterhin. Diese Tradition, schreibt Guirguis weiter, habe sich im Dschihadismus zu tödlicher Gewalt verdichtet.

Dieser Entwicklung treten Muslime und Christen nach dem Anschlägen von Tanta und Alexandra nun gemeinsam entgegen. Sie wenden sich auch gegen eine Tradition, die bislang verhindert hat, dass sich die Vorstellung von allgemeinen Bürgerrechten bis heute flächendeckend durchgesetzt hat. Um diese Vorstellung zu fördern und Attentate wie das vom Wochenende langfristig zu verhindern, müsse der Dschahadismus auf vielerlei Ebenen bekämpft werden, schreibt die Zeitung Masry al-youm. "Kurzfristig kommt es darauf an, die Sicherheitsmaßnahmen zu erhöhen. Das langfristige Problem ist aber die Art unserer Erziehung. Es wird so lange nichts gut, wie sich unsere Bildung und Erziehung nicht verändern."

 

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika