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PolitikÄgypten

Ägypten geht gegen Familien von Dissidenten vor

6. September 2023

Im Vorfeld der Wahlen setzt die Regierung in Kairo Angehörige von Aktivisten mit Verhaftungen unter Druck. Betroffen von den Menschenrechtsverletzungen sind auch im Ausland lebende Familienmitglieder bei der Einreise.

Ägypten Symbolbild Gefangene 2018
Hinter Gittern: Im Zuge der Proteste 2013 in Kairo wurden über 260 Menschen verhaftet. Das Bild zeigt Angeklagte bei einem Gerichtstermin im Januar 2018Bild: AA/picture alliance

Fagr Eladly ist im Hungerstreik. Zusammen mit ihrem Bruder ist die Deutsch-Ägypterin, eine Kritikerin des ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi, nach Kairo gereist, wo die beiden seit Donnerstag vergangener Woche (31.08.2023) die Nahrungsaufnahme verweigern.

Die Geschwister protestieren für die Freilassung ihres Vaters Alaa Eladly, der in den späten August-Tagen am Kairoer Flughafen verhaftet worden war. Auch dieser selbst soll inzwischen in den Hungerstreik getreten sein.

Die Familie vermutet hinter der Festnahme eine Vergeltungsaktion. "Es gab keine konkrete Anschuldigung und keinen offiziellen Grund", sagt Fagr Eladly gegenüber der DW. Sie sei überzeugt, dass ihre auf Ägypten bezogenen politischen Aktivitäten in Deutschland der einzige Grund für die Inhaftierung ihres Vaters in Ägypten seien. 

Offiziell wird Alaa Eladly die "Verbreitung von Falschnachrichten" und die Mitgliedschaft in einer verbotenen Vereinigung vorgeworfen. Unter solchen Anschuldigungen würden in Ägypten immer wieder Kritiker der Regierung inhaftiert, notiert die deutsche Nachrichtenagentur dpa ergänzend.

Fagr Eladly hatte 2015 Schlagzeilen gemacht, als sie den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi während einer gemeinsamen Pressekonferenz mit der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel als "Mörder" beschimpfte.

Am 28. August wurde die Untersuchungshaft für den laut ihren Angaben politisch inaktiven Vater, der seit 33 Jahren regelmäßig ohne Probleme nach Ägypten reist, auf 15 Tage festgesetzt.

"Beschämend und unethisch"

"Es ist beschämend und unethisch, Angehörige zu bestrafen", so Fagr Eladly gegenüber der DW. "Wenn man ein Problem hat, dann sollte man das Problem auch mit der betreffenden Person selbst lösen."

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes erklärte am Donnerstag vergangener Woche, die deutsche Botschaft in Kairo sei über den Fall informiert und stehe in engem Kontakt mit den Angehörigen von Herrn Eladly. Man habe den Fall bei den ägyptischen Behörden zur Sprache gebracht.

Anders als seine Kinder besitzt Alaa Eladly jedoch keinen deutschen Pass. Deshalb haben die deutschen Behörden nur begrenzte Handlungsmöglichkeiten.

"Die Verhaftung von Fagr Eladly hätte, wenn er deutscher Staatsangehöriger wäre, zu diplomatischen Schwierigkeiten mit Deutschland führen können. Doch er hat nur die ägyptische Staatsangehörigkeit", sagt Amr Magdi von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) gegenüber der DW.

Die ägyptische Regierung verhafte seit Jahren systematisch Familienmitglieder von im Ausland lebenden Dissidenten, um diese mundtot zu machen, so Magdi. Jetzt scheine sie noch stärker auf diese Strategie zu setzen, meint er.

In Sippenhaft? Der in Ägypten verhaftete Alaa Eladly, hier mit seiner Tochter Fagr Eladly, die zur Zeit in Kairo gegen die Inhaftierung ihres Vaters protestiert und auch in Deutschland als Kritikerin des ägyptischen Präsidenten agiertBild: Privat

Steigende Zahl von Festnahmen

Ebenfalls im August war der Ägypter Gamal Abdelhamid Ziada verhaftet und über die Arbeit seines in Belgien lebenden Sohnes verhört worden. Ahmed Gamal Ziada arbeitet von dort aus als Journalist und Menschenrechtler.

"Der zuständige Beamte behauptete, der Sohn von Herrn Ziada hetze gegen den Staat und bezeichnete ihn als 'flüchtigen Journalisten'", sagt Wadih Al-Asmar, Präsident von "EuromedRights", einer Dachorganisation von 68 Menschenrechtsorganisationen aus 30 Ländern, der DW.

"Wir beobachten eindeutig eine zunehmende Tendenz der ägyptischen Behörden, Familienangehörige von politisch umstrittenen ägyptischen Aktivisten, Journalisten und anderen Dissidenten im In- und Ausland zu schikanieren oder zu verhaften", fügt er hinzu.

"Die Verhaftung von Familienmitgliedern ist ein offensichtliches Druckmittel, um Dissidenten zum Schweigen zu bringen und Angst in der Diaspora zu verbreiten", sagt auch Stephan Roll von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).

Das Timing sei entscheidend, so Roll. Das Regime versuche, insbesondere im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen Anfang 2024 eine günstige Ausgangslage für eine 'Wiederwahl' von Präsident al-Sisi zu schaffen. "Protest oder gar Gegenkampagnen sollen im Keim erstickt werden," so Roll.

Zehntausende politische Gefangene

Menschenrechtsorganisationen gehen von rund 65.000 bis 70.000 politischen Gefangenen in Ägypten aus. "Im vergangenen Jahr wurden allein in Kairo rund 2.500 Dissidenten festgenommen und der Obersten Staatsanwaltschaft übergeben. Und das nur deshalb, weil sie ihre Menschenrechte wahrgenommen haben", sagt Marie Gorgis, Ägypten-Expertin bei Amnesty International, gegenüber DW.

Lange Zeit hatten die ägyptischen Behörden geleugnet, dass es politische Gefangene in ihrem Land gebe. "In den vergangenen Monaten ist hier jedoch ein Strategiewechsel der ägyptischen Führung erkennbar", meint SWP-Experte Stephan Roll.

Politische Gefangene würden "nicht mehr kategorisch geleugnet", sagt Roll. Vielmehr würde ihre Existenz nun für politische Zwecke genutzt. "Die Freilassung von Gefangenen, die wir in den letzten Monaten gesehen haben, ist auch als Signal ans westliche Ausland gedacht, dass sich die Situation bessere."

Nach Angaben ägyptischer Staatsmedien wurden seit der Wiedereinsetzung des sogenannten präsidentiellen Begnadigungskomitees im April letzten Jahres rund 1500 Gefangene begnadigt, unter ihnen auch einige prominente politische Gefangene wie der Aktivist Patrick Zaki, für dessen Freilassung sich insbesondere an seinem Studienort in in Italien viele Menschen eingesetzt hatten 

Allerdings wurden zugleich andere Personen neu verhaftet, vor einigen Tagen etwa der politische Aktivist Hisham Kassem -  auch er ein möglicher Kandidat bei den Präsidentschaftswahlen Anfang nächsten Jahres.

Vorzeitig aus der Haft entlassen: der ägyptische Aktivist Patrick ZakiBild: MOHAMED EL-RAAI/AFP/Getty Images

Rechtsstaatlichkeit gegen Geld?

Derweil appelliert Fagr Eladly an die deutschen Behörden, ihr zu helfen. Sie fordert, künftige Investitionen in Ägypten an Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechte zu knüpfen.

Diese Forderung sei keineswegs ohne Grund, sagt Stephan Roll. Ägypten habe immerhin mit einer zunehmenden Schuldenkrise zu kämpfen. Er nennt ein Beispiel: "Ägypten benötigt demnächst die Zustimmung Berlins für die Privatisierung des von Siemens gebauten Kraftwerks Beni Suef, das mit deutschen Exportkreditgarantien finanziert wurde", so Roll. "Angesichts leerer Staatskassen ist der Verkauf dieses Kraftwerks für die al-Sisi-Regierung sehr wichtig."

Der Fall Badr Mohamed

Auch die Österreicherin Elena Pichler engagiert sich für einen Gefängnisinsassen in Ägypten - ihren Mann Badr Mohamed. Der heute 27-Jährige wurde im August 2020 in Untersuchungshaft genommen und schließlich im Januar 2023 zu fünf Jahren Haft verurteilt. Amnesty International bezeichnete den Prozess als "zutiefst unfair".

Die Richter befanden Badr Mohamed der "Teilnahme an einer illegalen Versammlung" und der "Gewaltanwendung in Verbindung mit einem vorsätzlichen Mord" für schuldig. Der damals 17-Jährige hatte sich am 13. August 2013 den Protesten gegen die Militärregierung des heutigen Präsidenten al-Sisi auf dem Ramses-Platz in Kairo angeschlossen.

"Am Anfang sagte mir ein Anwalt, ich solle mich bedeckt halten, da Badrs Fall so unbedeutend sei, dass er nach ein paar Monaten entlassen werden könne", so Pichler gegenüber DW. Doch Badr Mohamed blieb im Gefängnis. In der Zwischenzeit brachte Elena Pichler eine Tochter zur Welt und kehrte nach Aufhebung der pandemiebedingten Reisebeschränkungen nach Österreich zurück.

Seit drei Jahren in Haft: Badr Mohamed, hier mit seiner Ehefrau Elena PichlerBild: Privat

Im März 2023 beschloss sie, zusammen mit ihrer inzwischen zweijährigen Tochter nach Ägypten zurückzukehren, um für seine Freilassung zu kämpfen.

"Aktivismus und Kampagnen sind hier in Ägypten nicht gern gesehen und ich habe ständig Angst, dass sie deswegen im Gefängnis gegen ihn vorgehen", sagt Pichler.

"Aber wir hatten versucht, nichts zu tun, und das hat die Situation auch nicht verändert", so Pichler zur DW. "Mein Mann vertraut mir, dass ich die richtigen Entscheidungen treffen und nichts unternehme, was uns nur hilflos zurücklässt."

Die DW hat den ägyptischen Botschafter in Deutschland zwecks Stellungnahme kontaktiert, aber bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung keine Antwort erhalten.

Aus dem Englischen adaptiert von Kersten Knipp.

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Jennifer Holleis Redakteurin und Analystin mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika.