Ägypten und Tunesien - ein Modell für China?
16. Februar 2011Die Chronik der Ereignisse sowohl in Tunesien als auch in Ägypten zeigt, dass politische Umwälzungen innerhalb kürzester Zeit möglich sind. Zwar berichteten die staatlichen Medien in China nur nachrichtlich über die Aufstände in der arabischen Welt. Darüber hinaus wurden die Hintergründe der Massenproteste nicht erläutert. Im Internet aber diskutieren chinesische User darüber, ob derartige Massenproteste in ihrem Land zu einem Machtwechsel führen könnten. Die Ereignisse in Tunesien und Ägypten haben die Internet-Community in China sehr beeindruckt.
Die Demokratie-Bewegung in Ägypten sei längst eine internationale Bewegung der basisdemokratischen Medien, schwärmt Internet-Experte Mao Xianghui. Ob es allerdings in China zu einer ähnlichen Entwicklung kommen könnte, diese Frage beurteilt er skeptisch. "Unsere Schwierigkeit ist die Zensur, deren Ziel es ist, die Proteste zu zersetzen." Trotzdem ist Mao Xianghui sicher, dass das Internet bei einem solchen Prozess eine entscheidende Rolle spielen könnte. "Dort können gemeinsame Emotionen schnell gebündelt und Proteste durch nur einen Funken blitzschnell gezündet werden."
Erinnerung an Tiananmen
Vor 22 Jahren mussten die Freidenker in China, vor allem junge Studenten, ohne Internet auskommen und politische Reformen durch friedliche Massendemonstrationen einfordern. Auf dem Platz des Himmlischen Friedens, der als symbolträchtiges Zentrum der politischen Macht gilt, traten Demonstranten in den Hungerstreik. Dennoch wurden ihre Forderungen nicht gehört. Das chinesische Militär musste auf Befehl der regierenden kommunistischen Partei auf die Studenten schießen. Das Ereignis mit bis zu 3000 Toten ging unter der Bezeichnung "Tiananmen-Massaker" in die Geschichte ein.
Während die politisch Andersdenkenden von den friedlichen Protesten im fernen Nordafrika begeistert sind, sind die Marxisten in China besorgt. So warnte Sima Nan, einer der Wortführer der linken Fraktion, eindringlich vor der Gefahr, dass auch in China bald eine ähnliche Farben- oder Blumenrevolution beginnen könnte. Sima Nan schreibt in seinem parteitreuen Blog: "Wir dürfen nicht vergessen, dass auch bei uns in China verschiedene Netzwerke herangereift sind, die jederzeit bereit sind, unser Land an den Westen zu verkaufen. Auch bei uns in China existieren Stiftungen, in die Kapitalisten einzahlen, um eine, wie sie es nennen, politische Reform herbeizuführen. Und wir dürfen nicht vergessen, dass es genauso viele brennende Probleme bei uns in China gibt: Preisanstieg, kaum jemand kann sich noch eine Wohnung, einen Krankenhausaufenthalt oder eine bessere Schule leisten. Hinzu kommt die Korruption. Anlass zu Massenprotesten gibt es genug. Wenn man diese zulassen würde, dann kann es soweit kommen wie in Tunesien oder in Ägypten, dann brennt es bald auch bei uns in China!"
China ist nicht Ägypten
Verblüffend ist, dass Chinas Intellektuelle, ob Liberale oder Marxisten, über Ägypten und Tunesien so reflektieren, als wäre China das nächste Land der friedlichen Revolution. Sie vergessen jedoch eine Binsenweisheit: Solange die Mägen voll sind, macht keiner Revolution. Oder vielleicht gerade deswegen? Mit zunehmendem Wohlstand wachsen auch politische Ansprüche in den bürgerlichen Schichten Chinas. Auf diese Ansprüche reagierte die Regierungspartei 1989 mit Staatsgewalt.
Für den Menschenrechtsaktivisten und Rechtsanwalt Mo Zhixu sind heute in China die Streitkräfte immer noch ein abschreckender Faktor für eine friedliche Revolution. "Was die Beziehung zwischen der Armee und dem Staatsapparat anbetrifft, so gibt es große Ähnlichkeiten zwischen Ägypten und China. In beiden Ländern regieren seit Jahrzehnten autokratisch-verschlossene Regime. In naher Zukunft scheint es unmöglich, dass in China derart groß angelegte Protestbewegungen entstehen." Denn dafür fehlten derzeit noch die Voraussetzungen, ist sich der Jurist sicher.
"Aus den Gewehrläufen kommt die politische Macht" - so lautete der Lieblingsspruch des Staatsgründers und Parteivorsitzenden Mao Zedong, der die Armee der Kommunistischen Partei unterordnete. Das bedeutet: Im Konfliktfall würde auch heute die Partei siegen - notfalls mit Gewehren.
Autor: Shi Ming
Redaktion: Tamas Szabo / Esther Felden