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Politik

Ägypten: Verhaftete Bürger, nervöses Regime

Kersten Knipp | Mahmoud Hussein
17. Oktober 2019

Auf die jüngsten Proteste hat die ägyptische Regierung von Abdel Fatah Al-Sisi mit einer massiven Verhaftungswelle reagiert. Das harte Vorgehen zeigt: Eine verunsicherte Regierung sucht ihr Heil in Repression.

Ägypten Anti-Regierungsproteste in Kairo
Bild: Reuters/A. A. Dalsh

Die beiden Studenten der Universität von Edinburgh hatten Glück im Unglück während ihres Auslandssemesters in Kairo: Im Umfeld der jüngsten Proteste gegen die Regierung von Präsident Abdel Fatah Al-Sisi waren sie zusammen mit anderen Ausländern verhaftet, doch bald wieder freigelassen worden. Die Universitätsleitung war sogleich alarmiert: Umgehend forderte sie alle neun Edinburgher Studenten auf, ihre Studien in Ägypten abzubrechen und aus Sicherheitsgründen nach Hause zu kommen. "Wir haben die Verantwortung, im besten Interesse unserer Studenten zu handeln und entschlossene Maßnahmen zu ergreifen, wenn es um ihre Sicherheit und ihr Wohlbefinden geht", begründete ein Mitglied des Rektorats den Schritt.

Die Studenten aus Schottland sind in einer vergleichsweise glücklichen Lage: Sie wie auch viele andere Ausländer in Ägypten können auf den Schutz ihres Heimatstaates rechnen. Die Ägypter, die sich an den Protesten beteiligen, können das nicht, wie der Fall des Menschenrechtsaktivisten Alaa Abdel Fatah zeigt: Er hatte noch bis März dieses Jahres eine fünfjährige Haftstrafe wegen des Verstoßes gegen ein Demonstrationsverbot abgesessen und wurde jetzt erneut verhaftet, dieses Mal, weil er zu Protesten aufgerufen habe.

Erneut in Haft: der Menschenrechtsaktivist Alaa Abdel FattahBild: AFP/K. Desouki

Noch am gleichen Tag wurde auch der Menschenrechtsanwalt Mohamed el-Baqer festgenommen - in den Räumen der Staatsanwaltschaft, wo er als Rechtsbeistand für Alaa Abdel Fattah erschienen war.

Tausende Verhaftungen

Insgesamt wurden nach den Protesten Mitte September rund 3000 Demonstranten festgenommen, darunter auch viele Minderjährige. Die Politikwissenschaftlerin Maria Josua, Expertin für autoritäre Herrschaftsformen am German Institute of Global and Area Studies (GIGA) in Hamburg, sagt: "Die Regierung zeigt sich der Bevölkerung gegenüber in keiner Weise verantwortlich. Das Militärregime ist abgeschottet und reagiert auf jeden Protest mit Gewalt und Unterdrückung." Dabei seien die Proteste durchaus legitim, so Josua im Gespräch mit der Deutschen Welle: "Die Massenarbeitslosigkeit greift immer weiter um sich. Zugleich stellt die in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Währungsfonds durchgeführte Austeritätspolitik viele Ägypter vor immer größere ökonomische Probleme."

So war es nicht erstaunlich, dass der inzwischen im spanischen Exil lebende Bauunternehmer und Schauspieler Mohammed Ali fast aus dem Stand zahllose Landsleute dazu bringen konnte, nach Jahren des Stillhaltens gegen die Regierung Al-Sisi auf die Straße zu gehen. Anfang September dieses Jahres hatte Ali in mehreren in sozialen Netzwerken veröffentlichten Videos auf bislang nicht aufgeklärte Korruptionsfälle im Umfeld höchster Militär- und Regierungskreise hingewiesen. Aufgrund seiner jahrelangen, im Streit beendeten Zusammenarbeit mit dem Militär konnte er seine Behauptungen mit zahlreichen, von vielen Ägyptern als glaubwürdig erachteten Details unterlegen.

Videos als Rache?

In einem Interview mit dem Internet-Magazin "Middle East Eye" erklärte Mohamed, er handele ganz allein und ausschließlich aus eigenem Entschluss. Die Videos habe er hauptsächlich aus Ärger darüber veröffentlicht, dass seinem Unternehmen Honorare in Millionenhöhe nicht ausgezahlt worden seien.

Telegen: der Bauunternehmer und Schauspieler Mohamed AliBild: Facebook/Mohamed Ali Secrets

Nach Ausbruch der Proteste sei er dann aus Ägypten kontaktiert worden. "Sie sagten mir, sie würden mir mein Geld und noch mehr geben", so Ali zu "Middle East Eye". "Beruhige dich", habe man ihm gesagt. "Mach keine Videos mehr und sprich nicht mehr."

Ali Mohammed lebt in Spanien an einem unbekannten Ort. Offenbart fühlt er sich nur auf diese Art sicher. Gegen die Demonstranten gehen die Behörden umso rigoroser vor. Auch die Bürgerrechtsaktivistin Esraa Abdel Fatah ist offenbar verschleppt worden.

Nach Informationen von Sarah Leah Whitson, Direktorin für die Region Nahost und Nordafrika von Human Rights Watch, wurde sie während der Haft gefoltert.

Der harte Kurs der Regierung sei angemessen, sagt dagegen der ägyptische Jurist und Politanalyst Mahmoud Ibrahim, der regierungsnahe Ansichten vertritt, im DW-Interview. Den Verhafteten gehe es nicht darum, die Politik der Regierung zu kritisieren. Vielmehr versuchten sie, den Staat zu destabilisieren. "Das sind keine gewöhnlichen Oppositionellen. Das sind Leute, die Chaos säen wollen. Sie kalkulieren mit der Schwäche der Regierung und hoffen, sie zu stürzen. Darum sind sie verhaftet worden."

Der Zorn der Straße: Demonstration in Kairo, 21. September 2019Bild: Reuters/M. Abd El Ghany

Bedrängtes Regime

Tatsächlich befinde sich die Regierung Al-Sisi in einer schwierigen Situation, vermutet Maria Josua vom GIGA-Institut. "Der Präsident reagiert wohl auch deswegen so hart, weil er weniger stark ist als allgemein angenommen." Die detaillierten Informationen zu den nun bekannt gewordenen Korruptionsfällen deuteten darauf hin, dass auch hochgestellte Personen aus Politik und Militär Al-Sisis Politik ablehnten. "Offenbar sind die Eliten auf eine Weise gespalten, die ihm gefährlich werden könnte."

Ähnlich sieht es auch Bahey Hassan, Direktor des "Cairo Institute for Human Rights Studies". Al-Sisi mache sich in jüngster Zeit verstärkt Sorgen um die Stabilität seiner Herrschaft, vermutet er. "Die Informationen, die Videos und auch die Demonstrationen zielen auf die moralische Integrität und damit Legitimität des Präsidenten wie auch die Transparenz innerhalb des militärischen Apparats."

Als Antwort auf diese Bedrohung dürfte es zu weiteren Verhaftungen kommen, nimmt Hassan an. Die Folter wie auch die bewusste, zuweilen tödliche gesundheitliche Vernachlässigung mancher Häftlinge - das bekannteste Beispiel ist der ehemalige, aus den Reihen der Muslimbrüder stammende ägyptische Präsident Mohammed Mursi - seien Botschaften an die Kritiker des Regimes: Niemand sei vor dem Zugriff des Staates sicher.

Bislang ging das Kalkül auf: Über Jahre wagten sich die Ägypter kaum mehr auf die Straße. Nun sind sie vor der Repression ein weiteres Mal in die Knie gegangen. Besänftigt sind sie darum nicht. Das Regime hat weiter Anlass zur Sorge.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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