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"Wir brauchen Sisi"

Markus Symank26. Mai 2014

Die Präsidentschaftswahl in Ägypten wird zur großen Liebeserklärung an Abdel Fattah al-Sisi. Widerstand gegen den ehemaligen Armeechef, der neues Staatsoberhaupt am Nil werden will, zeigt sich nur im Verborgenen.

Vor einem Wahllokal in Saida Zeinab, Kairo, 26.05.2014 (Foto:Markus Symank)
Bild: DW/M. Symank

In Kairos lauschigem Oberklassequartier Garden City stehen schon eine halbe Stunde vor Öffnung der Wahllokale Dutzende Frauen Schlange. Viele schwenken Ägyptenflaggen, einige haben sich die rot-weiss-schwarzen Landesfarben auf die Wangen gepinselt. Im Schatten eines in voller Blüte stehenden Flammenbaums trägt eine Gruppe älterer Damen in einer Endlosschleife die Nationalhymne vor. Andere klatschen dazu im Takt oder schwingen ausgelassen ihre Hüften. Aus Liebe zu ihrem Land seien sie gekommen, sagen die Frauen, und aus Liebe zum Präsidentschaftskandidaten Abdel Fattah al-Sisi. Eine Schuldirektorin namens Manal erklärt: "Sisi ist ein echter Mann. Er redet nicht, er arbeitet. Das ist genau das, was wir jetzt brauchen. Wir brauchen eine Regierung, die arbeitet und nicht nur vom Arbeiten redet."

Liebe und Hass

Der ehemalige Armeechef Sisi gilt als haushoher Favorit auf den Sieg bei der zweitägigen Abstimmung. Besondere Beliebtheit soll er sich unter Ägyptens Frauen erfreuen, die er während des Wahlkampfes immer wieder für ihren Patriotismus lobte. In seiner letzten Ansprache richtete sich der Ex-Militär direkt an die Wählerinnen und bat sie, in grosser Zahl in die Wahllokale zu strömen – offenbar mit Erfolg.

Begleitet werden die weiblichen Liebesbekundungen an Sisi von einer gehörigen Portion Hass und Häme für die gestürzte Muslimbruderschaft und deren vermeintliche Helfer: Einige heben drohend die Faust, als sich die ausländischen Journalisten nähern. Eine Wählerin schimpft zuerst minutenlang über die Medien, nur um dann plötzlich doch von diesen interviewt zu werden: "Wir haben die Armee darum gebeten, einzuschreiten, und Sisi ist eingeschritten und hat sich hinter das Volk gestellt. Anders als ihr Medien berichtet ist das hier kein Armeeputsch, sondern ein Kampf gegen Terroristen." Sisi hatte als Verteidigungsminister im vergangenen Juli nach Massendemonstrationen den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi gestürzt und danach versprochen, nicht bei der Wahl anzutreten.

Unbefangen: ein ägyptischer WählerBild: DW/M. Symank

"Sisi muss uns ernst nehmen"

Im Wahllokal selbst geben vier ausländische Wahlbeobachter einer amerikanischen Nichtregierungsorganisation zu verstehen, dass es sehr schwierig gewesen, an eine Bewilligung zu gelangen. Aus demselben Grund hatte vergangene Woche auch die 140 Mann starke Beobachtermission der Europäischen Union beinahe absagen müssen. Erst im letzten Moment erteilten die ägyptischen Behörden doch noch grünes Licht.

Im wenige Kilometer entfernten Arbeiterviertel Saida Zeinab verbietet der Sicherheitschef eines Wahllokals ausländischen Journalisten gleich ganz den Zutritt – mit der interessanten Begründung, dass die Wahl ja noch in vollem Gange sei. Der Andrang ist hier etwas geringer als in Garden City, dem Personenkult um Sisi tut dies keinen Abbruch. Von jeder zweiten Hauswand blickt der Ex-Armeechef väterlich lächelnd auf sein Volk herab. "Geht wählen, wir beschützen euch", steht auf einem Plakat, dass Soldaten mit Gewehr im Anschlag zeigt. Ein junger Cafébesitzer sagt, das Militär sei die einzige Institution in Ägypten, zu der er Vertrauen habe. Zugleich warnt er, dass Sisi anders als seine Vorgänger dem Volk dienen müsse: "Wir erwarten, dass er uns ernst nimmt. Er muss sich um das schlechte Gesundheitssystem und die Sicherheitslage kümmern, und den Menschen Arbeit geben, besonders den Jugendlichen. Wir werden nicht aufhören, unsere Forderungen vorzubringen."

Ägyptischer Präsidentschaftsfavorit: Fattah al-SisiBild: Reuters

Verletzungen gegen Wahlrecht

Offene Kritik ist an diesem ersten von zwei Wahltagen jedoch kaum zu hören, und wenn, dann nur hinter vorgehaltener Hand. Im Zentrum von Kairo weisen einige mit blutroter Farbe beschmierte Sisi-Plakate darauf hin, dass es doch noch Widerstand gegen die Rückkehr eines Generals an die Staatsspitze gibt. Die Muslimbruderschaft rief im Vorfeld ausserdem zum Boykott auf und kündigte Demonstrationen an. Doch das Grossaufgebot von Polizei und Armee hat abschreckende Wirkung: In einem Vorort Kairos lösen Sicherheitskräfte einen Marsch der Islamisten mit Tränengas auf. In der Stadt Fajum südlich der Hauptstadt greifen Unbekannte ein Wahllokal mit einer Handgranate an. Verletzt wird dabei niemand. Ansonsten bleibt es ruhig.

Noch weniger Aufmerksamkeit als die entmachteten Islamisten bekommt an diesem Sisi-Festtag nur Hamdin Sabbahi. Der linke Politiker und Menschenrechtler ist der einzige Herausforderer Sisis und buhlt als selbsternannter Kandidat der Revolution vor allem um die Stimmen der jüngeren Generation. Doch diese scheint es grösstenteils vorzuziehen, die Abstimmung zu boykottieren. Ein Student und Sabbahi-Unterstützer, der seinen Namen nicht nennen möchte, erklärt: "Ich habe Angst, meine politischen Ansichten mitzuteilen. Wer derzeit nicht der Meinung der Mehrheit zustimmt, wird gefangen genommen, verurteilt oder umgebracht."

Schlange stehen für den Kandidaten: Wähler in KairoBild: DW/M. Symank

Das Kampagnenteam Sabbahis berichtet am Nachmittag von "schweren Verletzungen" gegen das Wahlrecht. Unter anderem sollen mehrere Mitarbeiter festgenommen, anderen der Eintritt zu Wahllokalen verwehrt worden sein. Im Vorfeld hatte Sabbahi bereits über ein unfaires Wahlklima und Voreingenommenheit der staatlichen Institutionen geklagt.

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