Ägypten Wahlen
6. Oktober 2011"Immer wenn ich hier lang laufe, dann denke ich an die Freiheit und den Kampf, den wir gefochten haben", sagt Sherif Alaa Abdel Azim, während er die Kasr-al-Ainy-Straße im Zentrum Kairos entlanggeht, vorbei am Volksrat, dem Oberhaus und der amerikanischen Universität. Die Autos rasen die Kasr-al-Ainy-Straße rauf in Richtung Tahrir-Platz. Es ist laut, heiß und staubig. Es scheint, als hätte eine der wichtigsten Straßen wieder zurück zur Normalität gefunden. Dabei war sie zu Beginn der Revolution Schauplatz der gewalttätigsten Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei. Die Straßen selber hätten sich seit der Revolution nicht verändert, meint Sherif. "Aber mein Blick auf die Stadt und besonders auf den Tahrir-Platz hat sich verändert."
Sherif ist stolz auf seine Stadt. Er hätte nie gedacht, dass sich sein Volk von der Herrschaft Mubaraks befreien könne – und das aus eigener Kraft. Sherif kommt gerade von einer ägyptischen Organisation, die sich um Demokratieförderung und Wahlbeobachtung kümmert. Seit 2006 ist er dort bereits tätig, als von Revolution noch keine Rede war. Als er am Tahrir-Platz ankommt, hält er inne und zeigt auf das nördlich des Platzes gelegene Gebäude der ehemaligen Nationaldemokratischen Partei (NDP) des gestürzten Diktators Husni Mubarak. "Wenn ich mir das ausgebrannte Gebäude der NDP anschaue, dann weiß ich, dass sich was verändert hat. Aus diesem Gebäude heraus wurde Ägypten jahrelang auf schreckliche Art und Weise regiert."
Die Revolution auf Abwegen
Er selbst hat 18 Tage lang gemeinsam mit den Tausenden anderen Demonstranten im Zelt auf dem Tahrir-Platz verbracht. Sherif wirkt gestresst. Er hat sich seit ein paar Tagen nicht mehr rasiert. Er arbeitet viel, denn es gibt noch einiges zu tun vor den anstehenden Wahlen Ende November. Sherif will sich dafür engagieren, dass die Wahlen frei und fair ablaufen. Doch das sei in der derzeitigen Situation des Landes keine einfache Aufgabe, sagt er: "Leider ist uns die Revolution derzeit aus den Händen geglitten. Es gibt Leute, die sagen, dass uns die Revolution von den Militärs sogar gestohlen wurde."
Wo vorher noch stolz in seiner Stimme durchklang, macht sich plötzlich Nüchternheit breit. Die ägyptische Revolution ist ins Stocken geraten, sagt er. Die Militärs, denen Mubarak die Regierung übergeben hat, machen weiter wie bisher. Und die konterrevolutionäre Propaganda der Machthaber scheint ihre Wirkung zu zeigen. Taxifahrer und Straßenverkäufer beschweren sich über die schlechten Einnahmen wegen der anhaltenden Demonstrationen. Aber auch studierte Ägypter sagen Sätze wie: "Schön, jetzt hatten wir eine Revolution, aber wie lange dauert das denn noch?" Das Militär macht den Menschen Angst vor Ausländern, die ins Land kommen. Angeblich wollten diese Ägypten infiltrieren. Was das genau bedeutet, kann keiner erklären. Zudem seien Revolutionsbewegungen vom Ausland finanziert. Ein fast schon komischer Vorwurf, wo doch die ägyptische Armee über eine Milliarde Dollar Hilfe aus den USA bekommt. Kein Wunder, dass die Militärs es nicht eilig haben mit der Machtübergabe, sagen viele hier.
Der Kampf geht weiter
Doch nicht alle Ägypter lassen sich von der Propaganda beeindrucken und kämpfen weiter für ihre Freiheit. Regelmäßig finden auf dem Tahrir-Platz Demonstrationen statt. Und meistens richten sie sich gegen die Herrschaft des Militärrates. So auch an diesem Tag. Hunderte sind auf den Tahrir-Platz gekommen und rufen nach Freiheit. Sie verlangen den Rücktritt der alten Garde und singen gemeinsam die ägyptische Nationalhymne "Biladi" – "Mein Heimatland". "Der Militärrat soll sich aus der Gesetzgebung fernhalten und die Macht friedlich übergeben", sagt ein junger Demonstrant. "Das hätte er schon von Anfang an tun sollen. Erst hatten wir Mubarak, jetzt haben wir die Militärs."
Die Demonstranten kritisieren, dass willkürliche Festnahmen und Folter in Polizeigewahrsam in Ägypten auch mehr als ein halbes Jahr nach dem Sturz des langjährigen Präsidenten Mubarak immer noch an der Tagesordnung sind. Eine junge Frau beschwert sich: "Wir haben niemanden, der für uns einsteht. Dann müssen wir das eben selbst in die Hand nehmen. Wir müssen uns unserer Rechte bewusst sein und auch darauf pochen." Es herrsche ein großes Vertrauensproblem zwischen der Bevölkerung und den derzeit Regierenden, sagt sie. "Wir wollen doch einfach nur ein säkularer Staat sein, eine Demokratie."
Das Militär muss einlenken
Zuletzt hatten Aktivisten und Parteien gedroht, die Parlamentswahl Ende November zu boykottieren, weil ein Gesetz zur Regulierung des Wahlverfahrens ehemalige Vertreter des Mubarak-Regimes begünstige. Die Militärführung hat dem Druck der Straße nachgegeben und einige Änderung des Wahlrechts angekündigt. Außerdem werde die Möglichkeit geprüft, Mitglieder der Mubarak-Partei NDP in Zukunft aus der Politik auszuschließen, hieß es weiter. Zugleich hat der Militärrat eine Aufhebung des seit mehr als 30 Jahren geltenden Ausnahmezustandes in Aussicht gestellt. Ein Datum wurde nicht genannt. Sherif gehen diese Zugeständnisse, ebenso wie vielen Demonstranten, nicht weit genug. "Wir haben Visionen und möchten keine langsamen, stufenweisen Veränderungen. Nein, wir wollen einfach freie und faire Wahlen."
Ist die ägyptische Revolution also gescheitert? Der Politologe Samer Soliman von der Amerikanischen Universität in Kairo verneint diese Frage. Die ägyptische Revolution stünde ja noch ganz am Anfang. "Immerhin ist Husni Mubarak nicht mehr an der Macht und sämtliche revolutionäre Bewegungen sind auch noch aktiv. Wir brauchen einfach Zeit." Aber er bemängelt, dass viele der Aktivisten sich nicht an Parteiarbeit beteiligten.
Nicht so Sherif. Er ist sofort nach der Revolution einer liberalen Partei beigetreten. "Masr el Hurriya", heißt sie, auf Deutsch: "Das freie Ägypten". Nur so, sagt er, könne er aktiv dabei helfen, sein Land mit zu gestalten. Ägypten sei zwar noch nicht da, wo es hin wolle, aber die politische Situation sei viel besser als zuvor. "Ich will politisch arbeiten, um etwas zu verändern. Da reicht es nicht aus, Blogger oder Twitterer zu sein. Wir müssen uns gesellschaftlich und politisch engagieren."
Autorin: Diana Hodali
Redaktion: Daniel Scheschkewitz