Ägypter trotzen der Ausgangssperre
29. Januar 2011
Während in Kairo und anderen ägyptischen Städten wieder zehntausende Menschen gegen den ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak demonstrierten, ist Luftfahrtminister Ahmed Schafik am Samstag (29.01.2011) zum neuen Ministerpräsidenten des Landes ernannt worden.
Zuvor war die ägyptische Regierung unter Leitung des bisherigen Ministerpräsidenten Ahmed Nasif geschlossen zurückgetreten. Das Kabinett folgte damit einer Ankündigung des in Bedrängnis geratenen Präsidenten Mubarak. Der 82-jährige hatte in der Nacht zum Samstag in einer Fernsehansprache eine neue Regierung und mehr Demokratie angekündigt.
Neues Amt: Vizepräsident
Erstmals seit Mubaraks Machtantritt 1981 wurde am Samstag auch ein Vizepräsident eingesetzt und vereidigt: Der seit 20 Jahren amtierende Geheimdienstchef Omar Suleimann ist damit Stellvertreter Mubaraks.
Im Auftrag Mubaraks hatte Suleiman in der Vergangenheit wiederholt heikle Aufträge erfüllt. So vermittelte er mehrfach zwischen Israel und den Palästinensern. Der General war längere Zeit als möglicher Nachfolger Mubaraks im Gespräch, ihm werden gute Kontakte in die USA nachgesagt.
El Baradei fordert Rücktritt
Als Enttäuschung für die Ägypter hat der unter Hausarrest stehende Oppositionspolitiker Mohamed El Baradei die nächtliche Rede Mubaraks bezeichnet. Präsident Mubarak sei gescheitert und solle zurücktreten, sagte El Baradei am Samstag in einem Telefon-Interview dem arabischen Fernsehsender Al-Dschasira.
Der frühere Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) rief den Staatschef auf, eine Rahmenordnung für die Übergabe der Macht abzustecken. Dies sei der einzige Weg, um die Straßenproteste zu stoppen.
Proteste gehen weiter
Auch am Samstag gingen die Proteste in Kairo, Alexandria, Suez und anderen Städten weiter - obwohl die Regierung eine neue Ausgangssperre verhängt hatte, die von 16.00 Uhr (15.00 MEZ) am Samstag bis 08.00 Uhr (07.00 MEZ) am Sonntag gilt. Panzer fuhren auf, Sicherheitskräfte setzten Tränengas und Gummigeschosse ein und knüppelten Demonstranten nieder. Nach Angaben des Fernsehsenders Al-Dschasira liegt die Zahl der Toten inzwischen bei über 100, zudem seien mindestens 1000 Menschen verletzt worden.
Am Samstag traf der Generalstabschef der ägyptischen Armee, Generalleutnant Sami Hafis Anan, wieder in Kairo ein. Anan hatte seine auf eine Woche angelegten Gespräche in den USA nach zwei Tagen abgebrochen, als sich die Lage bei den Demonstrationen gegen die ägyptische Führung dramatisch zugespitzt hat. Der Flughafen der Hauptstadt wird inzwischen von der Armee kontrolliert. Die Pyramiden von Gizeh wurden für Besucher gesperrt.
Schüsse und Plünderungen
Im Gefolge friedlicher Demonstranten treiben auch Randalierer und Kriminelle ihr Unwesen. Laut Anwohnern stürmten Plünderer in der Nacht an der Ausfallstraße zu den Pyramiden von Gizeh ein Hotel und verwüsteten mehrere Geschäfte und Restaurants. In mindestens zwei Stadtvierteln sollen Gefangene befreit worden sein.
In zahlreichen Stadtvierteln Kairos haben sich die Bewohner aus Angst vor Plünderern bei Einbruch der Dunkelheit in ihren Häusern verschanzt. Das Militär ist nur an zentralen Punkten der Stadt präsent.
Handys teilweise wieder am Netz
Am Samstagmorgen war der Zugang zum Mobilfunknetz teilweise wiederhergestellt worden. Internetverbindungen gab es aber zunächst weiterhin nicht. Um den Informationsfluss unter den Regierungsgegnern zu stören, hatten die Behörden den Datenverkehr unterbunden.
In der Nacht hatte US-Präsident Barack Obama Mubarak in einem Telefonat aufgefordert, den Zugang der ägyptischen Bevölkerung zum Internet wiederherzustellen.
Internationale Besorgnis
Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel appellierte an Sicherheitskräfte und Demonstranten in Ägypten, auf Gewalt zu verzichten. "Ich rufe alle Beteiligten, vor allen Dingen auch die ägyptische Regierung und den Präsidenten auf, dass wir friedliche Demonstrationen genehmigen, dass die Meinungsfreiheit eine Chance hat", sagte Merkel auf dem Weltwirtschaftsgipfel in Davos.
Besorgt über die Zuspitzung der Lage äußerte sich am Samstag auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle in Berlin. Er rief die Verantwortlichen in Ägypten sowie die Sicherheitskräfte auf, die Lage nicht weiter eskalieren zu lassen. "Dauerhafte Stabilisierung braucht Demokratisierung, braucht die Achtung der Menschenrechte und die Gewährung der Meinungsfreiheit", betonte Westerwelle.
EU fordert Reformen
EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy forderte ein Ende des scharfen Vorgehens gegen pro-demokratische Demonstranten und die Freilassung aller politischen Gefangenen. Die Europäische Union sei "tief besorgt" über die Eskalation der Gewalt in Ägypten, sagte er am Samstag in Brüssel. Er hoffe, dass Mubaraks Reformversprechen "in konkrete Maßnahmen umgesetzt werden", so der EU-Ratspräsident weiter.
Israels Vize-Ministerpräsident Mosche Jaalon warnte im Nachrichtenmagazin "Focus" davor, dass Islamisten die Macht übernehmen könnten, wenn in den arabischen Ländern Diktatoren gestürzt werden. "Islamisten missbrauchen die demokratischen Regeln, um an die Macht zu gelangen. Dann installieren sie sofort ihre theokratisch-despotischen Regime."
Islamische Revolution?
Der Iran hat die Proteste gegen die Regierung in Ägypten als "Welle des islamischen Erwachens" bezeichnet. Das Außenministerium in Teheran rief die Führung in Kairo am Samstag auf, die Gewalt gegen diese Bewegung zu beenden.
Der erzkonservative Ajatollah Ahmad Chatami hatte beim Freitagsgebet erklärt, die Proteste in Ägypten, Tunesien, Jordanien und Jemen seien "durch die iranische islamische Revolution inspiriert". Die politische Achse des neuen Nahen Ostens werde bald die islamische Führerschaft und eine Demokratie sein, die auf Religion basiert.
Autor: Hartmut Lüning (afp, dpa, rtr)
Redaktion: Dirk Eckert