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Literatur

Der Schriftsteller und der Diktator

Sabine Peschel
18. Oktober 2020

Der Film "Der Schriftsteller aus einem Land ohne Buchläden" ist ein Porträt des Dichters Juan Tomás Ávila Laurel und seines Heimatlands Äquatorialguinea.

Juan Tomás Àvila Laurel als gezeichnete Grafik / Filmstill aus dem Dokumentarfilm "Der Schriftsteller aus einem Land ohne Buchläden"
Filmgrafik des Autors Juan Tomás Àvila Laurel Bild: The Writer From a Country Without Bookstores

"Ich bin ein Flüchtling in Spanien, aber ich habe den rechtlichen Status nie beantragt. Auf diese Weise kann ich zurückkommen", sagt Juan Tomás Ávila Laurel und bleibt am Hoftor des Hauses, in dem er in Barcelona wohnt, stehen - im Kopf mehr als 4000 Kilometer entfernt. Denn "zurückkommen",  das heißt für den Schriftsteller nicht in dieses Haus, sondern in ein kleines Hofhaus ohne fließendes Wasser in Malabo in Äquatorialguinea.

Der Personenkult um Präsident Teodoro Obiang ist allgegenwärtig, wie der Film eindringlich dokumentiertBild: The Writer From a Country Without Bookstores

Der Staat zwischen Kamerun und Gabun an der westafrikanischen Küste gehört zu den kleinsten Afrikas, seine Fläche erreicht nicht ganz die des deutschen Bundeslands Brandenburg. Mit 1,4 Millionen hat Äquatorialguinea etwas mehr Einwohner als Köln und dabei einen extrem hohen Bevölkerungsanteil im Ausland. Schuld daran ist das Regime von Präsident Teodoro Obiang Nguema Mbasogo, der das Land seit mehr als vier Jahrzehnten diktatorisch beherrscht.

Im Exil in der ehemaligen Kolonialmacht Spanien

Auch Juan Tomás Ávila Laurel lebt seit 2011 in Spanien, der ehemaligen Kolonialmacht Äquatorialguineas. Damals musste der Autor fliehen, nach seinem Hungerstreik aus Protest gegen die "hoffnungslose und beunruhigende soziale, wirtschaftliche und politische Situation" in seinem Heimatland. Schon bald darauf begannen er und der spanische Regisseur Marc Serena mit den Vorbereitungen für einen Film, der die Verhältnisse in einer der am längsten herrschenden Diktaturen der Welt dokumentieren sollte.

Es dauerte Jahre, ehe gedreht werden konnte. Nachdem er im Juli 2020 beim Tübinger Filmfest CineLatino erstmals in Deutschland vorgeführt wurde, erhielt der Dokumentarfilm "Der Schriftsteller aus einem Land ohne Buchhandlungen" ("El escritor de un país sin librerías") durch eine Vorführung beim "Bookfest City" der Frankfurter Buchmesse große Aufmerksamkeit.

Der Schriftsteller Juan Tomás Avila Laurel hatte sich lange geweigert, ins Exil zu gehenBild: Josep Gutiérrez

Obszöner Luxus und große Armut

2018 hat Marc Serena den politisch verfolgten Schriftsteller auf einer Reise zurück in sein Heimatland begleitet. "Das Beachtlichste an diesem Film ist, dass er überhaupt gemacht werden konnte", sagt Serena. "Es gab so viele Menschen, die uns vor Ort geholfen haben, die wir alle nicht erwähnen können, ohne sie in Gefahr zu bringen." Der Film bietet seltene Einblicke in ein Land, in das kaum ein Tourist seinen Weg findet. Visa werden verweigert, und auch die mangelnde Infrastruktur sorgt dafür, dass die schönen Strände vor allem auf den Inseln touristisch ungenutzt bleiben. Dabei ist Äquatorialguinea nicht arm, seitdem 1991 vor dem Festland große Erdölvorkommen entdeckt wurden, ist das durchschnittliche Einkommen deutlich angestiegen.

Dass trotzdem die meisten Menschen am Existenzminimum leben müssen, dass es in vielen Haushalten kein fließendes Wasser gibt, während chinesische Investoren an anderer Stelle Straßen und gesichtslose Hochhaussiedlungen errichten, dass Bildung vorrangig nicht in staatlicher Hand, sondern in der privaten - vor allem der katholischen Kirche - liegt, zeigt der Film in ruhigen Bildern. Ungeniert prahlt Präsidentensohn Teodorin Nguema Obiang Mangue auf Instagram mit seinen Luxusautos, Motorrädern und einem Flugzeug, während die Fischer mit maroden Holzbooten aufs Meer fahren und mit einem lächerlich kleinen Fang zurückkehren. Was der Film noch nicht dokumentieren konnte: Um hunderte Millionen Euro hat sich der "Prinz von Malabo" bereichert, stellte im Februar 2020 ein Pariser Berufungsgericht fest und bestätigte damit ein damals zur Bewährung ausgesetztes Urteil von 2017. 

Keine Chance für die Kultur

Plakat zum Dokumentarfilm "Der Schriftsteller aus einem Land ohne Buchläden"

Juan Tomás Ávila Laurel schreibt auf Spanisch, der Sprache, die auch heute noch in den Schulen Äquatorialguineas gelehrt wird. Seine eigentliche Muttersprache ist Annobonesisch, das von kaum 5000 Menschen auf der Insel Annóbon, wo er 1966 geboren wurde, gesprochen wird. In seinem Heimatland sind seine Bücher kaum erhältlich, sie werden in Spanien verlegt. Das macht sie teuer, und hinzu kommt, dass der internationale Geldtransfer und somit auch der Online-Buchhandel nicht funktioniert. "Es gibt das französische und das spanische Kulturzentrum in Malabo", berichtet Ávila. "Nur dort kann man sie lesen. Oder wenn jemand die Bücher aus dem Ausland mitbringt."

Buchhandlungen, so erzählt er weiter, seien tatsächlich nicht existent. Eine einzige, die es in Malabo gegeben habe, sei geschlossen und an den Stadtrand verlegt worden. "Wenn es um Autos oder Kühlschränke geht, dann ist der Import unproblematisch", beobachtet der Autor. "Aber Bücher... Es gibt kein Interesse daran, den Menschen Kultur näherzubringen."

Künstler und Intellektuelle in Gefahr

Eine organisierte politische Opposition ist in Äquatorialguinea nicht existent. Im Dokumentarfilm debattiert Ávila mit drei Freund*innen, darunter Melibea Obono, der in einschlägigen Kreisen aktuell angesagtesten Schriftstellerin des Landes. Die Feministin ist Teil der illegalen LGBT-Bewegung des Landes. Die Verbote, mit denen die LGBT-Community unterdrückt wird, gehen zum Teil noch auf die koloniale spanische Gesetzgebung unter General Franco zurück. Die Kolleg*innen üben keine explizite Kritik an der Regierung, sie sprechen vor allem über Ávila und dessen Werk. Aber allein, dass sie offen in diesem Film erscheinen, setzt sie der Gefahr aus, wie viele andere Intellektuelle und Künstler ins Gefängnis zu kommen.

Nicht entgangen ist dieser Gefahr der Rapper Jamin Dogg, dessen Song der Dokumentation zu Beginn den Sound gibt. Es steht äußerst schlecht um seine Gesundheit, seitdem er wegen einem seiner Lieder im Gefängnis war.

Von den Musikern kommt überhaupt der deutlichste Protest: Kurz vor Ende des Film performt der Rapper Negro Bey seinen Protestsong "Brief an den Präsidenten" auf der Straße - bis die Polizei kommt und nach einer Drehgenehmigung fragt. Was danach passiert, bleibt im Dunklen, das können auch Marc Serena und Juan Tomás Ávila Laurel nicht öffentlich erzählen, ohne sich und andere zu gefährden. 

Denn Ávila ist auch 2020 in seine Heimat zurückgereist. Die Covid19-Pandemie hat ihn in dem Land, das zu den am schlechtesten gegen das Virus gerüsteten der Welt gehört, länger festgehalten als urspünglich vorgesehen. Seine Eindrücke wird man diesmal vielleicht nicht im Film, sondern wieder in einem seiner Bücher gespiegelt finden - möglicherweise als Dystopie.

Juan Tomás Ávila Laurel hat auf Spanisch 17 Bände an Romanen, Erzählungen und Gedichten veröffentlicht. Zu seinen bekanntesten Werken gehören "Arde el monte de noche" (Deutsch in etwa: "Nachts brennen die Berge", Calambur Editorial, 2009; in englischer Übersetzung "By Night the Mountain Burns", 2014) und "Panga Rilene", eine dysopische Science Fiction, die das Genre "Afrofuturismus" mitgeprägt hat. "Red Burdel", sein letztes Buch, erschien auf Spanisch im Februar 2020.

"Der Schriftsteller aus einem Land ohne Buchläden" (The Writer From a Country Without Bookstores), Dokumentarfilm von Marc Serena und Juan Tomás Ávila Laurel, 2019, englische Untertitel, 82 Minuten

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