Religiöse Toleranz
29. Dezember 2008Gläubige beider Religionen leben oft Tür an Tür, Mischehen über die Religionsgrenzen hinaus sind nicht ungewöhnlich - Äthiopien steht mit seinen heute 46 Millionen Christen und 25 Millionen Muslimen seit Jahrhunderten beispielhaft für das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen. Doch in der jüngeren Vergangenheit haben blutige Auseinandersetzungen zwischen Christen und Muslimen an dem harmonischen Bild gekratzt. Stellvertretend steht die Stadt Jimma in West-Äthiopien, wo es wiederholt zu Übergriffen gekommen ist und Kirchen und Moscheen in Brand gesteckt wurden. Dagegen verkörpert die Region Wollo nach wie vor das Bild der friedvollen Co-Existenz.
Unruhen schockierten das ganze Land
Jimma ist die größte Stadt Südwest-Äthiopiens und sechs Fahrstunden von der Hauptstadt Addis Abeba. Schon früh existierte eine Anbindung an den Nil und erlaubte den Export von Elfenbein und Sklaven. Heute sind die alten Karawanenwege zu modernen Straßen ausgebaut, und statt Sklaven exportiert Jimma Kaffee, Tee und die milde Kaudroge Khat. Mit seinem angenehmen Klima und der Höhenlage ist die 60.000 Einwohner-Stadt eine grüne Oase. Obwohl überwiegend muslimisch geprägt, leben viele Christen in weitgehend friedlicher Koexistenz. Doch wie schon im Vorjahr kam es auch 2007 zu Straßenschlachten zwischen Anhängern beider Religionsgruppen, die erst nach einer Woche von Regierungstruppen geschlichtet werden konnten. Die Unruhen schockierten die Einwohner des gesamten Landes.
"Meiner Meinung nach waren die Übergriffe gegen die Regierung gerichtet", erklärt Ato Yemata Jember, ein 53jähriger Agrarwissenschaftler, der sein ganzes Leben in Jimma verbracht hat. Einige Leute wollten ihre politischen Ambitionen auf dem Rücken der Religion austragen. Andere Einwohner berichten über junge Männer, die in Religionsschulen nach Pakistan reisen und indoktriniert zurückkehren. Auch wird immer wieder der steigende Einfluß der radikalen Wahabiten beklagt.
Islam kam durch Händler und Gelehrte ins Land
Dass der Islam in Äthiopien vor allem durch eine starke soziale Komponente an Boden gewinnt, ist unbestritten: Viele Moscheen verfügen über angegliederte Schulen oder Waisenhäuser und ergänzen so das schlechte staatliche Gesundheits- und Bildungssystem. Doch anders als in Nordafrika sind Äthiopiens Muslime zu Recht stolz darauf, dass der Islam hier nicht durch Eroberer, sondern durch Händler und Gelehrte ins Land gebracht wurde. Die Ereignisse in Jimma wirkten daher wie ein Schock. Um ähnliche Übergriffe verhindern zu können, müsse die Gesellschaft über die Religion aufgeklärt werden, so Jember. "Religionsführer sind verpflichtet ihre Gläubigen zu unterweisen, friedlich und tolerant miteinander zu leben."
In Wollo im Nordosten Äthiopiens leben überwiegend Oromo, die zahlenmäßig stärkste Bevölkerungsgruppe des Landes. Vor der Christianisierung waren es überwiegend Muslime, heute ist das Verhältnis in der Region etwa ausgewogen. Wer die sprichwörtliche religiöse Harmonie Wollos erleben will, der besucht Zulfa Hassen Kassahun. Die 33jährige Muslima lebt unweit der Regionalhauptstadt Dessie und verdient ihr Einkommen als Verkäuferin. Zulfas Vater ist Muslim, der Großvater trat einst vom Christentum zum Islam über, die Mutter ist dagegen Christin. Zulfa selbst hat drei Kinder - zwei bekennen sich zum christlichen Glauben, eines zum Islam."Hier gibt es keine religiösen Unterschiede wie anderswo. Wir leben respektvoll und friedlich miteinander."
Streitpunkt: Denkmal
Doch unlängst drohte der Frieden auch in Dessie Schaden zu nehmen: Die Stadtverwaltung plante, eine Statue von Ras Mikael zu errichten – jenem muslimischen Herrscher, der im 19. Jahrhundert zum Christentum konvertierte und daraufhin der Überlieferung zufolge öffentlich den Koran schändete. Entsprechend ablehnend standen die muslimischen Bewohner Dessies einem Denkmal gegenüber.
"Wenn uns dieses Thema zu trennen droht, dann sollten wir darauf verzichten. Die wichtigste Sache ist hier unsere gegenseitige Liebe", sagt Kassahun Teshome. Gelebte Toleranz, die angesichts der hitzigen Debatte um den Bau von Moscheen in Deutschland und anderswo beinahe rührend wirkt.
Immer noch religiöse Toleranz
Doch es gibt auch Mahner - wie Admassu Sied, ein Lehrer in Dessie. Derzeit würden Probleme hauptsächlich in den Schulen auftreten. Es ginge um die Kleiderordnung von einer Muslima, oder die Frage, ob die männlichen Stundenten an der Universität einen Gebetsraum haben sollten. "Solange die Studenten nicht nackt kommen, habe ich jedoch kein Problem damit."