1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikSomalia

Äthiopien und Somalia im Streit über einen Hafen-Deal

8. Januar 2024

Das umstrittene Abkommen zwischen Äthiopien und Somaliland wäre für die somalische Region ein Schritt in Richtung der lang ersehnten Anerkennung als unabhängiger Staat. Somalia ist empört. Steht jetzt eine Krise bevor?

Tauben fliegen im Hafen von Berbera über einer Asphaltfläche, auf der Arbeiter unterwegs sind; im Hintergrund sind ein Schiffskran und Lkw zu sehen
Somalilands Hafen von Berbera soll Äthiopien nun einen Zugang zu den Weltmeeren bescherenBild: Brian Inganga/Ap Photo/picture alliance

Unter anderen Umständen wäre es ein unproblematisches Abkommen gewesen: Ein Binnenstaat bittet seinen Nachbarn um Zugang zu einem Hafen und somit zum internationalen Seehandel und zahlt dafür einen politischen Preis. Doch in diesem Fall heißt der Nachbar Somaliland - ein De-facto-Staat, der eigentlich zu Somalia gehört. Und weil Äthiopien als politischen Preis die Anerkennung der Unabhängigkeit in Aussicht gestellt hat, zieht das Abkommen ernste Probleme nach sich.

Die somalische Regierung berief zunächst ihren für Äthiopien zuständigen Botschafter zu Konsultationen nach Mogadischu. Kurz darauf sprach Präsident Hassan Sheik Mohamud von einer "Schande gegen internationale Normen und Gesetze" und unterschrieb ein Gesetz, das nach seiner Ratifizierung sämtliche weitere Schritte Äthiopiens oder Somalilands illegal machen würde. Mohamud erklärte, es handele sich um eine "Illustration unserer Verpflichtung, unsere Einigkeit, Souveränität und territoriale Integrität im Einklang mit internationalen Gesetzen zu beschützen".

Das emiratische Unternehmen DP World betreibt den Hafen in Berbera Bild: Brian Inganga/Ap Photo/picture alliance

Hafenzugang, Airline-Beteiligung und ein Versprechen

Im Zentrum des Abkommens steht Somalilands Handelshafen Berbera am Golf von Aden, den die global tätige Hafenlogistikfirma DP World aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) in den vergangenen Jahren massiv erweitert hat. Der äthiopische Ministerpräsident Abiy Ahmed sprach seit Monaten davon, dass Äthiopien Zugang zum Meer brauche - in einer Rhetorik, die sogar eine neue Eskalation mit dem Nachbarn Eritrea befürchten ließ. Bis 1993 hatte der Küstenstaat - und somit seine Häfen - zu Äthiopien gehört.

Darüber hinaus will Äthiopien ein Grundstück von Somaliland pachten, auf dem es einen Marinestützpunkt errichten will. Somaliland erhält den Gegenwert in Form von Anteilen an der erfolgreichen Fluggesellschaft Ethiopian Airlines. Und die Zusage von Abiys Regierung, eine "tiefgreifende Überprüfung hinsichtlich einer Positionierung zu den Anstrengungen Somalilands für eine Anerkennung" vorzunehmen.

Die Formulierung der äthiopischen Regierung lässt zwar viel Raum für Interpretationen - für die somalische Regierung in Mogadischu kann aber prinzipiell jeder diplomatische Zugewinn Somalilands eine weitere Schwächung bedeuten. Mogadischu soll von der Einigung am Neujahrstag überrascht worden sein.

Ein Riss zwischen Äthiopien und Somalia

"Diese Absichtserklärung wird die Beziehungen beider Länder auf die Zeit unter Siad Barre zurückwerfen", sagt Surafel Getahun, Dozent für Politik und Internationale Beziehungen an der Universität im ostäthiopischen Dire Dawa. "Das führt die Region in eine tiefe Krise und wird die Beziehungen beider Länder massiv gefährden", sagt Getahun der DW.

Siad Barre war bis 1991 als Diktator in Somalia an der Macht. Er führte sein Land 1977 gegen Äthiopien um die Grenzregion Ogaden in den Krieg. Nach seiner Niederlage versuchte Somalia, die heutige äthiopische Region Somali mittels Rebellen zu destabilisieren.

Äthiopiens Ministerpräsident Abiy Ahmed und Somalilands De-facto-Präsident Muse Bihi Abdi bei der Vorstellung des Abkommens in Addis AbebaBild: TIKSA NEGERI/REUTERS

Diesmal ist nicht ausgemacht, ob Mogadischu sich einen bewaffneten Konflikt mit dem Nachbarn leisten würde, dessen Militärausgaben dreimal so hoch sind. Äthiopien übernimmt als Teil der internationalen Koalition gegen die islamistische Miliz Al-Schabaab auch Verantwortung in Somalia.

"Was können sie mit Blick auf den großen Nachbarn tun?", fragt Medhane Tadesse, der am Londoner King's College und dem Institut des mondes africains in Paris unterrichtet. Ihm zufolge könnte die somalische Regierung Destabilisierungs-Taktiken verfolgen, indem sie mit anderen Ländern, etwa Golfstaaten, zusammenarbeitet oder äthiopische Aufständische unterstützt. "Ich glaube aber, ihr wichtigstes Mittel wird die Diplomatie sein", sagt Tadesse im DW-Gespräch.

Die Somali-Region im Osten Äthiopiens war lange umkämpft - zuletzt wurde sie vor allem von Dürren und Überflutungen heimgesuchtBild: Mulugeta Ayene/UNICEF/AP/picture alliance

Die Europäische Union, die Vereinigten Staaten und die Afrikanische Union haben bereits gefordert, die territoriale Integrität Somalias müsse gewahrt bleiben.

Äthiopiens neue Partnerschaft mit den Emiraten

Aus Sicht von Medhane Tadesse lässt sich das Abkommen nicht getrennt von der regionalen Geopolitik erklären. Ein wichtiger Aspekt ist der seit 2020 bestehende Rat der Anrainerstaaten des Roten Meers auf Initiative Saudi-Arabiens. "Sowohl die Vereinigten Arabischen Emirate als auch Äthiopien sind nicht beteiligt. Es haben sich sozusagen zwei Lager entwickelt - und Äthiopien und Somalia finden sich in unterschiedlichen Lagern wieder."

Die VAE spielen auch eine aktive Rolle bei der von Saudi-Arabien angeführten Intervention im Bürgerkrieg in Jemen. Hauptsächlich durch lokale Gruppen halten die Emirate Einfluss im Süden des vom Krieg gezeichneten Landes. Direkt gegenüber auf der anderen Seite des Golfs von Aden liegt Somaliland mit dem Hafen Berbera - wo die VAE bereits über die Logistikfirma DP World beteiligt sind. Mit Äthiopien einen weiteren mächtigen Verbündeten in der Region zu haben, würde den emiratischen Einfluss weiter stärken - in einem Seegebiet, das als Vorkammer zum Roten Meer und letztlich dem Suezkanal für die weltweite Schifffahrt von immenser Wichtigkeit ist.

Sich mit Äthiopien zusammenzutun hat nach Tadesses Analyse für die VAE mehrere Vorteile: "Sie wollten den wirtschaftlichen Zugang zum Hinterland. Aber es gibt auch ein Sicherheits-Element. Es geht um Allianzen - und es fällt den Emiraten leicht, mit Äthiopien zu den eigenen Interessen zusammenzuarbeiten", sagt der Politikwissenschaftler. "Und der äthiopische Ministerpräsident hat das Ziel, in jedem Fall seine Macht zu behalten. Also sucht er nach finanzieller Unterstützung, und die erhält er in den Vereinigten Arabischen Emiraten."

In Somaliland gibt es laut dem Freedom House Index mehr Freiheiten als am übrigen Horn von AfrikaBild: EDUARDO SOTERAS/AFP/Getty Images

Tadesse glaubt, dass für Abiy Geld und Waffen aus den Emiraten ein Mittel sein könnten, um seine Macht zu sichern, während die äthiopische Wirtschaft vor großen Problemen steht. Ein verbesserter Zugang zum internationalen Handel könnte in dieser Situation helfen.

Derzeit nutzt Äthiopien den Hafen im Nachbarland Dschibuti. Dieser wurde ebenfalls von DP World betrieben, bis die Regierung dem emiratischen Unternehmen 2018 die Lizenz entzog. Der Streit beschäftigte seitdem mehrere Gerichte.

Ein Ticket zu echter Unabhängigkeit für Somaliland?

Von all diesen geopolitischen Problemstellungen könnte am Ende Somaliland profitieren. Nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung 1991 haben sich in dem ehemals britisch beherrschten Teil stabilere Regierungsstrukturen herausgebildet als im restlichen Somalia.

"Es spricht nichts gegen eine Anerkennung Somalilands", sagt Tadesse, der selbst in den 1990er-Jahren als Berater für die Regierung im politischen Zentrum Hargeisa gearbeitet hat. "Aber kein Land will das Erste sein. Äthiopien und andere haben immer gesagt, wir folgen, wenn andere vorangehen."

Somalilands De-facto-Präsident Muse Bihi Abdi lobte den äthiopischen Ministerpräsidenten für seine Ankündigung. Ob Abiys "tiefgreifende Überprüfung" am Ende tatsächlich Somaliland die erhoffte Anerkennung bringt, bleibt abzuwarten.

Dieser Artikel wurde ursprünglich am 5. Januar 2024 publiziert und am 8. Januar 2024 um neue Entwicklungen ergänzt.

Mitarbeit: Yohannes Gebre Egiziabher Tarake