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Politik

Äthiopiens neuer Ministerpräsident

Ludger Schadomsky
28. März 2018

Erstmals bekommt Äthiopien einen Ministerpräsidenten aus der zahlenmäßig größten Volksgruppe der Oromo. Dementsprechend hoch sind die Erwartungen an Abiy Ahmed Ali. Sein Vorgänger war nach Massenunruhen zurückgetreten.

Abiye Ahmed in Addis Ababa
Bild: Reuters/Stinger

Die Personalie, die das Ende wochenlanger Verhandlungen hinter verschlossenen Türen markiert, ist eine kleine Sensation. Noch 2015, zu Beginn der bis heute andauernden politischen Krise in Äthiopien, hätten nicht einmal die Oromo selbst zu hoffen gewagt, dass sie den Machtkampf der konkurrierenden Volksgruppen für sich würden entscheiden können. Zwar stellen die Oromo ein Drittel der 105 Millionen Äthiopier. Doch bislang hatten sie stets das Nachsehen gegenüber der alteingesessenen Herrscherklasse der Amhara sowie der Minderheitengruppe der Tigre. Letztere bestimmen seit einem Vierteljahrhundert  die politischen und wirtschaftlichen Geschicke des Landes und kontrollieren Militär und Geheimdienst.

Mit dem eloquenten, vielsprachigen 41-Jährigen Abiy Ahmed Ali ist nun erstmals ein Oromo Vorsitzender der regierenden Vier-Parteien-Koalition "Revolutionäre Demokratische Front der Äthiopischen Völker" (EPRDF) - und damit traditionell auch Ministerpräsident. Die Zustimmung des Parlaments gilt als sicher.

Als Teenager im Widerstand, als junger Mann auf Friedensmission

Anhänger der Regierungskoalition EPRDF in Äthiopiens Hauptstadt Addis AbebaBild: Imago/Xinhua Afrika

Abiy, der nach der äthiopischen Tradition offiziell beim Vornamen genannt wird, wurde 1976 in der Region Jimma in West-Äthiopien geboren, als Sohn eines Muslims und einer Christin. Als viele Jahre später eben hier gewaltsame Unruhen zwischen Vertretern beider Religionsgemeinschaften ausbrechen, engagiert sich Abiy in einem religiösen Friedensforum für Aussöhnung.  

Schon als Teenager schloss sich Abiy Berichten zufolge dem Widerstand gegen das "Rote Terror"-Regime Mengistu Hailemariams an. Nach dessen Niedergang trat er 1993 in die äthiopische Armee ein, war dort erst im Nachrichtendienst tätig und stieg später bis zum Oberstleutnant auf. Nach dem Genozid im ostafrikanischen Ruanda 1994 diente Abiy im Rahmen der Friedensmission der Vereinten Nationen, später im Grenzkrieg zwischen Äthiopien und Eritrea.

"Willensstark, charismatisch und glaubwürdig"

Seyum Teshome ist ein Blogger und Universitätsdozent, der Anfang März von Sicherheitskräften verhaftet wurde und noch immer einsitzt. Im Gespräch mit der DW hatte er kurz zuvor noch die Qualitäten des Kandidaten Abiy gelobt: "Doktor Abiy war nicht immer Politiker. Erst vor kurzem kam er in ein politisches Führungsamt", sagte er. "Er hat eine überwältigende Akzeptanz unter Mitgliedern der Oppositionsparteien, er verfügt über starke Willenskraft, großes Charisma und eine große Glaubwürdigkeit."

In der Tat wechselte Abiy erst 2010, nach seiner Zeit als Direktor des Cyber-Nachrichtendientes INSA, in die Politik, wo er in der Oromo-Partei OPDO schnell aufstieg. Er war Abgeordneter und kurzzeitig Minister für Wissenschaft und Technologie, bevor er in seiner Heimat die Position des stellvertretenden Präsidenten Oromias einnahm. 

Bald fand er sich im Epizentrum des Ende 2015 entflammten Streits um illegale Landnahme in der die Hauptstadt umgebenen Oromia-Region. Die Krise dauert bis heute an, hat Tausende Tote und Zehntausende Verhaftete gefordert. Immer mittendrin: Abiy, der neben dem Regionalpräsidenten Lemma Megerssa zur zentralen Figur des neuerwachten Oromo-Nationalismus wurde.

Äthiopiens junge Wilde wollen Taten sehen

Gemeinsam versuchten beide, beruhigend auf die aufgebrachten Jugendlichen einzuwirken, die sich "Qeerroo" nennen - nach dem Wort für "Jugend" in der Sprache der Oromo. Die fordern im Gespräch mit der DW, dass sich etwas ändert - und zwar schnell: "Wir sollten uns von seiner Wahl jetzt nicht einlullen lassen. Sie bedeutet ja nicht, dass wir nun die Freiheit erlangt hätten, nur, weil er ein Oromo ist", sagt ein Qeerroo-Vertreter, der seinen Namen nicht öffentlich nennen will. "Wir Jugendlichen wollen einen grundlegenden Wandel. Wenn das nicht passiert, werden wir Qeerroo uns wieder erheben."

Proteste der Oromo gegen die Regierung 2016Bild: Getty Images/AFP/Z. Abubeker

Auch der politische Kommentator Mengistu Assefa ist skeptisch: "Ich glaube nicht, dass er eine große Änderung bringen kann", sagt er der DW. Es brauche einen Regimewechsel, um grundlegende politische Veränderungen zu bewirken und den Raum dafür zu erweitern.

Oppositionsvertreter Abraha Desta ist optimistischer: "Es könnte durchaus sein, dass der neue Vorsitzende [der EPRDF] es schafft, den politischen Raum auszuweiten. Dies wäre sehr wichtig für den politischen Prozess in unserem Land."            

Der Neue braucht Ausdauer                                                                                

Menschenrechtsgruppen in Äthiopien und außerhalb fordern einen schnellen nationalen Dialog. Fesseha Tekle, Äthiopien-Experte von Amnesty International geht noch weiter: "Die letzten drei Jahre waren geprägt von Aufständen, schweren Menschenrechtsvergehen und Folter. Wir erwarten, dass der neue Ministerpräsident Schritte unternimmt, um diese Verstöße zu vermindern."

Dass Abiy, verheiratet und Vater dreier Töchter, ein leidenschaftlicher Besucher der Fitnessclubs von Addis Abeba ist, dürfte ihm in Sachen Kondition in den nächsten Wochen und Monaten entgegenkommen. Mehr noch aber werden ihm angesichts der Fülle an Problemen seine akademischen Qualifikationen nützen: Abiy hat einen Masters-Abschluss in "Change Management" und einen Doktorgrad in Konflikt-Mediation. In einem Interview Ende 2017 sagte der Aspirant programmatisch: "Es ist einfacher, Menschen für die Demokratie zu gewinnen, als sie zur Demokratie zu drängen. Dies kann nur friedlich und über politische Teilhabe gelingen."

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