Äthiopiens schwerer Start in die BRICS-Ära
10. Januar 2024Den letzten Schlag des alten Jahres musste Äthiopien von der Ratingagentur Fitch einstecken: Ende Dezember bescheinigte die Washingtoner Agentur dem ostafrikanischen Land eine noch schlechtere Kreditwürdigkeit ("restricted default"), nachdem die Regierung in Addis Abeba eine Eurobond-Tilgungsrate nicht überwiesen hatte. Äthiopien verhandelt mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über ein Hilfspaket, das dem wirtschaftlich angeschlagenen Land wieder Luft zum Atmen verschaffen soll.
Im neuen Jahr hat sich an der Problemstellung nichts geändert, aber ein Hoffnungsschimmer ist hinzugekommen: Gemeinsam mit vier weiteren Ländern ist Äthiopien formell dem Bündnis der BRICS-Staaten beigetreten. Der Beitritt war Ende August auf dem BRICS-Gipfel in Südafrika beschlossen worden. Ursprünglich stand auch noch Argentinien auf der Erweiterungsliste, bis der Schritt vom neuen Präsidenten Javier Milei kassiert wurde.
Was Äthiopien sich von diesem Beitritt verspricht, fasste Finanzminister Ahmed Shide gegenüber dem chinesischen Staatssender CGTN so zusammen: "Äthiopiens BRICS-Mitgliedschaft ist vor allem ein sehr wichtiger diplomatischer Gewinn für uns. Äthiopien wird weiter mit seinen bisherigen Partnern zusammenarbeiten, das ist wichtig zu wissen. Aber Äthiopien wird auch die Beziehungen mit neuen Partnern wie den BRICS-Staaten massiv ausbauen, deren Wirtschaft rapide wächst."
Äthiopien ist Hoffnungsträger - und steht mit dem Rücken zur Wand
Dass neben Ägypten als weiteres afrikanisches Land ausgerechnet Äthiopien zum Zuge kam, überraschte damals viele: Eher hatte man auf Nigeria als größte Volkswirtschaft gesetzt; oder Afrikas flächenmäßig größtes Land Algerien, das sich von der einstigen Kolonialmacht Frankreich ab- und China und Russland zuwendet. Susanne Stollreiter, die das Büro der den deutschen Sozialdemokraten nahestehenden Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Addis Abeba leitet, glaubt, dass andere Faktoren ausschlaggebend waren: "Äthiopien ist geopolitisch sehr wichtig und besitzt mit seiner großen Bevölkerung auch zukünftig viel Potenzial für ein schnelles Wirtschaftswachstum", sagt Stollreiter der DW.
Doch bevor dieses Potenzial sich für die BRICS-Gruppe auszahlen kann, muss Äthiopien erst einmal seine wirtschaftliche Lage verbessern. Das Land stehe am Rand der Zahlungsunfähigkeit, sagt Stollreiter: "Es drückt die starke Auslandsverschuldung, aber auch der Mangel an ausländischen Devisen und vor allem die galoppierende Inflation, die sich auch auf das alltägliche Leben der Bevölkerung auswirkt." Dazu komme die international schwierige Wirtschaftslage mit den Nachwirkungen der Corona-Pandemie, dem Klimawandel, den Kriegen in der Ukraine und im Nahen Osten.
Tigray und Somaliland: Ein alter Krieg und ein neuer Sorgenfall
Für Äthiopiens wirtschaftliche Probleme ist ein weiterer Krieg mit verantwortlich: In der nördlichen Provinz Tigray kämpften zwei Jahre lang teils von lokalen Regierungen gestützte Rebellenformationen wie die TPLF gegen die Truppen der Zentralregierung und Eritreas. Hunderttausende wurden getötet, die Regierung veranschlagt Kosten in Höhe von 20 Milliarden US-Dollar für den Wiederaufbau.
Der Krieg habe bei den westlichen Handelspartnern das Image des Friedensnobelpreisträgers von 2019, Ministerpräsident Abiy Ahmed, verändert, sagt Lukas Kupfernagel, Büroleiter Äthiopien der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS), die der konservativen deutschen CDU nahesteht. "Unter anderem haben die USA die direkte Entwicklungszusammenarbeit auf ein Minimum reduziert. Deutschland ist da nicht mitgegangen, hat Äthiopien weiterhin die Stange gehalten, was übrigens auch in Äthiopien sehr honoriert wird. Aber der Bürgerkrieg hat dazu geführt, dass die Handelswege verknappt wurden", sagt Kupfernagel der DW. Gut ein Jahr nach Kriegsende spüre man nun zudem, "dass vor allem im Landwirtschaftssektor eine ganze Menge kaputt gegangen ist." In Tigray und der benachbarten Kornkammer Amhara drohten nun Hungersnöte.
In den ersten Tagen der BRICS-Ära dominiert in Äthiopien jedoch ein neuer potenzieller Konflikt die öffentliche Debatte: Am Neujahrstag verkündete Abiy gemeinsam mit dem Präsidenten der autonomen somalischen Region Somaliland, Muse Bihi Abdi, Pläne, wonach Äthiopien den Seehafen Berbera nutzen und dafür als erstes Land die Unabhängigkeit Somalilands anerkennen will. Somalia hat bereits klargemacht, dass es einen solchen Schritt nicht hinnehmen wird.
Alte und neue Handelswege
Ein Verbündeter Äthiopiens in dieser geopolitischen Frage sind die Vereinigten Arabischen Emirate - die ebenfalls zum Jahreswechsel neu zum Kreis der BRICS-Staaten hinzugestoßen sind. Aus Sicht von FES-Expertin Stollreiter ist Äthiopiens Vorstoß zu einer Anbindung an die Weltmeere jedoch eher mit dem generellen Ziel verknüpft, die Wirtschaft wieder ans Laufen zu bringen, indem der Handel ausgebaut wird.
BRICS komme eher als Booster für den Handel mit Staaten am Roten Meer oder sogar Südafrika, China und Brasilien ins Spiel, sagt Stollreiter: "Äthiopien hat aber auch gleichzeitig schon zu vielen Ländern der BRICS+ recht gute Beziehungen. Da ist nun die Hoffnung, dass sich diese vielleicht noch einmal verstärken werden durch die BRICS-Mitgliedschaft und dass es einfacher sein wird, Handelspartnerschaften und auch Investitionen anzuziehen."
Kredite auf Rezept der BRICS-Gruppe
Einer der Gründungsgedanken der BRICS-Gruppe lautet, der westlichen Dominanz in der internationalen Finanzpolitik etwas entgegenzusetzen. Als Antwort auf Weltbank und IWF haben die BRICS-Staaten vor knapp zehn Jahren mit dem Aufbau der New Development Bank (NDB) begonnen. Wenn sie sich einmal vollständig etabliert hat, könnten auch für Äthiopien andere Finanzierungsinstrumente offenstehen, sagt KAS-Experte Kupfernagel: "Wenn man dann sagt, Äthiopien ist vielleicht nicht mehr unbedingt IWF-abhängig und muss nicht mehr den Konditionen gerecht werden, die die USA oder Westeuropa stellen. Wenn die New Development Bank Kredite vergibt, die ohne eine politische Konditionalität verhaftet sind, dann ändert sich natürlich die Gemengelage." An diesem Punkt sei die NDB jedoch noch nicht.
Auch Seife Tadelle Kidane von der südafrikanischen Universität Johannesburg hält die NDB für eine Idee, die die BRICS insgesamt nach vorne bringen könnte. Mit ihrer finanziellen Hilfe könne Infrastruktur errichtet werden, die Wachstum und Stabilität voranbringe. Seife warnt jedoch auch: "Es gibt keine Großzügigkeit in der internationalen Politik und Wirtschaft. Jedes Land strebt nach dem eigenen Vorteil." Äthiopien sei verletzlich und müsse sich daher Flexibilität bewahren.
Mitarbeit: Eshete Bekele