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Çalışkan: "Ich bin von Herzen Aktivistin"

Beria Jülide Danisman20. März 2013

Selmin Çalışkan ist seit März Generalsekretärin von Amnesty International Deutschland. Die türkischstämmige Deutsche spricht im DW-Interview über ihre Pläne. Sie sei bei Amnesty, um internationale Solidarität auszuüben.

Die neue Generalsekretärin vom amnesty-Deutschland Selmin Caliskan (Foto: Paul Zinken/dpa +++(c) dpa - Bildfunk)
Generalsekretärin vom amnesty-Deutschland Selmin CaliskanBild: picture-alliance/dpa

DW: Frau Çalışkan, welchen Akzent werden Sie als neue Generalsekretärin von Amnesty International setzen?

Selmin Çalışkan: Für Amnesty International Deutschland ist die ATT-Kampagne (Arms Trade Treaty) zum internationalen Waffenhandelskontrollabkommen besonders wichtig. Amnesty ist mit einer internationalen Delegation dabei - mit 20 Experten und Expertinnen, die an den Verhandlungen in New York teilnehmen und sich dafür einsetzen, dass der Vertragstext strenger formuliert wird, damit keine Schlupflöcher entstehen. Das ist der eine Strang und der andere Strang bezieht sich natürlich weiterhin auf den Arabischen Frühling. Diesbezüglich richtet sich unser Augenmerk darauf, dass sich die Bedingungen unter Präsident Mursi nicht geändert und nicht gebessert haben. Und darauf, dass die Täter, die sich innerhalb der Sicherheitskräfte eigentlich für das Töten der Demonstranten verantworten müssten, sich bis heute nicht vor Gericht verantworten mussten. Amnesty wird darauf schauen und weiter politischen Druck auf die Verantwortlichen ausüben, damit Präsident Mursi endlich handelt.

Die in New York stattfindende UNO-Konferenz soll einen internationalen Waffenhandelskontrollvertrag aushandeln. Was fordern Sie genau?

Nach 20 Jahren harter Lobbyarbeit von Amnesty International möchten wir, dass es einen internationalen Vertrag gibt. Es sollen keine Waffen mehr geliefert werden, wenn klar ist, dass Menschenrechtverletzungen damit begangen werden. Das ist die internationale Ebene. Auf der nationalen Ebene fordert Amnesty parallel dazu, dass Deutschland für seinen Rüstungsexport eine Menschenrechtsklausel einführt, die rechtsverbindlich ist.

AI-Deutschland: Kampagne für die Kontrolle des WaffenhandelsBild: AI

"Deutschland könnte mehr Flüchtlinge aufnehmen"

Sie haben in den Interviews die Menschenrechtspolitik der Bundesregierung kritisiert. Was macht die Bundesregierung falsch und was soll verbessert werden?

Amnesty sagt, dass sich eine Rüstungsexportoffensive in den letzten Jahren abgezeichnet hat und wir beobachten das mit Sorge - vor allen Dingen, weil auch in Länder Waffen verkauft werden, in denen eklatante Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Zum Beispiel in Saudi Arabien in Bezug auf Meinungsfreiheit. Aber es gilt auch in Bezug auf Ägypten. Da hat es 2011 Waffenlieferungen gegeben. Dorthin sind Kleinwaffenmunition und Teile für gepanzerte Fahrzeuge geliefert worden, die wiederum gegen Demonstranten auf friedlichen Demonstrationen eingesetzt werden können.

Der Syrien-Konflikt und die Lage der syrischen Flüchtlinge sind aktuelle Themen. Unternimmt die Bundesregierung Ihrer Meinung nach genug für die Flüchtlinge?

Es kann immer mehr getan werden. Wir begrüßen es auf jeden Fall, dass die Bundesregierung sich finanziell von Anfang an beteiligt hat, um Menschen in dieser Region sofort Hilfe zukommen zu lassen. Also das sind insbesondere Gelder an Entwicklungshilfe und humanitäre Organisationen, die ganz direkt mit Flüchtlingen arbeiten. Und das andere ist natürlich, dass Deutschland noch mehr Flüchtlinge aufnehmen könnte - vor allen Dingen haben viele syrische Familien auch Angehörige hier in Deutschland. Und da fordern wir, dass ganz unbürokratisch Syrer und Syrerinnen aufgenommen werden.

"Türkei braucht das Recht auf Kriegdienstsverweigerung"

Sie sind die erste türkischstämmige Chefin von Amnesty International Deutschland. Wird die Menschenrechtslage in der Türkei auch ein Schwerpunkt Ihrer Arbeit sein?

Natürlich interessiert mich auf jeden Fall die Menschenrechtslage in der Türkei. Aber mich interessiert auch die Menschenrechtslage in anderen Ländern. Und ich kann nur sagen, ich bin ja bei Amnesty, weil ich einfach dieses Gefühl lebe, internationale Solidarität ausüben zu wollen. Und das bezieht sich natürlich nicht nur auf die Türkei sondern auch auf andere Länder, in denen Menschenrechtsverletzungen stattfinden. Aber natürlich gucke ich mit einem Auge noch immer auf die Schlagzeilen der türkischen Zeitungen, wenn ich morgens an Zeitungsständern vorbeigehe.

Wie bewerten Sie die Menschenrechtslage in der Türkei?

Zum einen gibt es Friedensverhandlungen mit der PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) - ich finde, die sind lange Jahre eingefroren gewesen und dann immer wieder unehrlich geführt worden. Und ich denke, das ganze Thema PKK ist auch instrumentalisiert worden, um andere Menschen mundtot zu machen - zum Beispiel Journalisten. Da gibt es Antiterror-Paragraphen, die nicht nur für PKK-Mitglieder gelten, sondern die Meinungsfreiheit insgesamt bedrohen, die werden sehr weit gegen alle Menschen ausgelegt, die irgendwie die türkische Regierung und ihre Politik kritisieren. Und das läuft falsch, finde ich. Und dann gibt es natürlich auch das Recht auf Kriegdienstsverweigerung in der Türkei immer noch nicht. Das ist ein großes Thema, auch für Amnesty. Und Diskriminierung von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender-Personen, die sehr weit verbreitet ist in der Türkei.

Will sich auch für die Migranten in Deutschland einsetzen - Selmin CaliskanBild: picture-alliance/dpa

"Ich bin eine Aktivistin"

Sie wollen, dass sich mehr Einwanderer bei Amnesty International Deutschland engagieren. Wie wollen Sie sie motivieren?

Ich werde auf jeden Fall die Angebote von türkischen Medien annehmen, die mit mir Interviews machen wollen oder mich zu Diskussionen einladen. Es gibt viele Institutionen inzwischen in Deutschland, die sich um Migrationsthemen kümmern, aber auch eigene Vertretungen der Migranten Gruppen. Da werde ich natürlich hingehen und sehen, was ich für Amnesty, im Sinne von Amnesty, dort machen kann. Daran habe ich großes Interesse.

Sie kämpfen seit Jahren für Menschen- und Frauenrechte. Wie haben Sie begonnen in diesem Bereich zu arbeiten? Was war Ihr Impuls?

Das lag an der eigenen Betroffenheit als türkische Familie, als sogenannte Gastarbeiter-Familie. Als wir damals in Düren groß geworden sind - ich und meine Schwestern - habe ich immer wieder mitbekommen, wie wir angeschaut wurden, wie wir behandelt werden als türkische Familie. Das hat mir sehr wehgetan. Innerhalb der Familie wurde ich als Mädchen einerseits ernst genommen und andererseits habe ich, je älter ich wurde natürlich diesen patriarchalen Druck - wie man als türkisches Mädchen sein soll, was man tun soll, wie man leben muss - zu spüren bekommen, und dagegen habe ich mich gewehrt. Ich habe mich gegen beides gewehrt. Das hat mich veranlasst, den Mädchentreff aufzubauen. Also Mädchen und junge Frauen, die auch aus Migrationsfamilien kommen, zu unterstützen auf ihrem eigenen Lebensweg.

Was wird sich durch Sie bei Amnesty International Deutschland ändern?

Das weiß ich noch nicht, was anders sein wird. Was ich vielleicht sagen kann: ich bin von Herzen eine Aktivistin und das werde ich als Generalsekretärin weiterhin bleiben. Also ich werde weiter an Aktionen auf der Straße teilnehmen, mit Amnesty Gruppen zum Beispiel, mit der Basis. Da fühle ich mich wohl.

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