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Gesellschaft

Öffentliches Coming-Out eines nepalesischen Bloggers

Esther Felden
1. März 2018

Vor einer Woche hat Lex Limbu sein Video auf Youtube veröffentlicht. 17 Minuten, auf Englisch und Nepali. Erstmals spricht der nepalesische Blogger über seine Homosexualität. Mit den Reaktionen hätte er nicht gerechnet.

Der nepalesische Blogger Lex Limbu
Bild: Privat

Er trägt eine kurze, weiße Hose und ein helles Shirt, sitzt auf dem Boden in einem Wald im Norden Nepals, blickt direkt in die Kamera. Dann spricht er, mit einem Lächeln. "Ich bin 25 Jahre alt und so selbstbewusst wie noch nie in meinem Leben. Ich bin Sohn, Bruder und Freund. Und ich bin schwul. Na und?" Ein kurzes Statement, ganz schlicht. Und gleichzeitig so schwer. Lange hat Lex Limbu sich nicht getraut, diese Worte öffentlich auszusprechen. So wie viele andere auch in seiner Heimat.

Zwar ist Homosexualität in Nepal seit über zehn Jahren offiziell legal, das steht sogar mittlerweile explizit in der Verfassung. Und es gibt Überlegungen, gleichgeschlechtliche Ehen anzuerkennen. Gesellschaftlich aber ist das Thema bei der Mehrheit der Bevölkerung immer noch ein Tabu. Homophobie ist weit verbreitet. Dazu kommt: Auch und insbesondere innerhalb der eigenen Familie sind Schwule oder Lesben oft nicht geoutet, berichtet Limbu der DW. Um Klischees und Vorurteile zu bekämpfen ist es deshalb besonders wichtig, dass die Community starke und möglichst prominente Fürsprecher hat, findet er.

Sunil Babu Pant und Lex Limbu kennen sich, hatten noch Anfang dieser Woche Kontakt zueinanderBild: Getty Images/AFP/P. Mathema

Der wohl prominenteste war Sunil Babu Pant. Der ehemalige Politiker war der erste nepalesische Parlamentsabgeordnete, der sich öffentlich outete. Über Jahre kämpfte er für die Rechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Intersexuellen oder Transgender. 2001 gründete er die Hilfsorganisation "Blue Diamond Society", die bis heute aktiv ist und mittlerweile 35 Büros im ganzen Land hat. Wegen Korruptionsvorwürfen geriet die "Blue Diamond Society" 2012 in die Kritik. Zwar wurde kein Verfahren gegen die Organisation eingeleitet. Pant aber entschloss sich trotzdem, abzutreten und ins Ausland zu gehen. 

Allein mit Unsicherheit und Selbstzweifeln

Auch Lex Limbu ist kein Unbekannter: Mit seinem Blog lexlimbu.com erreicht er zigtausende Fans. Allein auf Facebook hat er fast 115.000 Follower. Er schreibt über ganz unterschiedliche Themen, die alle mit Nepal zu tun haben. Auch über Homosexualität berichtet er immer wieder – bis jetzt allerdings, ohne sich dabei öffentlich zu outen. Innerhalb der Community sei es allerdings schon lange kein Geheimnis mehr gewesen. Der Umgang untereinander sei dort sehr offen. Er selbst weiß seit dem Teenageralter, dass er schwul ist. Keine leichte Zeit, sagt er heute. "Als Jugendlicher empfindet man so viel Druck. Dazu zählt auch die Frage, wen man liebt: Jungen oder Mädchen. Ich habe mich immer gefragt, ob ich den Erwartungen meiner Umwelt gerecht werden kann. Ob ich der Mensch sein kann, der ich in ihren Augen sein soll." Fragen, die ihn an sich selbst zweifeln ließen.

Im Jahr 2007 beschloss die nepalesische Regierung mehr Rechte für sexuelle Minderheiten - auch in der neuen Verfassung ist das verankertBild: picture alliance/Photoshot

Er möchte, dass es andere leichter haben, in der Pubertät oder auch danach. Der Alltag von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Intersexuellen oder Transgender liegt ihm am Herzen. Auch wenn er selbst die meiste Zeit weit weg ist. Limbu lebt schon lange nicht mehr in Nepal. Als er zwei Jahre alt war, gingen seine Eltern mit der Familie nach Brunei. Im Jahr 2000 zogen sie dann nach Großbritannien. Seine zweite Heimat. Er hat in London studiert, hat einen Master in Tourismus, Umwelt und Entwicklung. Trotzdem ist die Verbindung nach Nepal stark. Einmal pro Jahr reist er in die Heimat, blieb einmal auch für ein ganzes Jahr dort. Nicht zuletzt deshalb ist auch sein Coming-Out-Video dort entstanden. In dem Video spricht er abwechselnd Englisch und Nepali, vielleicht um zu zeigen, dass der Begriff Heimat für ihn doppelt belegt ist.

Der Moment der Wahrheit

Seine eigene Familie ist eher modern und offen als altmodisch und traditionell, sagt er. Trotzdem fürchtete auch er sich lange, mit seinen Eltern darüber zu sprechen, dass er schwul ist. Erst im vergangenen Sommer fasste er sich ein Herz. "Im Juli habe ich es ihnen gesagt, zwei Monate, bevor wir den Film gedreht haben. Es war ein Schock für sie. Ich hatte insgeheim gehofft, dass sie wie viele andere vielleicht längst eine Vermutung hatten – weil ich ja auch immer wieder über solche Themen schreibe. Aber leider haben sie sich dabei nie etwas gedacht. Sie waren verwirrt und total überrascht. Am Ende des Tages war dieses Gefühl dann einem Moment der Traurigkeit gewichen."

Lex Limbu bei der Gay Pride 2011 in Nepal: Die Community hält zusammen Bild: Privat

Die Eltern waren vor allem besorgt. Sie hatten Angst, dass es ihrem Sohn schlecht ging, dass er unter seiner Situation leiden würde. Er aber versicherte ihnen, dass er glücklich ist. Mit sich im Reinen, als schwuler Mann. Und sie fragen sich, warum er sich ihnen nicht früher anvertraut hatte. Immerhin ist das Verhältnis zwischen ihnen sehr eng. Mit seinen Eltern hat Lex Limbu großes Glück, das weiß er selbst. Ihre Reaktion ist eher die Ausnahme als die Regel. Von Anfang an standen sie zu ihm, ohne Fragezeichen. "Das Wichtigste, was sie mir gesagt haben, war: Wir sind immer für dich da und unterstützen dich. Wir geben uns gegenseitig Halt. Das hat mir so viel bedeutet." 

Emotionale Bilder im Film

Dass das Ganze für die Eltern aufwühlend und emotional nicht einfach war, das wird auch in dem Youtube-Film deutlich: Dort tritt auch seine Mutter auf. Vor einem komplett weißen Hintergrund spricht er mit ihr über den Moment, als sie von seiner Homosexualität erfuhr. Beide weinen, halten sich immer wieder in den Armen. Es sei das einzige Mal überhaupt gewesen, dass er im Zusammenhang mit seiner Homosexualität eine Träne vergossen habe, so Limbu. Am Ende bedankt er sich bei seiner Mutter für ihr Verständnis, wiegt sie liebevoll. Diese kurze sehr persönliche Sequenz ist die wohl stärkste des Films.

Jedes Jahr einmal reist Lex Limbu in sein Heimatland, die Verbindung zu Nepal ist tiefBild: Privat

Das Video hat ihm viel neue Kraft gegeben. Kraft, die er auch an seine Eltern weitergeben möchte. Denn jetzt ist er es, der sich Sorgen um sie macht. Vor ihnen könnten nach der Veröffentlichung des Videos schwierige Tage liegen, glaubt er. "Viele Menschen werden den Film sehen, darunter auch Verwandte." Er fürchtet, dass sie seinen Eltern unangenehme Fragen stellen könnten. Und dass das zu einer Belastungsprobe für die ganze Familie werden könnte. Bislang allerdings fallen die meisten Reaktionen positiv aus, auch aus dem näheren Umfeld.

"Eine Inspiration für andere"

Knapp 50.000 Mal wurde das Youtube-Video bislang angeklickt, innerhalb von fünf Tagen. Und fast 400 Kommentare hat Limbu dafür allein auf dieser Plattform bekommen. Mit so vielen Rückmeldungen hätte er selbst gar nicht gerechnet. Und: Die große Mehrheit der User ist begeistert und steht hinter ihm.  "Lex, das ist nicht nur dein eigenes Coming-Out, das gleichzeitig auch eine Motivation und ein Vorbild für andere, die sich noch verstecken. Vor allem in Nepal. Ich bin stolz auf dich", heißt es da zum Beispiel. Oder: "Ich habe immer vermutet, dass du schwul bist. Schön, dass du dich endlich geoutet hast. Hoffentlich trägt das Video dazu bei, dass es andere dir gleichtun. Und hoffentlich legalisiert die nepalesische Regierung auch bald die gleichgeschlechtliche Ehe. Das würde Nepal einen Schritt nach vorn bringen."

Auch der Auftritt der Mutter bewegt die User. Viele loben ihre Toleranz und die Tatsache, dass sie zu ihrem Sohn steht. Das sei die wichtigste Botschaft des Films, meint ein User. "Ihre Reaktion sollte andere Eltern inspirieren und dazu animieren, ihren Kindern zuzuhören und sie zu akzeptieren, wie sie sind." Nur vereinzelt finden sich Kommentare wie dieser: "Es gehört viel Kraft dazu, Menschen mit etwas zu konfrontieren, was sie nur schwer verdauen können. Du hast das getan, und das verdient Respekt. Aber es ist für einen Schwulen auch möglich, wieder zu einem normalen Mann zu werden. Eines Tages werden wir uns treffen. Und dann werde ich dir helfen, deine sexuelle Störung zu überwinden."

Die Transgender-Szene in Nepal sei viel selbstbewusster als die schwul-lesbische Gemeinde, sagte LimbuBild: picture alliance/AP

Mit sich im Reinen

Viele schreiben auch, was Lex Limbu selbst schon lange vermutet hatte: dass seine Homosexualität ein offenes Geheimnis war. Dass viele seiner Follower das insgeheim längst wussten. Innerhalb der schwul-lesbischen Community selbst Ihm ging es aber vor allem darum, Fakten zu schaffen. Den Schritt zu gehen, von dem es kein Zurück mehr gibt. Und an andere zu appellieren, Homosexualität als etwas Natürliches anzusehen. Auch in einem Land wie Nepal.

"Ich denke, niemand würde sich einfach aussuchen, schwul zu sein. Aber ich bin nun mal schwul, und ich sage das mit Selbstbewusstsein." Das ist einer der ersten Sätze in dem Film. 17 Minuten dauert er insgesamt. 17 Minuten – und für Lex Limbu der Start in ein neues, offen schwules Leben. Er würde es nicht mehr anders wollen.