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Gelten die Naturrrechte noch in Ecuador?

Tim Schauenberg
1. Februar 2022

In Ecuador sind erneut tausende Liter Öl aus einer Pipeline ausgelaufen und verseuchen Wasser und Böden. Dabei hat Ecuador schon vor Jahren der Umwelt besondere Rechte eingeräumt. Wie kann das sein?

Nahaufnahme eines ölverschmierten Stiefels im Wald
Helfer versuchen, die Ausbreitung des giftigen Öls zu verhindernBild: AFP via Getty Images

Nach schweren Regenfällen ist durch einen Erdrutsch in der östlichen Provinz Napo im ecuadorianischen Amazonas eine Öl-Pipeline beschädigt worden, bei der nach Regierungsangaben eine "riesige Menge" Öl ausgelaufen ist. Umliegende Wasserquellen und Flüsse seien kontaminiert worden, teilte das Umweltministerium mit. Wie viel der giftigen Substanzen in die Umwelt geraten ist, ist bisher unklar.

Der Betreiber Oleoducto de Crudos Pesados (OCP) stellte daraufhin die Förderung bis auf weiteres ein. Der Vorstandsvorsitzende von OCP, Jorge Vugdelija, machte "höhere Gewalt" für den Vorfall verantwortlich und gab bekannt, dass die Reparaturen an der gebrochenen Pipeline inzwischen begonnen hätten und dass "das Rohöl in Auffangbecken gesammelt worden sei.

Das ausgelaufene Rohöl hat sich schnell über die Wasserwege ausgebreitetBild: NICOLAS MAINVILLE/AMAZON FRONTLINES/REUTERS

Doch das Öl habe bereits Flüsse rund 300 Kilometer weit vom Unfallort entfernt erreicht, so die Vereinigung der Indigenen Nationalitäten des ecuadorianischen Amazonasgebietes (Confeniae). Die Wasser- und Nahrungsversorgung tausender indigener Menschen sei jetzt gefährdet. 

Unfälle nur eine Frage der Zeit?

Unfälle mit Rohöl sind keine Seltenheit in Ecuador. Erst vergangenen April sind durch einen Erdrutsch in derselben Region mehr als zwei Millionen Liter Rohöl aus einer Pipeline ausgelaufen und haben Grundwasser, die Böden und Flüsse vor Ort verseucht.

"Regelmäßige Ölverschmutzungen, ob groß oder klein, führen zu einer Anhäufung von Schadstoffen flussabwärts, die die Gemeinden, die Kinder und die Umwelt belasten," so Byron Real, Menschenrechtsanwalt und jahrelanger Verteidiger Indigener Gemeinden in Ecuador und Lateinamerika. Für ihn war ein erneuter Öl-Unfall in der regenreichen Region, in der es häufig zu Erdrutschen kommt, nur eine Frage der Zeit.

Umweltschäden? Aber es gibt doch die Rechte der Natur

Paradoxerweise ist gerade das südamerikanische Land bis heute der weltweite Vorreiter beim Umweltschutz - zumindest auf dem Papier. 2008 verankerte Ecuador als erstes Land die Rechte der Natur in der eigenen Verfassung. Obwohl der Natur damals in einem bahnbrechenden Schritt Rechte garantiert wurden, ist die Durchsetzung bis heute schwierig und langsam. 

Seit Jahren kommt es in der Provinz Napo zu Öl-Katastrophen und bedroht die Ökosysteme vor Ort Bild: Pablo Cozzaglio/AFP/Getty Images

Das läge vor allem daran, dass der Verfassungstext viel zu allgemein gefasst worden sei und nicht abschließend geklärt wurde, was Rechte für die Natur eigentlich im Einzelfall bedeuten, so Craig Kauffman, Politikwissenschaftler an der Universität von Oregon, der seit Jahren zu Naturrechten forscht.

"Statt klarer Vorschriften, die regeln, wie Naturrechte auf nationaler Ebene umgesetzt werden, gab es konkurrierende Rechte, die von Fall zu Fall von den Gerichten entschieden werden mussten," so Kauffman weiter.  Von 20 Fällen, bei denen die Zivilgesellschaft die Rechte der Natur einklagen wollte, konnten 13 gewonnen werden, sieben gingen verloren.

Gerade in der Anfangszeit nach 2008 lehnten die Gerichte fast alle Klagen ab. Gegen den Widerstand der Zivilbevölkerung wurden so Minen-, Öl-Förderungskonzessionen und riesige Monokulturplantagen in ökologisch sensiblen Regionen bewilligt.

Ist das Recht auf Natur gescheitert?

Gescheitert ist das Konzept der Rechte für die Natur laut Kauffmann allerdings nicht. Man könne nicht erwarten, dass sich so eine fundamentale Änderung der Werte über Nacht alles über Nacht ändere. Der Trend in der Rechtsprechung zeigt, dass gerade in den vergangenen Jahren fast in allen Klagen für das Recht der Natur stattgegeben wurden.

Beispielsweise hatte 2011 die Verbreiterung des Vilcabamba Flusses im Süden des Landes durch die Regierung zur Folge, dass nahegelegene Wälder überspült, die lokalen Ökosysteme zerstört und lokale Gemeinden plötzlich in einem Hochwassergebiet lebten. Nach einer Klage der Bewohner forderte das Gericht den Staat auf, die Menschen zu entschädigen und sie vor dem Hochwasser zu schützen. Doch bislang weigert sich die Regierung, das Urteil umzusetzen, so Kauffman.

Ein Sieg für die Rechte der Natur konnte 2018 im Urteil über die Rio Blanco Mine gefeiert werden. Trockene Böden und erhebliche Wasserverschmutzung machten Landwirtschaft für die indigene Bevölkerung dort kaum mehr möglich. Außerdem waren Indigene, die sich widersetzten, Gewalt durch das Unternehmen und der örtlichen Polizei ausgesetzt. Die Richter ordneten Schutzmaßnahmen und eine Einstellung aller Bergbauaktivitäten in Rio Blanco an. Ein wichtiger Erfolg für Wasserschützer auf der ganzen Welt und ein Zeichen, dass kollektive Rechte und Bewegungen erfolgreich sein können.

Der Öl-Sektor bleibt von derartigen Gerichtsbeschlüssen bisher allerdings unberührt.

Einigen Bergbau-Unternehmen wurden hier in der Hochebene Ecuadors die Lizenz für ihr schmutziges Geschäft entzogenBild: ESA

"Es mangelt an politischem Willen, an Verständnis für ökologische Probleme, sowohl auf nationaler als auch auf globaler Ebene. Es fehlt auch an technischen Aspekten in Rechtsprechung. So gibt es zum Beispiel derzeit keinen Ombudsmann, der in der Regierung für die Rechte der Natur eintritt," so Menschenrechtsanwalt Byron Real. Korruption und wirtschaftliche Abhängigkeit vom Öl würden die Umsetzung von Naturrechten schwierig machen.

Die Öl-Förderung ist enorm wichtig für die ecuadorianische Wirtschaft. 2019 machte sie rund 40 Prozent der gesamten Exporte Ecuadors aus und trug 9 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei. Der Großteil der 112 insgesamt Ölfelder befindet sich im Amazonasgebiet, im Osten des Landes.

Der konservative Präsident Guillermo Lasso möchte sowohl den Bergbausektor mit Hilfe privater Investitionen ausbauen und die Ölförderung in Zukunft verdoppeln. Gerade diese Aktivitäten sind in ökologisch sensiblen Gebieten vorgesehen.

Gemeinden fordern mehr Mitsprache

Zwei Wochen vor dem Bruch der Öl-Pipeline im Amazonasgebiet hatte über Vertreter indigener Gemeinden über 350.000 Unterschriften bei einem ecuadorianischen Gericht eingereicht und mehr Mitspracherechte bei der Bewilligung von Bergbau- und Ölförderungsprojekten in ihren Gebieten gefordert.

Eine Entscheidung zugunsten der Gemeinschaften würde einen Präzedenzfall für das auf Zustimmung zu geplanter Großprojekte vor deren Genehmigung schaffen.

Laut der Nichtregierungsorganisation "Amazon Frontlines" wurden in Ecuador zwischen 2005 und 2015 mehr als 1169 Ölverschmutzungen offiziell gemeldet, im Schnitt etwas mehr als 15000 Liter pro Tag; mehr als 80 Prozent davon im Amazonasgebiet, einem der artenreichsten Gegenden der Welt.

Einmal kontaminiert ist die Reinigung der Böden enorm schwierig und teuer. Trotz einiger Reinigungsprojekte seitens der Regierung und der Öl-Konzerne seien insgesamt zwei Drittel des ausgelaufenen Öls nie gereinigt worden, so die NRO.

Damit in Ecuador die Rechte auf Natur in Zukunft umgesetzt werden können, braucht es laut Craig Kauffman vor allem endlich klare Regeln, wie Land genutzt werden darf. Außerdem müssten "die Naturrechtsprinzipien in alle gesetzlichen Vorschriften aufgenommen werden, so dass sie gewissermaßen proaktiv durch das staatliche Recht durchgesetzt werden," so Kauffman und nicht, wie bisher, erst eingeklagt werden müssen, damit sie in Kraft treten. Die Indigenen-Vereinigung Confeniae hat inzwischen angekündigt, den Öl-Konzern auf Entschädigung verklagen zu wollen. 

Auch die Regierung kündigte an, dem Konzern ein Bußgeld aufzulegen. Ohne die sozialen und ökologischen Kosten einzuberechnen, liegt dies zwischen 4,250 und 85,000 US-Dollar und kann bei besonders schweren Vergehen um 50 Prozent erhöht werden.

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