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Politik

Spaßfaktor Schießen

Stephan Ozsváth
28. September 2020

Die Österreicher rüsten auf. Hinter dem Boom bei den privaten Waffenverkäufen steht gefühlte Unsicherheit, meint ein Wiener Waffenhändler.

Reportage Waffenboom in Österreich Waffenhändler Markus Schwaiger
An der Tür des Ladens von Waffenhändlers "Euroguns" im Wiener Bezirk Penzing werden anderthalb Meter Corona-Abstand in Glock-Pistolen und Gewehren gemessenBild: Stephan Ozsváth/DW

"Gehts doch alle schießen", springt das Flugblatt die Kunden von Markus Schwaiger regelrecht an. Im Verkaufsraum des Waffenhändlers "Euroguns" im Wiener Bezirk Penzing stehen Gewehre im Regal. "Abstand halten" rät ein Schild auf dem Tresen in Corona-Zeiten. Die anderthalb Meter werden aber hier in Pistolen und Gewehren gemessen. Waffenhändler-Humor.

Ladenbesitzer Markus Schwaiger überwacht auf Monitoren den Schießstand im Keller. In Schwarz-Weiß sieht er die Zielscheibe und die Köpfe von Christian Ortner, dessen Freundin Irina und ihren vier Kindern. Vor ihnen liegen zwei Pistolen und Patronen, alle tragen Gehörschutz.

"Bumm". Der Knall der Glock-Pistole ist trotz Gehörschutz sehr laut, sie ist Standardwaffe von Bundesheer und Polizei in Österreich, weil das Gehäuse aus Plastik und die Waffe daher leicht ist. "Neun Millimeter", erklärt Besitzer Ortner das Kaliber, während er das Magazin neu befüllt. Am Boden liegen Patronenhülsen.

Christian Ortner hat zwei Waffen mitgebracht, er zeigt auf eine Ruger-Pistole, die neben den Patronen liegt. "Die schießt sehr präzise." Mit der Glock habe er schon beim Bundesheer geschossen, sagt der Schütze der DW. Das Schießen im Keller mache er nur zum Spaß, "die Waffen habe ich von meinem Vater geerbt."

Kunde Christian Ortner mit Pistolen und Munition im SchießstandBild: Stephan Ozsváth/DW

"Man freut sich, wenn man trifft"

Mutter Irina zielt, sie ist das erste Mal im Schießkeller, sofort trifft sie ins Schwarze. Sie jubelt, Ortner lobt. "Es macht Spaß", bestätigt auch Irinas Tochter, "man freut sich, wenn man trifft." Waffentraining mit Spaßfaktor, schon für die Kleinsten.

Ortners jüngerer Sohn betont, "man kann gut lernen, sich zu verteidigen." Auf den Einwand, mit der Waffe, die er gerade wieder lädt, könne er ja auch einen Menschen töten, wendet Mutter Irina schnell ein: "Wir machen das ja nur hier im Keller."

55 Millionen Euro Umsatz

Zum Laden gehört ein Schützenverein, in dem ist Ortner Mitglied. Seine Freunde schössen schon länger, den Waffenboom bestätigt er: "Ich habe auch gehört, dass es jetzt mehr geworden ist." Waffenhersteller wie Glock oder Steyr-Mannlicher machten im letzten Jahr 55 Millionen Euro Umsatz, die Verkaufsprognosen für das Corona-Jahr 2020 und das nächste Jahr sind optimistisch.

Waffenhändler Schwaiger freut sich über den Waffenboom in Österreich. An einem Tag im März hätten die Käufer bis auf die Straße Schlange gestanden, erzählt der Waffenhändler: "Um zehn Uhr morgens war meine letzte Patrone verkauft." Da führte die Regierung von Premierminister Sebastian Kurz die Lockdown-Regeln ein.

Hamsterkäufe bis zur letzten Patrone

Zwischen März und August 2020 erhöhte sich das private Waffenarsenal der Österreicher um 22.000 Schusswaffen, das sind 1000 pro Woche, so der Branchenradar. Heute haben 320.000 Österreicher eine oder mehrere Waffen zu Hause.

Waffenhändler Schwaiger vergleicht den Waffen-Kaufrausch mit den Hamsterkäufen von Nudeln und Toilettenpapier. "Immer wenn eine Unsicherheit da ist", sagt er, "kaufen sich die Leute Waffen oder stocken ihre Munitionsvorräte auf."

Eine klassische Übersprungshandlung, die Sicherheit suggeriert, denn ein Virus lässt sich ja nicht mit einer Pistole bekämpfen. Der frühere Soldat Schwaiger erklärt das Verhalten seiner Käufer mit möglichen Versorgungsengpässen. In einer Pandemie könne bei hohen Infektionsraten die Versorgung mit Strom und Energie zusammenbrechen, es könne zu Plünderungen kommen. Das mache den Menschen Sorgen, die Waffe im Schrank verleihe Sicherheit.

Wie während der Flüchtlingskrise

Das war schon während der Flüchtlingskrise so, als jeden Tag Zehntausende Migranten durch Österreich zogen und zum Teil auch blieben. Damals betrug die private Aufrüstung in Summe 1400 Waffen pro Woche.

Nach einer kleinen Umsatzdelle stiegen die Verkaufszahlen der Hersteller während der Corona-Krise wieder an, 5000 neue Waffenbesitzer sind in diesem Jahr registriert worden. Auch Diskussionen über eine Verschärfung des Waffenrechts führten zu Hamsterkäufen, erklärt der Waffenhändler: "Die wollen sich dann schnell noch eindecken."

Ganz normale Menschen

Angsthasen? Oder Waffennarren? Wer sind die Menschen, die sich mit Waffe sicherer fühlen? Wer sind Schwaigers Kunden? "Da ist ab und zu mal einer dabei, der aus der Prepper-Szene stammt", erzählt der Waffenhändler. Die meisten seien aber "ganz normale Menschen, die sich vielleicht eine Spur mehr Sorgen machen, dass irgendwas sein könnte".

Dass sich Rechtsextreme verstärkt legal bewaffneten, glaubt Schwaiger nicht, die meisten seien mit Waffenverboten belegt. "Die müssten sich dann schon illegal Waffen beschaffen", sagt er. Bei seinen Kunden sei es "auch nicht so, dass da jetzt politische Aspekte besonders durchschimmern würden".

Wenig Gewalttaten mit Schusswaffen

Die Polizei in Österreich sieht das Aufrüsten nicht so gern. Sie befürchtet Unfälle oder schlicht mehr Gewalt. Schwaiger winkt ab. Nur wenige Überfälle auf Kioske würden mit Schusswaffen verübt - und wenn, dann mit illegalen.

Die aktuelle Kriminalstatistik gibt ihm Recht, sie listet für das Jahr 2019 lediglich 357 Gewalttaten auf, bei denen eine Schusswaffe im Spiel war. Ob diese überhaupt benutzt wurde oder nur in der Tasche steckte, sagt die Statistik nicht. Seit Jahren sei die Zahl der Gewalttaten mit Schusswaffen rückläufig, so das Innenministerium in Wien. Bevorzugte Waffe von Gewalttätern ist nach wie vor das Messer.

Auffällige Kunden bekommen nichts

Waffenhändler Schwaiger beteuert, er verkaufe ohnehin nicht jedem eine Waffe. Wer "unter Strom" stehe, auffällig sei, bekomme keine. Wenn ein verlassener Ehemann im Affekt eine Waffe kaufen wolle, sorgten die Spielregeln beim Waffenverkauf - drei Tage "Abkühlphase" zwischen Kaufentscheidung und Aushändigen der Waffe - schon für Entspannung.

Einer Witwe, die nach dem Tod ihres Mannes allein und abseits der Stadt lebt, hat er vom Kauf einer Schrotflinte abgeraten, erzählt Schwaiger: "Die tut sich sonst noch etwas an." Mit einer Waffe müsse man ja schließlich üben. Die Rentnerin verließ den Laden mit einer Schreckschuss-Pistole. "Die schreckt ab und niemand tut sich weh."

Schrotflinten und Jagdgewehre

Die private Aufrüstung in Österreich wird ermöglicht durch das Waffenrecht der Alpenrepublik, in der es traditionell viele Jäger gibt. Gut 130.000 sind es laut Landesjagdverband. Der Zugang zu Jagdwaffen ist leicht, das Gesetz erlaubt es einem 18-jährigen EU-Bürger mit Wohnsitz in Österreich, eine Waffe der "Kategorie C" zu erwerben.

"Das sind vor allem Gewehre über 60 Zentimeter Länge, da brauche ich gar nichts", sagt Schwaiger. Es reiche, zum Waffenhändler zu gehen und einen Kaufvertrag abzuschließen. Dann gebe es die "Abkühlphase": "In diesen drei Tagen überprüfe ich, ob ein Waffenverbot vorliegt, und dann kann er sich die Waffe abholen."

Eine 9-mm-Glock-Pistole Bild: Tim Sloan/AFP/Getty Images

Werbezettel zum Abschied

Zwischen einem Jagdgewehr und einer Waffe, die Scharfschützen verwenden, sei der Unterschied aber nicht mehr sehr groß, meint der ehemalige Soldat Schwaiger. "Im Nachtkasten könne ohnehin keiner eine geladene Waffe lagern", Patronen und Gewehr oder Pistole müssten nämlich gut verschlossen und getrennt aufbewahrt werden.

Eine Glock-Pistole wie die von Christian Ortner gebe es bei ihm nur mit Waffenbesitzkarte, meint Schwaiger. Bedingung dafür ist ein Waffenführerschein - und ein psychologisches Gutachten. Der Waffenhändler bietet auch das an, für unter 400 Euro. Und Schießtraining. Zum Abschied gibt es noch einen Packen Werbezettel, zum Verteilen: "Gehts doch alle schießen".