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Politik

Regierungskrise und Neuwahlen in Österreich

Christian Bartlau
16. Mai 2017

Österreich nach dem politischen Beben: Die Große Koalition zerfällt mit einem Knall und Außenminister Kurz baut sich die ÖVP zu seiner Bewegung um. Aber die Wiener reagieren typisch gelassen, erfährt Christian Bartlau.

Österreich Außenminister Sebastian Kurz
Spitzname "Wunderwuzzi": Österreichs machtbewusster ÖVP-Politiker Sebastian KurzBild: picture-alliance/AP Photo/R. Zak

Am Tag nach der "Revolution" hat sich zumindest die Fassade der ÖVP-Parteizentrale noch nicht verändert: An dem prächtigen Arkadenhaus in der Lichtenfelsgasse im Wiener Ersten Bezirk weisen zwei unscheinbare blaue Schilder mit dem Parteischriftzug den Weg. Darüber flattern die europäische und die rot-weiß-rote Landesfahne im Wind. Kein Hinweis auf den Mann, der seit Sonntag die Partei anführt und damit das gesamte politische System in Österreich in Bewegung bringt.

Außenminister Sebastian Kurz, mit 27 ins Amt gekommen und nun 30 Jahre alt, hat die Macht in der ÖVP an sich gerissen. Schon lange war sie ihm von der Partei-Elite angetragen worden. Der geschwächte Vizekanzler und Parteichef Reinhold Mitterlehner schmiss am 10. Mai entnervt hin - er wollte "kein Platzhalter" sein.

Die ÖVP-Zentrale in Wien lässt nichts von den politischen Verwerfungen hinter ihren Mauern erahnenBild: DW/C. Bartlau

"En Marche" auf Wienerisch

Kurz diktierte derweil öffentlich Bedingungen, und die mächtigen Landes-Chefs seiner Partei erfüllten sie: Die ÖVP tritt bei den Wahlen als "Liste Sebastian Kurz -Die neue Volkspartei" an.  Der neue Mann darf die Bundesliste aufstellen und die Landesliste mit Veto blockieren. Das Regierungsteam bestimmt er allein.

Kurz will eine Bewegung schaffen, ähnlich wie Emmanuel Macron mit "En Marche" - nur eben mit den Vorzügen eines Parteiapparates hinter sich. Und so ganz nebenbei hat Kurz die Regierungskoalition mit der SPÖ von Kanzler Christian Kern platzen lassen. Im Oktober wird es Neuwahlen geben.

Neuwahlen waren unausweichlich

"Das politische Österreich ist ein anderes", schreibt die "Zeit". Die ohnehin stets aufgedrehten Boulevardmedien hyperventilieren seit dem Rücktritt von Parteichef Mitterlehner. Jedes kleinste Detail aus dem Innenleben der ÖVP wird ausgebreitet. Wer die Parteizentrale in der Lichtenfelsgasse fotografiert, erntet wissende Blicke.

"Ein beliebtes Motiv heute", bemerkt ein Passant, über die politische Situation reden will er lieber nicht: "Mir ist's eh wurscht. Am Ende geht es immer nur darum, wer lauter ist."

Nicht auf gleicher Linie: Außenminister Kurz, Vizekanzler Mitterlehner, Kanzler Kern im Juli 2016 im NationalratBild: Imago/Eibner Europa

Diese Verdrossenheit spricht aus vielen, im Februar waren laut einer Umfrage nur 35 Prozent mit der Arbeit von SPÖ und ÖVP zufrieden, die Große Koalition von Angela Merkel erreicht doppelt so hohe Werte. Der ständige Streit innerhalb der Regierung tat sein Übriges, das Klima gilt als vergiftet.

"So wie es zuletzt gelaufen ist, sind Neuwahlen vernünftig", sagt Matthias Osiecki. Der Rentner sitzt unweit der ÖVP-Zentrale in einem Kaffeehaus - also dem Ort, wo in Wien politisiert wird bei Melange und Zigarette. "Aber es war wahltaktisch klug von Kanzler Kern, dass er sich dagegen ausgesprochen hat."

ÖVP "keine moderne Partei"

Die bislang letzte Neuwahl 2008 löste die ÖVP aus – und verlor. Sebastian Kurz geht allerdings als beliebtester Spitzenpolitiker ins Rennen, eine Direktwahl um das Kanzleramt würde er laut einer Umfrage des TV-Senders ATV vom Februar deutlich gewinnen.

"Kurz wird hoch gepriesen, als politisches Talent", sagt Rentner Osiecki. "Aber ich habe meine Zweifel, noch habe ich innenpolitisch nichts von ihm vernommen." Der "Wunderwuzzi", wie der vermeintliche Heilsbringer seiner Partei halb anerkennend, halb spöttisch genannt wird, konzentriert sich erst einmal auf die Reform der ÖVP. Zurecht, sagt Osiecki: "Anders als die CDU ist das keine moderne Partei. Und der Verschleiß der Parteivorsitzenden war enorm." Vier Vorsitzende hat das Arkadenhaus in der Lichtenfelsgasse in zehn Jahren kommen und gehen sehen.

Kaum Hoffnung auf Veränderungen

Der Weg ins Bundeskanzleramt ist weit für Sebastian Kurz. Und er ist beschwerlicher als für jeden Spaziergänger, der ihn zu Fuß zurücklegen kann: am Wiener Rathaus mit seinen neogotischen Türmen entlang Richtung Burgtheater und dann durch den Volksgarten.

Dort müssen die Touristen heute immer wieder vor dem Regen unter den Theseustempel fliehen. Das April-Wetter hat Wien auch im Mai noch im Griff.

Ruhe vor dem Sturm am Wiener KanzleramtBild: DW/C. Bartlau

Helgis Knirsch führt hier ihren Hund spazieren. Die Pensionärin ist nicht überrascht von den Neuwahlen: "So ging's nicht weiter. Die Regierung hat ja nicht regiert." Wirklich etwas ändern werde sich aber nicht, sagt die 74-jährige. "Es gab schon etliche Ankündigungen, am Ende war es wieder das Gleiche." Für die Wahl erwartet sie einen Dreikampf zwischen SPÖ, ÖVP und der FPÖ. Zuletzt lagen die drei Parteien fast gleichauf bei 26 bis 28 Prozent.

Streit und Ermahnungen

Knirsch schlägt mit ihrem Hund den Weg zum Ballhausplatz ein, dort, wo Kanzleramt und Präsidentschaftskanzlei sich Tür an Tür gegenüberliegen. Drei Kamerateams stehen bereit. Am Abend lud Bundespräsident Alexander van der Bellen Kanzler Kern und Kurz zum Dreiergespräch. Er drängt auf eine gute Zusammenarbeit bis zu den Neuwahlen, die wohl im Oktober abgehalten werden.

Doch schon jetzt gibt es Streit: Die SPÖ will Kurz in den Sitz des Vizekanzlers drängen, der will sich aber nicht die Hände schmutzig und den Wahlkampf schwerer machen.

Befürchtet einen schmutzigen Wahlkampf: der Wiener Student Leonard SoldoBild: DW/C. Bartlau

Der wird sehr hart werden, vermutet Leonard Soldo. Der Jura-Student sitzt im Innenhof der Universität Wien, nur wenige hundert Meter vom Kanzleramt entfernt. Wahlplakate säumen den Weg an der Ringstraße entlang, die Studenten wählen in diesen Tagen ihre Uni-Vertretungen.

"Es wird schnell untergriffig werden"

Doch Soldo treibt auch die Lage in der Bundespolitik um, er hätte sich gewünscht, dass SPÖ und ÖVP sich noch einmal zusammenraufen.

Doch nun wird schon im Sommer der Wahlkampf beginnen. "Sobald der Termin feststeht, wird es schnell untergriffig werden". Der 19-jährige befürchtet Beleidigungen von allen Seiten . Für ihn werden es die ersten Nationalratswahlen, bei denen er seine Stimme abgeben kann.

"Ich habe Sorge, dass die FPÖ gewinnt und Österreich weniger tolerant wird." Er beobachtet einen Trend zu nicht-rationalen Entscheidungen bei Wahlen in Europa und in der Welt. "Da wird polemisiert und populistisch gearbeitet und Entscheidungen werden ad hoc und nur kurzfristig getroffen." Ob sich da auch Kurz einreiht? Noch hat er sein Programm und die Köpfe dahinter nicht vorgestellt.

Obwohl die Medien schon munter spekulieren, gilt für die Wiener an diesem Tag: abwarten, Kaffee trinken.

Eines scheint inzwischen aber gewiss, der Wahltermin. Die österreichischen Parlamentsparteien verständigten sich auf den 15. Oktober als Termin für die vorgezogene Parlamentswahl.

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