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Politik

"Normale Härte" in Österreich

Christian Bartlau
18. April 2018

Die Rechtsausleger der FPÖ müssen sich sprachlich an ihre neue Regierungsrolle gewöhnen. Inhaltlich aber rücken sie keinen Deut vom Anti-Ausländer-Kurs ab - ihre Positionen sind schon lange Mainstream in Österreich.

Deutschland Flüchtlinge am Grenzübergang in Schärding
Bild: picture-alliance/dpa/C. Bruna

Der Provokateur von einst ist kaum wiederzuerkennen. Wie ein nüchterner Beamter präsentiert Österreichs Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ an diesem Mittwoch vor Journalisten sein neues Asylpaket: Lücken im Vollzug würden geschlossen, sagt Kickl, mit diesem Versprechen sei die Regierung schließlich angetreten. "Wir wollen möglichst restriktive Asylpolitik machen."

Nur ein einziges Mal stichelt er gegen "Integrationsfantasten", da schimmert der alte Herbert Kickl durch - der begnadete Polemiker, der schon Jörg Haider als Redenschreiber griffige Parolen in den Mund legte und an der Seite des jetzigen Parteichefs Heinz-Christian Strache von Wahlerfolg zu Wahlerfolg eilte, mit Slogans wie "Daham statt Islam" und "Abendland in Christenhand".

Seit der erst 31-jährige Sebastian Kurz im Dezember eine Regierung mit Kickls FPÖ gebildet hat, fremdelt die langjährige Oppositionspartei mit ihrer neuen Rolle. Auch Herbert Kickl hatte seine Schwierigkeiten. Im Januar forderte er, Asylbewerber "konzentriert" an einem Ort unterzubringen. Selbst auf Nachfrage wollte er die Kritik an seiner Wortwahl nicht verstehen.

Er ist seitdem vorsichtiger geworden. Rhetorisch. Nicht inhaltlich. Denn gerade bei ihren Leib-und-Magen-Themen Migration und Asylpolitik gelten die Rechtsaußen schon lange nicht mehr als radikal sondern als Meinungsführer. Die Verschärfung des Asylrechts, die Kickl heute ankündigt, sorgt nicht einmal mehr für Aufsehen in einem Land, das kollektiv nach rechts gerückt ist.

Demonstrative Harmonie: Kanzler Kurz (ÖVP), Vize-Kanzler Strache (FPÖ) und Innenminister Kickl (FPÖ)Bild: Getty Images/AFP/R. Schlager

"Quick wins" für die Regierung

Der Wiener Politikberater Thomas Hofer sieht im Gespräch mit der Deutschen Welle die Regierung "gemessen an der Mehrheitsmeinung auf dem richtigen Dampfer". Ein gutes Indiz dafür: Die Opposition hält sich mit Kritik auffällig zurück. Zumal Österreich keinen Sonderweg geht: So soll Flüchtlingen etwa Bargeld abgenommen werden – wie in Dänemark und auch einigen deutschen Bundesländern. Die Geodaten von Handys sollen zur Überprüfung der Fluchtroute herangezogen werden, auch das gängige Praxis in Deutschland. Heikler wird es da schon bei der Anordnung an Krankenhäuser und Ärzte, Auskunft über die Dauer der Behandlung von Asylbewerbern zu geben.

Die Ärztekammer hat Bedenken angemeldet, weil schon diese Information der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen könnte. Lauter wird der Widerspruch derzeit nicht. Selbst dann nicht, wenn Innenminister Kickl wie vergangene Woche einen "großen Wurf" in der europäischen Asylpolitik fordert. Seine Vision: Keine Asylanträge mehr auf europäischem Boden.

Auch das dürfte in Österreich mehrheitsfähig sein. Eine große Studie zur Parlamentswahl im Oktober 2017 ergab: Die alles überragenden Themen waren Migration und Integration, vor allem für die Wähler und Wählerinnen von ÖVP und FPÖ.

Verschäften Asylpolitik: Kopftücher sollen für Mädchen in Kindergarten und Grundschule künftig verboten werdenBild: picture-alliance/dpa/W. Kastl

Dementsprechend schnell setzt die Koalition in den ersten Monaten ihrer Amtszeit wichtige Duftmarken: Die aktuelle Verschärfung des Asylrechts wird flankiert vom geplanten Kopftuchverbot für Mädchen in Kindergärten und Grundschulen. Außerdem kürzt die Regierung massiv bei der Integration. "Das sind Quick Wins für die Regierung. Da können beide auch ihre Klientel bedienen", sagt Politikexperte Thomas Hofer.

Ein Land rückt nach rechts

Eine solche Politik war 1993 noch kein "Gewinnerthema" in Österreich. Damals initiierte die FPÖ-Überfigur Jörg Haider ein Volksbegehren namens "Österreich zuerst" mit 12 Forderungen, darunter ein sofortiger Einwanderungsstopp. Sozialdemokraten und auch die ÖVP sprachen sich vehement gegen das Volksbegehren aus, beim sogenannten "Lichtermeer" protestierten 250.000 Menschen gegen die FPÖ, die größte Demonstration der Nachkriegszeit in Österreich.

Nur rund 8 Prozent der Wahlberechtigten unterstützten Haider - eine krachende Niederlage. Heute sind Teile der Forderungen von damals bereits umgesetzt, die Regierung arbeitet aktuell an einer weiteren: der Einrichtung von eigenen Klassen für Kinder, die nicht gut genug Deutsch sprechen. "Inhaltlich hat sich die FPÖ auf ganzer Linie durchgesetzt", sagt Politikberater Thomas Hofer.

Spätestens im vergangenen Wahlkampf schwenkte auch die christlich-soziale ÖVP unter ihrem Spitzenkandidaten Sebastian Kurz auf die Linie der Rechten um - so offensichtlich, dass die FPÖ auf ihren Wahlplakaten empfahl, "Original statt Kopie" zu wählen, also Heinz-Christian Strache statt Sebastian Kurz.

Österreichs Behörden dürfen künftig Daten aus Handys von Flüchtlingen auslesen Bild: picture-alliance/dpa/S. Kahnert

Der Shootingstar der österreichischen Politik hatte im Flüchtlingssommer 2015 eine 180-Grad-Wende hingelegt: Als Außen- und Integrationsminister legte Kurz noch Wert auf "mehr Willkommenskultur" im Land, bis er sich plötzlich als Gegenspieler von Angela Merkel inszenierte. Noch 2013 widersetzte er sich im Parlament einem Antrag der FPÖ auf ein Burka-Verbot. Das sei eine "künstliche Debatte", sagte Kurz damals.

Vier Jahre später war er maßgeblich an einem Gesetz gegen die Vollverschleierung beteiligt. Erlassen wurde es, wohlgemerkt, noch unter der Großen Koalition und dem SPÖ-Bundeskanzler Christian Kern. Politikberater Thomas Hofer legt Wert auf die Feststellung, dass seit Haiders Volksbegehren nicht nur die ÖVP nach rechts gerückt ist. "Das gesamte politische Spektrum. Auch die SPÖ hat da mitgemacht." 

Hat die Harmonie eine belastbare Basis?

Noch immer herrschen in Teilen der Kanzlerpartei ÖPV große Bedenken gegen die FPÖ vor, öffentlich äußern sich dazu bislang aber nur die mächtigen Landesfürsten, etwa Tirols Landeshauptmann Günther Platter. Die Regierungsmannschaft in Wien schweigt, selbst wenn die Rechten der Koalition mal wieder einen Skandal bescheren, wie in der Affäre um antisemitische Liederbücher in Burschenschaften, denen auch FPÖler angehören.

Österreich 1993: Damals demonstrierten noch 250.000 Menschen gegen FPÖ-Forderungen nach verschärftem AsylrechtBild: picture-alliance/dpa

"Klar wird die ÖVP manchmal schaudern, was da von der FPÖ kommt. Aber über allem steht die Harmonie in der Koalition", sagt Thomas Hofer. Und nirgendwo sind die beiden Parteien harmonischer beieinander als in der Migrationspolitik, wo sie die neue österreichische Härte in Eintracht demonstrieren können. Die großen Reformen, die Bundeskanzler Sebastian Kurz versprochen hat, stehen allerdings noch aus. Zum Beispiel in der Sozialpolitik, in der FPÖ und ÖVP traditionell eine andere Klientel ansprechen, die Rechten den "kleinen Mann", die Konservativen eher die Großverdiener. Erst dann wird man sehen, wie weit es wirklich her ist mit der Harmonie in der Regierung - und ob die Provokateure von einst wirklich angekommen sind in ihrer Rolle.

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