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Politik

Österreich: Der Anti-Merkel kurz vorm Ziel

Christian Bartlau
11. Oktober 2017

In Österreich geht der Wahlkampf in den Endspurt - und der 31-jährige Sebastian Kurz als Favorit in den Sonntag. Er hat sich als Anti-Merkel positioniert und begeistert seine Unterstützer mit einer simplen Botschaft.

Österreich Wahlkampf | Wahlkampf ÖVP in Wien
Jung und dynamisch - das "Team Kurz" im StraßenwahlkampfBild: DW/C. Bartlau

Sebastian Kurz würde hier nicht weiter auffallen. Er trüge wohl auch eine türkisfarbene Jacke mit dem "Team-Kurz"-Schriftzug über dem obligatorischen Anzug und er hätte wahrscheinlich auch eine schwarze Sonnenbrille im Gesicht. Der mögliche neue Kanzler Österreichs wäre also auf Anhieb nicht einmal zu erkennen im Wahlkampfteam seiner Partei. Die Freiwilligen, die vor dem Wiener Schottentor im Wahlkampf-Endspurt Flyer, Snacks und Kugelschreiber verteilen sind alle im Studentenalter.

Mit seinen glattrasierten Gesichtszügen und den rosigen Wangen wirkt der konservative Spitzenkandidat Kurz wesentlich jünger als 31 Jahre. Bis Mai stand er noch der JVP vor, der Jugendorganisation der ÖVP - bis er die gesamte Partei übernahm, als bisher jüngster Parteichef der Geschichte. 

Favorit fürs Wiener Kanzleramt: ÖVP-Shooting-Star Sebastian KurzBild: Getty Images/AFP/J. Klamar

Kurz ist schnell erwachsen geworden und hat noch schneller Karriere gemacht. In einem Alter, in dem Andere im Straßenwahlkampf Passanten Flyer in die Hand drücken, hat er sich zum konservativen Hoffnungsträger aufgeschwungen, zum Spitzenkandidaten der ÖVP und Favoriten bei der Nationalratswahl am Sonntag. Seine simple Botschaft hat einen Nerv getroffen: Es ist Zeit für Neues.

Ein junges Gesicht gegen den Überdruss

"Die Menschen sind der etablierten Politik überdrüssig", sagt der Politologe Peter Filzmaier von der Donau-Universität Krems im Gespräch mit der Deutschen Welle. Bei der Bundespräsidentenwahl 2016 scheiterten die Kandidaten der Großparteien im ersten Wahlgang, SPÖ-Kanzler Werner Faymann wurde weggeputscht.

Nachfolger Christian Kern versuchte es mit klaren Ansagen und einem frischen Stil, der ihm Vergleiche mit Everybody's Darling Justin Trudeau einbrachte, dem kanadischen Premier. In den Umfragen zog die SPÖ an, heute liegt sie wieder bei den 26, 27 Prozent, die der blasse Faymann 2013 holte. "Die Sehnsucht wirkte damals auch für Kern", sagt Politologe Filzmaier im Rückblick. "Leider - aus seiner Sicht - ist das schon über ein Jahr her."

Auch FPÖ-Spitzenkandidat Heinz-Christian Strache ist im Umfragen-HöhenflugBild: Reuters/H. P. Bader

Bei Sebastian Kurz, der im Mai dieses Jahres die ÖVP übernahm, hält der Hype noch an. "Bei ihm verstärkt sich der Effekt durch so banale Dinge wie seine Jugend." Schon seit über einem Jahr ist er der beliebteste österreichische Politiker, über alle Bevölkerungsgruppen hinweg. Sein Erfolgsgeheimnis: Er war als Außenminister zwar Mitglied der unbeliebten SPÖ/ÖVP-Regierung, schaute sich die Schlammschlachten aber stets aus der Ferne an. Auf der Weltbühne steigerte er seine Bekanntheit - als er 2013 als 27-Jähriger das Amt übernahm, kannten ihn nur Insider. Zwei Jahre zuvor war er zum Staatssekretär für Integration gemacht worden, was die linksliberale Zeitung "Standard" schlicht "Verarschung" nannte.

Der Anti-Merkel

Kurz war damals als Krawallo verschrien, als Karrierist. Aufgewachsen im Wiener Arbeiterbezirk Meidling als Einzelkind, Mutter Lehrerin, Vater Ingenieur, wollte er mit 16 in die Bezirks-ÖVP eintreten und wurde barsch abgewimmelt: "Komm wieder wenn Du studierst." In der Organisation im Ersten Bezirk hatte er mehr Glück. Dort stieg er schnell auf - 2008 übernahm er die JVP Wien, ein Jahr später die Bundes-JVP. 2010 charterte er im Wiener Wahlkampf das "Geilomobil" und veranstaltete Partys unter dem Motto: "Schwarz macht Geil".

Die Zuwanderung dominiert auch die Wahlkampf-Debatten in ÖsterreichBild: picture-alliance/dpa/H. Fohringer

Sein Jura-Studium brach er ab, als er Staatsekretär für Integration wurde. Einmal im Amt, überraschte er seine Kritiker - mit Programmen zur Förderung von Migranten und dem Satz, es brauche "mehr Willkommenskultur in Österreich". 2013 ins Außenministeramt gewechselt, machte er das Thema zur Chefsache: Er ließ die Integration aus dem Innen- in sein Außenressort verlegen. Und änderte seine Meinung: Im Flüchtlingssommer 2015 positionierte er sich klar gegen Angela Merkels "Wir schaffen das!". Das machte ihn zum Star, in Österreich wie in Deutschland, wo er in der Talkshow "Anne Will" und auf dem Landesparteitag der CSU auftreten durfte.

"Kurz macht den Rost weg"

 "Er hat in der Migrationsfrage die richtigen Lösungen", sagt Michael Brandstetter, der mit einem freundlichen Lächeln im Gesicht am Wiener Schottentor für das "Team Kurz" Flyer verteilt. Anders als die meisten seiner Mitstreiter ist er nicht Mitglied in der JVP, sondern als Freiwilliger hier. Überzeugt habe ihn der "neue Stil" von Kurz, wie er sagt. "Er legt den Fokus auf die Inhalte, er will nicht nur andere schlechtreden." Der 25-Jährige Brandstetter ist künstlerischer Unternehmer in der Musikbranche, und benutzt ein Bild, wenn er über den Politikapparat im Land spricht: "Es ist wie ein alte Maschine, nichts dreht sich, alles klemmt. Und Sebastian Kurz macht den Rost weg."

Einzelkind mit Machtinstinkt: Kurz ist der beliebteste österreichische PolitikerBild: Getty Images/AFP/G. Hochmuth

Im Fall der ÖVP, lange Zeit auch so eine rostige Maschine, hat er ihr nicht nur einen neuen Anstrich verpasst mit dem Farbwechsel von schwarz zu türkis, sondern auch wichtige Teile ausgetauscht. Er drängte die Macht der Landesfürsten zu seinen Gunsten zurück: "Kurz hat einen Mittelweg gesucht zwischen dem Modell Union und dem Modell Macron", erklärt Politologe Filzmaier. "So kann er die Struktur nutzen und trotzdem ein Image als Erneuerer gewinnen."

Nur der Wähler zählt

Im Wahlkampf habe Kurz auf eine "typische Mitte-Rechts-Ausrichtung" gesetzt: Migration, Sicherheit und Islamismus. Eigentlich die Themen der Rechtspopulisten, die Kurz erfolgreich kopiert hat. Lag die FPÖ lange Monate mit über 30 Prozent in den Umfragen vorn, hat Kurz erst die Positionen und dann die Umfragewerte der Freiheitlichen übernommen.

Diese Taktik polarisiert. Das österreichische Nachrichtenmagazin "Profil" überschrieb einen Artikel zu Kurz jüngst mit "Haider light". Eine Zuspitzung, die Politologe Filzmaier nachvollziehen kann - allerdings nur, wenn es um die Strategie geht. "Kurz stellt sich die strategisch professionellste Frage, die sich auch Jörg Haider immer gestellt hat: Wie komme ich bei den Wählern an, die ich theoretisch erreichen kann? So profitiert er von der Polarisierung."

Rein rechnerisch dürften nach der Wahl drei Koalitionsvarianten möglich seinBild: picture-alliance/dpa/B. Gindl

Von der ist am Wiener Schottentor nichts zu merken, zu schnell eilen die Passanten in der Rush Hour zur U-Bahn oder zur Tram, Zeit für ein Gespräch bleibt kaum. Andrea Schmied* [Name auf ihren Wunsch hin geändert, die Red.], 52 Jahre alt und Ärztin in Wien, hat sich einen Flyer mitgenommen, wird Kurz aber ohnehin nicht wählen. "Aber ich höre oft von älteren Frauen, dass sie ihn fesch finden." Sie könne zwar verstehen, dass seine Unterstützer in ihm einen Politiker neuen Stils sehen. Sie nimmt es ihm aber nicht ab: "Er wird es machen wie alle anderen."

So wie es aussieht, wird Kurz allerdings die Chance bekommen, ab Sonntag das Gegenteil zu beweisen. Zwar ist für Politologe Filzmaier  "noch nichts entschieden", gerade wegen des Skandals um die schmutzigen Wahlkampfmethoden des SPÖ-Beraters Tal Silberstein, der zuletzt die Schlagzeilen bestimmte. Aber: Die zwei aktuellsten Umfragen sehen die ÖVP bei 33 Prozent, die FPÖ und SPÖ liegen jeweils zwischen 23 und 27 Prozent.

 

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