Die Suche nach dem Trump-Effekt
2. Dezember 2016Wenn etwas im Wiener Imbiss "Endstation" noch tiefer sitzt als der Geruch von Bratfett, dann sind es Wut und Resignation. Die 67-jährige Christa Kantor wendet die Würstel auf dem Grill und reicht einem Kunden ein Bier.
Nur noch wenige Tage bis zur Wiederholung der Stichwahl zum Bundespräsidenten. Sie findet weltweit Beachtung, weil sie die Frage beantwortet, ob sich die Internationale der Rechtspopulisten zu einem Dreiklang entwickelt: Brexit - Trump - Hofer? Hier in der "Endstation" ist das keine Frage mehr. Deswegen rede auch keiner der Gäste über die Wahl, sagt Christa Kantor mit krächzender Stimme, "weil die eh alle Hofer wählen". Der Mann am Tresen nickt still.
Nur wenige Wähler noch unentschlossen
Neun von zehn Wahlberechtigten haben sich laut Umfrage schon entschieden, wem sie am 4. Dezember ihre Stimme geben: dem rechtsnationalen Norbert Hofer von der FPÖ oder dem Grünen Alexander van der Bellen, der offiziell als unabhängiger Kandidat antritt. Es dürfte wieder knapp werden, das lässt sich aus den bisherigen Umfragen herauslesen - mehr aber auch nicht.
Bei der Stichwahl am 22. Mai hatte Alexander van der Bellen mit gerade einmal rund 30.000 Stimmen Vorsprung gewonnen. Dieses Ergebnis war am 1. Juli dann Makulatur: Zu viel und zu offensichtlich wurde bei der Auszählung gepfuscht. Der Verfassungsgerichtshof gab einer Beschwerde der FPÖ statt und annullierte den Wahlgang.
Seitdem wurde nicht nur der Nachholtermin noch einmal verschoben, sondern auch die Welt auf rechts gedreht. Und Österreich fragt sich: Gibt es einen Trump-Effekt? Und wenn ja: für wen?
Parallelen zu den USA
Spätestens seit dem 9. November haben die Vergleiche mit den USA Hochkonjunktur. Nicht zu unrecht, sagt der Salzburger Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch im Gespräch mit der Deutschen Welle. "Ähnlich wie in den USA sind die einen Wähler - die von Hofer - sehr emotionalisiert und wissen genau, warum sie ihn wählen. Andersherum wollen viele Wähler von van der Bellen nur Hofer verhindern." Das Meinungsforschungsinstitut OGM liefert dazu die Zahlen: Laut seiner Befragung wählen 57 Prozent seiner Wähler Norbert Hofer aus Überzeugung, bei van der Bellen sind es nur 39 Prozent. Das mache es dem Grünen schwerer, die Leute in die Wahlkabine zu bewegen, meint Heinisch.
Heinisch hat 13 Jahre in den USA gelebt und sieht zahlreiche Parallelen: "Dieser Ruf nach Veränderungen, gegen das Establishment - das ist vergleichbar. Wir sehen eine ähnliche Spaltung zwischen Stadt und Land, zwischen niedriger und hoher Bildung sowie zwischen Männern und Frauen." All das spräche für den Kandidaten der Rechtspopulisten. Die "Vergessenen", wie Trump sie nennt, gibt es natürlich auch in Österreich. Wo die Leute unzufrieden sind, wählen sie FPÖ.
Beispielsweise im Wiener Bezirk Simmering, wo Christa Kantor sich ihre Rente in der "Endstation" aufbessert. Die Zeitung "Presse" hat Simmering vor zwei Jahren als "Prügelknaben" Wiens betitelt. Der ehemalige Arbeiterbezirk steht sinnbildlich für den Wandel im ganzen Land: 2014 machte der Panzerhersteller Steyr hier die Schotten dicht. Die Arbeitslosigkeit steigt seitdem stetig, ein Wettbüro nach dem anderen eröffnet, 2015 löste die FPÖ die SPÖ im Bezirk als stärkste Partei ab. "Meine Mutter war noch eine Rote", sagt Christa Kantor. Sie selber wählt schon lange blau. "Die Leute sind angefressen", sagt sie. "Und der Hofer wird sich wenigstens für die Österreicher engagieren."
Seriösität gegen Wut
Von einer Filterblase in die nächste ist es kein weiter Weg in Wien. Am Keplerplatz in Favoriten, einem Nachbarbezirk von Simmering, steht Barbara Neuroth im eleganten blauen Wintermantel in der Fußgängerzone und verteilt Flyer für Alexander van der Bellen. "Wählen! Nicht wundern", steht auf den Zetteln - eine Anspielung auf die Ankündigung Hofers in einem TV-Duell, man werde sich schon noch wundern, was ein Präsident alles tun könne. In dieser Phase des Wahlkampfs, in der es darum geht, Unentschlossene zu mobilisieren, setzt van der Bellen alles auf die Anti-Hofer-Karte.
"Die Österreicher sind schon sehr harmoniebedürftig", sagt der Salzburger Politikwissenschaftler Reinhard Heinisch. "Durch den Brexit und Trump sind genug Veränderungen geschehen in der Welt." Genau deswegen vermittle der 72-jährige van der Bellen in seinen Botschaften Seriosität und Respektabilität. "Meines Erachtens ist das aber auch das Einzige, was für van der Bellen spricht. Das Themenfeld Flüchtlinge, Türkei und Kritik an der EU macht es in der Summe einfacher für Hofer."
Wahlkämpferin Barbara Neuroth ficht das nicht an. Sie ist optimistisch, dass van der Bellen den Sieg auch in der Wiederholungsstichwahl davonträgt. "Nur ein Drittel von denen, die in diesem Bezirk Flyer verteilen, sind Grüne, der Rest sind Freiwillige", sagt sie geradezu euphorisch. "Da entsteht eine richtige Bewegung von unten." Von der Wahlmüdigkeit, von der immer wieder in den Medien zu hören ist, will sie noch nichts bemerkt haben. Die knapp 73 Prozent Wahlbeteiligung in der Stichwahl im Mai seien zwar schwer zu toppen. "Aber die Leute wissen, worum es geht. Gerade nach Trump."
Neuwahlen im Frühjahr?
Der bedingungslose Optimismus einer Frau, die sich für die Grünen in der Lokalpolitik engagiert - oder eine Gegenerzählung zum Rechtsruck, den viele in Österreich gekommen sehen? Seit zwei Jahren schon führt die FPÖ in den Sonntagsfragen mit großem Vorsprung vor SPÖ und ÖVP, gewinnt bei Landtagswahlen dazu und sitzt im Burgenland in einer Regierungskoalition mit der SPÖ.
Die Große Koalition in Österreich hat Popularitätswerte wie Angela Merkel in der bayrischen Staatskanzlei. Sie halte nur noch, weil die Chancen beider Parteien bei vorgezogenen Neuwahlen so schlecht seien, sagt Politikwissenschaftler Heinisch. "Ein Präsident Hofer könnte eine zusätzliche Klammer für diese Koalition sein, die sich nur noch durchschleppt." Und er könnte die Chancen der FPÖ auf die Kanzlerschaft verringern: "Es wird schwierig zu plakatieren: 'Macht braucht Kontrolle', wenn die Partei den Präsidenten und den Kanzler stellt."
Egal, wer am Sonntag gewinnt: Heinisch rechnet damit, dass die Parteistrategen schon im Januar prüfen werden, wie wahlmüde die Menschen wirklich sind. Um sie dann in den nächsten Wahlkampf zu schicken. "Ich schätze, dass wir dann im Frühjahr Neuwahlen haben werden."