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Politik

Österreich vor dem politischen Umbruch

15. Oktober 2017

Die Umfragen sehen ÖVP-Chef Kurz vorne. Doch Umfragen sind in Österreich unzuverlässig. Aber mit wem könnte Kurz koalieren? Bernd Riegert hat in Wien Wähler gefragt.

Österreich - Wahlen: ÖVP-Plakat vor dem Wiener Stephansdom
Kandiat Sebastian Kurz vor dem Stephansdom in WienBild: DW/B. Riegert

Sonnenschein wärmt ganz Österreich. Kaiserwetter am Wahltag mit bis zu 25 Grad. Doch nutzt oder schadet der Goldene Oktobertag der Wahlbeteiligung? Die Wahlforscher sind sich nicht einig. 6,4 Millionen Österreich dürfen abstimmen. In Wien, in der Hegelgasse 12, ist im Gymnasium ein Wahllokal eingerichtet. Vor dem Wahllokal hält ein Zeitungverkäufer die Sonntagsausgabe der Zeitung "Die Presse" hoch. "Reif für die Wahl" lautet die Schlagzeile.

Nach einem langen und für österreichische Verhältnisse schmutzigen Wahlkampf wird heute die politische Landschaft neu geordnet. "Das politische Chaos, das Rot und Schwarz verursacht haben, muss enden", sagt ein junger Mann der DW nach der Stimmabgabe. Die Sozialdemokraten und die konservative ÖVP hätten in zehn Jahren Regierungszeit nur Vettern- und Günstlingswirtschaft betrieben. Damit müsse jetzt Schluss sein, darum habe er die NEOS gewählt, eine liberale Minipartei, die wie die Grünen an der Vier-Prozent-Hürde scheitern könnte, sagt der Mann, der seinen Namen nicht nennen möchte, aber ein Foto zulässt. 

Sebastian Kurz könnte Kanzler werden

Wähler in Wien: Das Chaos muss endenBild: DW/B. Riegert

"Gewinnen wird wohl der Herr Kurz", sagt eine ältere Dame mit Tirolerhut und Kniebundhosen vor dem Wahllokal. Der erst 31 Jahre alte dynamische Spitzenkandidat der konservativen ÖVP, Sebastian Kurz, gefällt der Dame gut. "Er ist sehr jung, aber auch sehr gut. Ich fürchte nur, dass die alten Seilschaften innerhalb der ÖVP ihn verheizen werden", meint sie.

Kurz hatte die ÖVP runderneuert, im Mai die Große Koalition mit den Sozialdemokraten aufgekündigt und die vorgezogenen Wahlen erzwungen. Mit einem Rechtsruck in der Migrationspolitik hat Kurz der rechtspopulistischen FPÖ den ersten Platz in den Meinungsumfragen abgejagt. Die FPÖ könnte jetzt auf Platz zwei oder drei landen. Eine Koalition zwischen Rechten und ganz Rechten scheint möglich. "Mir wäre eine Koaltion zwischen ÖVP und Sozialdemokraten lieber", meint die ältere Wählerin. "Ganz nach rechts sollten sie nicht rücken, sonst wird uns das im Ausland wieder angelastet. Von der FPÖ und ihrem Spitzenkandidaten Heinz-Christian Strache hält sie nicht viel.

Im Ausland und der EU blickt man tatsächlich mit ein wenig Sorge auf Österreich. Die Rechtspopulisten wollen einen nationalen Kurs Österreichs in der EU durchsetzen. Sie verlangen Volksabstimmungen, die am Ende auch zu einer Abstimmung über den Verbleib Österreichs in der Union führen könnten. Kommt der Öxit?, fragen sich manche Wähler. Aus seiner Sympathie für die französischen und deutschen Nationalisten vom Front National und der AfD macht Straches FPÖ keinen Hehl. Die rechtspopulistische Partei ist kein neues Phänomen in Österreich. Schon zweimal war sie an Regierungen in Wien beteiligt, aber so stark wie dieses Mal war sie vermutlich noch nie.

Rechtsruck in Österreich erwartet

"Ich finde Umfragen darf man nicht glauben, Überraschungen sind nicht ausgeschlossen", sagt ein anderer junger Mann vor dem Wahllokal. Alle Befragten wollen ihre Namen nicht nennen. In Österreich legt man Wert auf das Wahlgeheimnis. Fast ein Drittel der Wähler galt vor der Stimmabgabe als unentschlossen. Wahlprognosen lagen in Österreich auch schon krass daneben. Alle Meinungsforscher sahen aber die ÖVP oder das Team Kurz, wie sie sich auch nennt, mit einem Drittel der Stimmen vorne, gefolgt von FPÖ und SPÖ, die mit circa 25 Prozent der Stimmen gleichauf liegen und sich einen Kampf um den zweiten Platz liefern werden. "Dass der Kurz vorne liegt, ist ein schönes Signal für die jungen Leute, dass man in diesem Alter so viel erreichen kann", freut sich der Wähler, der ebenfalls Anfang Dreißig ist. "Mit seiner Politik stimme ich trotzdem in vielen Punkten nicht überein", fügt er hinzu. 

Wahlgeheimnis groß geschrieben: Wähler wollen anonym bleiben am Wahllokal HegelstraßeBild: DW/B. Riegert

Die politische Landschaft in Österreich werde sich grundsätzlich ändern, vermuten die Kommentatoren in den Medien. Die ehemals staatstragende SPÖ mit Bundeskanzler Christian Kern an der Spitze habe ziemlich abgewirtschaftet. Im Wahlkampf macht die SPÖ vor allem mit einem Skandal von sich reden. Sie hatte gefälschte Internetseiten in Auftrag gegeben, um den ÖVP-Widersacher Sebastian Kurz zu diskreditieren. "Kurz und Kern können nicht miteinander. Das wird nix mehr", bringt es die ältere Wählerin mit dem Tirolerhut auf den Punkt. Nach der Wahl bräuchte die SPÖ auf jeden Fall einen neuen Vorsitzenden.

Die letzten Wahllokale in größeren Städten schließen um 17.00 Uhr. Da bereits den ganzen Tag über Stimmen in Wahllokalen, die vorher geschlossen haben, ausgezählt wurden, gibt es bereits um 17.07 Uhr die erste aussagekräftige Hochrechnung.

 

Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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