Kommt die türkis-blaue Rechts-Koalition?
15. Oktober 2017Die ersten Wahllokale öffneten in den abgeschiedenen Seitentälern der Alpen bereits um sechs Uhr (MESZ). In einigen ländlich geprägten Regionen Österreichs schließen viele Wahllokale schon wieder um 11 Uhr oder 12 Uhr. "Bei uns heißt es eben traditionell: Kühe melken, Frühstück, Kirchgang, Stimme abgeben, Frühschoppen", meint eine Mitarbeiterin des Bundesinnenministeriums, die Journalisten die ungewöhnlichen Öffnungszeiten der Wahllokale erklärt.
In den großen Städten sind die Wahllokale in der Regel von sieben bis 17 Uhr geöffnet. Unmittelbar danach dürfen die Wahlergebnisse, die überall sofort nach Schließung der Wahllokale per Hand ausgezählt werden, veröffentlicht werden. Das führt dazu, dass der österreichische Bundeswahlleiter schon wenige Minuten nach 17 Uhr relativ stabile Ergebnisse präsentieren kann. Die Österreicher brauchen keine Wählernachfragen und Prognosen. Das vorläufige amtliche Endergebnis gibt es dann am frühen Abend, sobald die Stadt Wien ausgezählt sein wird, wo die meisten der 6,4 Millionen Stimmberechtigten leben.
Das Wahllokal mit den kürzesten Öffnungszeiten liegt übrigens im Antoniusheim in Feldkirchen im Bundesland Kärnten. Es öffnet seine Urne um acht Uhr morgens und schließt sie bereits um 8.20 Uhr wieder. In dem Heim leben nur elf wahlberechtigte Nonnen.
Kurz gilt als klarer Favorit
Kurz nach 17 Uhr dürfte also feststehen, wer in Österreich die nächste Koalitionsregierung bilden kann und ob es den erwarteten Ruck nach rechts, also einen großen Stimmenzuwachs für die rechtspopulistische FPÖ geben wird. In den Meinungsumfragen, die sich in Österreich aber als nicht sehr zuverlässig erwiesen haben, liegt Sebastian Kurz mit seiner ganz auf ihn zugeschnittenen runderneuerten konservativen Volkspartei (ÖVP) mit einem Drittel der Stimmen vorne. Um den zweiten Platz streiten sich FPÖ und die bisherige Kanzler-Partei SPÖ.
Die Sozialdemokraten stellten seit zehn Jahren den Regierungschef. Die ÖVP war der Juniorpartner in der Großen Koalition. Diese Verhältnisse haben sich total gewandelt, seit der erst 31 Jahre alte Außenminister Sebastian Kurz im Mai die Koalition aufkündigte und vorzeitige Wahlen erzwang. Bis dahin hatte in den Umfragen die FPÖ von Heinz-Christian Strache vorn gelegen. Kurz ist es gelungen, mit frischer Strategie und professionellem Meinungsmarketing die "Neue Volkspartei", die jetzt als "Liste Kurz" antritt, in die Führungsposition zu bringen. Seine Kritiker sagen, er habe die FPÖ einfach rechts überholt und ihr die Themen weggenommen.
Schmutziger Wahlkampf
Die Parteien haben erbittert gekämpft. Der Wahlkampf war von Schlammschlachten und einem handfesten Skandal um gefälschte Webseiten, die die Sozialdemokraten in Auftrag gegeben hatten, geprägt. Sebastian Kurz, auf den die schmutzigen Webseiten zielten, bekannte in der letzten Fernsehdebatte am Donnerstag: "Nicht nur die Kandidaten sind froh, wenn dieser Wahlkampf vorbei ist und bald gewählt wird. Wie dieser Wahlkampf geführt wurde, das widert die Menschen zurecht an." Nur stückchenweise hatte die SPÖ sich zu ihrer Verantwortung für den Skandal bekannt. Bundeskanzler Christian Kern meinte bei seiner letzten Wahlkampfrede in Wien kleinlaut: "Diesen Wahlkampf hätten wir uns wirklich sparen können."
Lachender Dritter beim Streit der beiden bisherigen Volksparteien könnte FPÖ-Chef "HC" Strache sein. Er gab sich im Wahlkampf überraschend moderat, ja fast schon "staatsmännisch", meinten österreichische Medien. Die schrille Rhetorik gegen die Europäische Union oder gegen Ausländer und Muslime hat er ein wenig zurückgefahren. Trotzdem besteht die FPÖ weiterhin darauf, den "politischen Islam" zu verbieten, Zuwanderern Sozialleistungen zu streichen und mehr nationale Interessen Österreichs in Brüssel bei der EU durchzusetzen. Als politische Verbündete betrachtet Strache die Rechtspopulisten in Deutschland (AfD) und die Nationalisten in Frankreich (Front National). "Heimatliebe" und "Rechte für Österreicher" waren die Lieblingsbegriffe in seinem Wahlkampf. Strache könnte Innenminister oder Außenminister werden.
Für eine striktere Migrationspolitik, besser bewachte Grenzen und eine Ende der gefühlten "Massenzuwanderung" nach Österreich spricht sich auch Sebastian Kurz aus. Die politischen Unterschiede zwischen seiner ÖVP und der FPÖ verschwimmen. Deshalb können sich 64 Prozent der Österreicher eine Koalition zwischen Türkis (ÖVP) und Blau (FPÖ) auch gut vorstellen. Eine Fortsetzung der bisherigen Koalition zwischen SPÖ und ÖVP, diesmal mit Kurz als Kanzler, ist aber auch nicht ausgeschlossen.
Unentschlossene Wählerinnen und Wähler
"Ich weiß nicht, wen ich wählen soll", sagt Katna, die ihren Nachnamen nicht nennen will. Die Mittfünfzigerin, die vor über 20 Jahren aus Polen nach Wien auswanderte, stand am Samstag mit ihren beiden Rehpinschern unschlüssig am Wahlkampfstand vom "Team Kurz" in Wien. "Dem Kurz-Bubi vertraue ich nicht, die SPÖ ist nach dem Skandal Geschichte und der Strache ist mir zu rechts." Aber irgendwen müsse sie ja wählen, sinniert sie. Die Zuwanderung wollten ja nun alle Parteien begrenzen, was sie auch gut findet, obwohl sie selbst Migrantin war. "Aber ich bin integriert und arbeite, zahle Steuern." Die Ausländer, die sich nicht anpassten und nur Sozialleistungen kassierten, sollten rausfliegen, meint sie. Wie viele das seien, weiß sie nicht. Das ist so ein Gefühl, das mit der Migration etwas schief läuft. Alle Parteien haben im Wahlkampf reagiert. Wie Katna geht es etwa 30 Prozent der Wählerinnen und Wähler in der Alpenrepublik. Sie wussten laut Meinungsforschern kurz vor dem Wahltag noch nicht, wo sie ihr Kreuz machen sollen.
Der international bekannte Bergsteiger Reinhold Messner hat vor einem Wahlsieg der Rechten in Österreich gewarnt. In der Zeitung "Der Standard" sagte er, "ich mag die Partei von Herrn Strache nicht. Wenn sich die ÖVP mit Strache verbündet, werden wir eine Rechtsregierung haben. Aber nicht eine italienische Rechte, sondern eine gefährliche rechte Rechte." Messner steht den Grünen nahe und war Abgeordneter im Europäischen Parlament. Die Grünen, die neue "Liste Pilz" und die Liberalen (Neos) kämpfen an der Schwelle der Vier-Prozent-Sperrklausel um den Einzug ins Parlament, spielen aber bei der Regierungsbildung wahrscheinlich keine Rolle.