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Über die schwierige Beziehung zwischen Mensch und Wolf

1. Februar 2019

In der Geschichte galt der Wolf oft als Bösewicht, wie eine Ausstellung im Kölner Wallraf-Richartz-Museum zeigt. Wolfsforscher Peter Sürth warnt vor Polarisierung und plädiert für ein Miteinander von Mensch und Tier.

Ein Wolf steht im Wald
Bild: picture-alliance/dpa/K.D. Gabbert

Wildtierexperte Peter Sürth hat in Rumänien jahrelang das Verhalten von Wölfen, Braunbären und Luchsen erforscht. 2004 startete er das Projekt "Der Weg der Wölfe", in dem er seine Erfahrungen im Umgang mit Wildtieren bei Wanderexpeditionen weitergibt. Außerdem hält er Vorträge und führt Seminare und Projekte mit Kindern und Jugendlichen an Schulen durch. Bei verschiedenen Filmprojekten ist der Wissenschaftler ein geschätzter Berater zu Fragen rund um Wildtiere. Mit der DW sprach Peter Sürth über die Rückkehr der Wölfe nach Deutschland, die Ängste der Menschen und die Chance auf ein friedliches Miteinander von Mensch und Tier.

DW: Der Wolf ist zurück in Deutschland. Wie viele Tiere gibt es derzeit?

Peter Sürth: Das letzte Monitoring zählte 73 Rudel, rund 800 bis 1000 Wölfe. Aber es werden immer mehr werden. Wölfe können über Tausend Kilometer weit wandern. Ich gehe davon aus, dass in Deutschland alle größeren Waldbereiche, aber darüber hinaus noch andere Gebiete von Wölfen besiedelt werden. Das wird so ziemlich alle Bundesländer betreffen. Es kann auch sein, dass Wölfe in den Stadtrandbereich kommen, wenn in der näheren Umgebung ein aus wölfischer Sicht geeigneter Lebensraum existiert.

Warum hat der Wolf bei vielen Menschen einen schlechten Ruf? Sind wir alle noch vom Rotkäppchen-Märchen unserer Kindheit geprägt?

Die Wölfe sind zurück

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Es ist so, dass dem Wolf im Mittelalter ein sehr starkes Negativ-Image angeheftet worden ist. Dann ist der Wolf natürlich ein großes Raubtier, und viele Menschen haben Angst vor ihm, weil wir in Deutschland oder auch in anderen Ländern, wo der Wolf ausgerottet wurde, den Umgang mit Wölfen gar nicht mehr gewöhnt sind. Es gibt aber auch Kulturen, wo der Wolf eine positive Rolle hat, zum Beispiel bei der Gründungsgeschichte Roms und der Romulus- und Remus Legende (die beiden wurden von einer Wölfin gesäugt und gründeten später Rom, Anmerkung. d. Red.).

Man hört immer mal wieder Nachrichten, in denen ein Wolf  zum Beispiel an einem Kindergarten oder an einer Bushaltestelle vorbeigelaufen ist. Das schürt Ängste. Sind sie begründet? Ist der Wolf gefährlich für den Menschen?

Es kommt darauf an, wie man "gefährlich" interpretiert. Es gibt jetzt selbstverständlich kein Null-Risiko. Aber wenn man sich die Statistiken anschaut, kann man nicht feststellen, dass der Wolf für uns gefährlich ist. Der Straßenverkehr und auch wir Menschen selbst sind natürlich um ein Vielfaches gefährlicher für uns Menschen als alle Wölfe auf einmal genommen. Trotzdem gibt es Situationen, in denen es in der Vergangenheit eben auch Angriffe auf Menschen durch Wölfe gegeben hat. Aber da waren immer entsprechende Rahmenbedingungen mit verantwortlich und nicht einfach nur: 'Der Wolf ist aggressiv und greift jemanden an.' Das ist ein vollkommen falsches Bild.

Jedes Kind kennt das Märchen von Rotkäppchen und dem bösen Wolf Bild: Imago/United Archives

Was waren das denn für Rahmenbedingungen?

 Zum Beispiel, wenn Wölfe angefüttert worden sind und dann eine soziale Beziehung zum Menschen hergestellt haben. Oder Leute gesagt haben: 'Ich gehe mal zu dem hin und guck den lieb an.' So etwas kann dann eskalieren. Aber der Mensch ist aus der Sicht des Wolfes kein Beutetier, sondern ein ebenbürtiger schwieriger Lebensraumpartner, der unberechenbar sein kann.

Haben umgekehrt Wölfe Angst vorm Menschen? 

Sie haben Respekt, aber das bedeutet nicht, dass ein Wolf immer sofort flieht, wenn er einen Menschen sieht, weil Wölfe natürlich individuell unterschiedlich sind und genauso wie wir Menschen Situationen unterschiedlich bewerten - je nach Erfahrung und Alter. Man muss sich vorstellen, dass ein Wolfsrudel unter mitteleuropäischen Bedingungen ein Revier von 200, 300 Quadratkilometern hat. Die Wölfe sind es gewöhnt, dass da halt überall Menschen herumlaufen und arrangieren sich damit. Der Wolf kann 20 Meter neben dem Weg im Gebüsch liegenbleiben, ohne dass er überhaupt bemerkt wird, und er wartet dort, bis eine Gruppe Wanderer vorbei ist. Oder er kann sagen: Okay, die tun mir sowieso nichts, da husch ich mal schnell über den Weg.

Peter Sürth beim Dokumentieren von Wildtierspuren Bild: Privat

Trotzdem verlangen viele Bürgerinitiativen und Jäger, dass sie Abschussgenehmigungen bekommen. Wie stehen da die Chancen?

Das ist eine rein politische Entscheidung, wann ein Wolf abgeschossen werden kann. Und zwar dann, wenn er entweder für Menschen eine nicht kalkulierbare Gefahr darstellt, - so einen Wolf hatten wir ja auch schon mal, der sich Menschen genähert und gebettelt hat -, oder wenn ein Wolf mehrfach schon bestehende Schutzmaßnahmen überwinden konnte. Dann kann das zuständige Ministerium sagen: Okay, dieser einzelne Wolf darf geschossen werden.

Was können wir von Ländern wie Rumänien, Spanien, Italien oder Polen lernen, wo Wölfe längst Alltag sind?

Es ist halt einfach eine weitere Wildtierart, mit der wir den Lebensraum teilen. In diesen Ländern gehen die Menschen entspannt damit um. Sie gehen in der Natur ganz normal wandern, fahren Rad oder gehen verschiedenen Freizeitaktivitäten nach. Wichtig ist halt eben, und auch das zeigt die Erfahrung aus diesen Ländern, dass wir nicht hingehen, diese Tiere verhätscheln, anfüttern, streicheln, Fotos machen wollen oder ähnlichen Unsinn.

Wölfe durchstreifen ihr Revier und treffen dort auch auf Menschen Bild: picture-alliance/dpa/A. Kalmar

Was fasziniert Sie persönlich am Wolf?

Beim Wolf gibt es natürlich schon eine über Jahrtausende lange Geschichte dieses Miteinanders und Gegeneinanders von Mensch und Tier. Und dass der Wolf in einem ähnlichen sozialen System lebt wie der Mensch, finde ich besonders spannend. Natürlich gibt es diverse Konflikte, die muss man auch nicht klein- oder schönreden. Aber die Menschen haben in der Vergangenheit Wildtierarten immer wieder ausgemerzt. Und wir denken auch oft noch so: Das Tier stört mich; es muss weg, damit ich mehr Ruhe und Frieden habe. Das ist der falsche Ansatz. Sondern es geht darum, das Miteinander zu gestalten. Wir leben ja zusammen auf einer Erde.

Das Gespräch führte Suzanne Cords.

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