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Politik

Zu viel Arbeit kostet Leben

17. Mai 2021

Lange verursachten Verletzungen die meisten Gesundheitsschäden am Arbeitsplatz. Laut einer neuen Studie birgt Überarbeitung aber die weitaus größeren Gefahren. Und die Corona-Pandemie könnte die Lage noch verschlimmern.

55 Arbeitsstunden plus? Ein japanischer Geschäftsmann in einer U-Bahn-Station in Tokio
55 Arbeitsstunden plus? Ein japanischer Geschäftsmann in einer U-Bahn-Station in TokioBild: Yoshikazu Tsuno/AFP

Wer 55 Stunden oder mehr pro Woche arbeitet, hat ein deutlich höheres Risiko, an einem Herzinfarkt oder Schlaganfall zu sterben. Laut einer Studie der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) starben allein im Jahr 2016 weltweit rund 745.000 Menschen an einem Schlaganfall oder einer Herzerkrankung, weil sie mindestens 55 Stunden pro Woche gearbeitet hatten.

42 Prozent mehr Herztod-Fälle seit 2000

Laut der Studie nahm die Zahl der Todesfälle durch Herzerkrankungen im Zusammenhang mit langen Arbeitszeiten zwischen 2000 und 2016 um 42 Prozent zu, die Zahl der tödlichen Schlaganfälle stieg um 19 Prozent. Die meisten Betroffenen waren demnach zwischen 60 und 79 Jahre alt und hatten im Alter zwischen 45 und 74 Jahren mindestens 55 Stunden pro Woche gearbeitet. Überarbeitung sei somit "der führende Risikofaktor für Berufskrankheiten", erklärte die WHO.

Die in der Fachzeitschrift "Environment International" veröffentlichte Studie untersuchte erstmals weltweit den Zusammenhang zwischen langen Arbeitszeiten und dem Verlust von gesunden Lebensjahren. Dafür analysierte sie die Daten aus zahlreichen Studien mit hunderttausenden Teilnehmenden.

Rauchen, Alkohol, Bewegungs- und Schlafmangel

Durch Überarbeitung gingen 2016 der Analyse zufolge weltweit rund 23 Millionen gesunde Lebensjahre verloren - mehr als durch Verletzungen oder Fehlbelastungen, die bislang als die größten Verursacher von Gesundheitsschäden am Arbeitsplatz gesehen wurden. Einerseits verursache die körperliche und psychische Belastung diese Krankheiten, erklärte Mitautor Jian Li von der Universität von Kalifornien in Los Angeles. Zusätzlich gebe es indirekte Faktoren wie Rauchen, Alkohol, zu wenig Bewegung und Schlafmangel.

Ostasien, Südostasien und Indien als Hotspots

Im Japanischen gibt es ein eigenes Wort für Tod durch Überarbeitung: "Karoshi". "Karoshi wurde in vergangenen Jahren als einzigartiges ostasiatisches Phänomen gesehen, doch durch unsere systematischen Untersuchungen und globalen Schätzungen wissen wir, dass es sich um ein globales Problem handelt", sagte Li. Im Auftrag von WHO und ILO wurden Umfragen zu Arbeitszeiten aus 154 Ländern ausgewertet. Die Daten wurden mit Studien über Schlaganfälle und Herzkrankheiten mit insgesamt 1,6 Millionen Teilnehmern abgeglichen.

Zu lange Arbeitszeiten? Eine Straßenszene in Taiwans Hauptstadt TaipehBild: Sam Yeh/AFP

Laut den Forschern arbeiten fast neun Prozent der Weltbevölkerung 55 Stunden oder mehr pro Woche. Ostasien, Südostasien und der indische Subkontinent sind demnach besonders stark durch arbeitsbedingte Herz-Kreislauf-Erkrankungen belastet, ebenso einige Länder in Afrika und Südamerika. In diesen Regionen gebe es viele Menschen ohne geregelte Arbeitsverträge und -zeiten. Die geringste Belastung gebe es in Nordamerika und Europa, wo der Arbeitnehmerschutz stärker sei. "Diese Maßnahmen scheinen also wirklich zu funktionieren", sagte
WHO-Experte und Hauptautor Frank Pega.

Besonders besorgt ist die WHO über die wachsende Zahl von Menschen mit langen Arbeitszeiten. Derzeit sind es rund neun Prozent der Weltbevölkerung. Corona könnte den Trend noch verstärken. Während der Pandemie habe die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden um zehn Prozent zugenommen, sagte Pega mit Verweis auf eine Studie des National Bureau of Economic Research in 15 Ländern.

"Grenzen zwischen Zuhause und Arbeit verschwimmen"

"Homeoffice ist in vielen Branchen zur Norm geworden, wobei die Grenzen zwischen Zuhause und Arbeit oft verschwimmen", erklärte WHO-Chef Tedros Adhanom Ghebreyesus. Gleichzeitig seien viele Unternehmen gezwungen, zu sparen und den Betrieb herunterzufahren - "und die Menschen, die sie weiter beschäftigen, müssen länger arbeiten".

Segen oder auch Fluch? Szene aus dem HomeofficeBild: Robin Utrecht/picture alliance

Kein Job aber sei es wert, dass "man für ihn einen Schlaganfall oder eine Herzerkrankung riskiert", warnte Tedros. Regierungen, Arbeitgeber und Arbeitnehmer müssten sich deshalb zum Schutz der Beschäftigten gemeinsam auf Arbeitszeitgrenzen einigen.

sti/ehl (afp, dpa)

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