Wie wirkt sich die Weltbevölkerung auf das Klima aus?
31. August 2020Vor etwas mehr als einem Jahr erschoss ein weißer Rassist 22 Menschen in El Paso, Texas. Die Ermordeten waren zumeist Menschen hispanoamerikanischen Ursprungs. Kurz vor der Tat schrieb er in seinem Online-Manifest: "Wenn wir genügend Menschen loswerden, könnte unser Leben nachhaltiger werden." Der Mann wurde von dem Terroristen in Christchurch, Neuseeland, inspiriert, der fünf Monate zuvor 51 muslimische Gläubige bei Anschlägen auf zwei Moscheen getötet hatte und sich in seinem Manifest selbst als "Ökofaschist" bezeichnete.
Die Ängste und Handlungen der beiden Männer stehen jedoch in Widerspruch zu den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Überbevölkerung und Klimawandel.
Überbevölkerung ist, so die Demographen, in Bezug auf den Klimawandel gar nicht das Problem. Es stellt sich eher die Frage, woher die nächsten Generationen junger Menschen kommen sollen. Die Fruchtbarkeit sinkt, die Menschen werden älter, und bis zum Ende des Jahrhunderts wird die Zahl der Menschen in fast allen Ländern der Erde sinken, wie aus einer im Juli veröffentlichten Studie des Fachjournals "The Lancet" hervorgeht.
Das Institute for Health Metrics and Evaluation (IHME), welches die Studie veröffentlicht hat, geht davon aus, dass die Zahl der Menschen auf der Erde in nur vier Jahrzehnten mit 9,7 Milliarden ihren Höchststand erreichen wird. Bis zum Ende des Jahrhunderts wird sie auf 8,8 Milliarden zurückgehen.
In 80 Jahren würde sich die Bevölkerungszahl in Ländern wie Spanien und Japan halbieren. Ähnlich wäre es in China. Damit würden Indien und Nigeria die größten Länder der Welt. Nur in zwölf Ländern, darunter Somalia und der Südsudan, gäbe es genug Geburten, um die Bevölkerung stabil zu halten.
Und erfüllt die Welt die Zielvorgaben der Vereinten Nationen für universelle Bildung und Empfängnisverhütung, gäbe es in nur 80 Jahren 1,5 Milliarden Menschen weniger als heute.
Dieser demografische Wandel würde die Gesellschaft maßgeblich verändern. Wer wird für die Altersversorgung aufkommen? Werden die Länder in Zukunft um junge Einwanderer kämpfen? Wann, wenn überhaupt, werden Menschen in Rente gehen können?
Das wirft eine Frage auf, welche die Umweltbewegung schon seit Jahrzehnten verfolgt – und Rechtsextreme als Rechtfertigung nutzen:
Sind weniger Menschen gut für unseren Planeten?
Ungleiche Emissionen
Dass Überbevölkerung der Grund für die Umweltzerstörung ist, scheint eine bequeme Erklärung zu sein. Nicht der Konsum schadet dem Planeten, sondern die schiere Masse an Menschen – eine Verhaltensänderung würde keinen Sinn ergeben.
Laut IHME-Studie bedeutet eine kleinere Weltbevölkerung auch weniger Emissionen. Weniger Menschen würden das Problem der Welternährung entschärfen. Und die Gefahr wäre geringer, "die Grenzen des Planeten zu überschreiten."
Doch das Problem ist, so die Wissenschaftler, dass die Menschen nicht gleich viel Treibhausgase produzieren.
"Das ist eine extrem oberflächliche Analyse", sagt Arvind Ravikumar, Assistenzprofessor für Energietechnik an der Harrisburg University of Science and Technology.
Richtig ist: Das Bevölkerungswachstum hat lautIPCC, dem UN-Expertengremium für Klimawissenschaften, den globalen Ausstoß an Treibhausgasen erhöht. Doch viel stärker wirken sich steigende Einkommen auf den Anstieg die Pro-Kopf-Emissionen aus.
In den reichsten Ländern ist der Ausstoß 50 Mal höher als in den ärmsten Ländern. Gerade in diesen Ländern mit niedrigem Einkommen und geringen Emissionen wächst die Zahl der Menschen aber am schnellsten.
"Manchmal nutzen Leute das Bevölkerungsargument, um reiche Länder zu entlasten", sagt Zeke Hausfather, Klimawissenschaftler am Breakthrough Institute in Kalifornien. "In Wirklichkeit sind unser Konsum und unsere Wirtschaft die Gründe für die erhöhten Emissionswerte."
In einer Welt mit vielen Menschen, die erneuerbare Energien nutzen, kann der CO2-Ausstoß geringer sein, als in einer Welt mit wenigen Menschen und einem großen Verbrauch an fossilen Brennstoffen, so das Argument des Instituts.
Große und schnell wachsende Länder wie China und Indien können durch den Bau von günstigen Solar- und Windkraftanlagen ihre Emissionen senken – trotz steigendem Einkommen und hohen Bevölkerungszahlen.
Doch Bauunternehmen in ganz Afrika und manchen Teilen Asiens haben Mühe, Kredite für klimafreundliche Infrastruktur zu bekommen. Reiche Länder haben bisher ihr Versprechen nicht eingelöst, das auch im Pariser Klimaabkommen verankert ist: ärmere Länder bei der Bekämpfung des Klimawandels mit 85 Milliarden Euro pro Jahr zu unterstützen.
"Wir können diesen Ländern nicht sagen, dass es bereits eine Menge Treibhausgase gibt und sie deswegen aufhören sollten, Energie zu verbrauchen", sagt Leiwen Jiang. Er ist leitender Mitarbeiter der Nichtregierungsorganisation Population Council in New York und war früher einer der IPCC-Hauptautoren. "Aber wir können ihnen helfen, ihre Technologie zu verbessern."
Niedrigere Geburtenraten tragen weniger zur Senkung der Emissionen in ärmeren Ländern bei. Trotzdem können sie auf andere Weise helfen, besser mit dem Klimawandel umzugehen. Wenn Frauen nur so viele Kinder bekommen, wie sie haben wollen, könnten sie eine bezahlte Arbeit annehmen, sagt Jiang. Dieser wirtschaftliche Aufschwung könnte finanzschwachen Kommunen helfen, besser auf die immer stärkeren Hitzewellen, Überschwemmungen und Stürme zu reagieren, die der Klimawandel mit sich bringt.
Eine dunkle Vergangenheit
Das Konzept der Überbevölkerung hat eine dunkle Vergangenheit.
Selbst wenn man akzeptiert, dass mehr Menschen auch mehr CO2 produzieren, "was ist die Lösung?", fragt Ravikumar.
"Ist die Lösung, die Weltbevölkerung mit Gewalt zu reduzieren? Und wenn ja, wessen Bevölkerung sollte dann reduziert werden?"
Wie die Terroristen in El Paso und Christchurch haben viele Regierungen im Laufe der Geschichte die Rechte marginalisierter Gruppen mit Füßen getreten. Länder wie die USA und Kanada haben indigene Frauen im 20. Jahrhundert gewaltsam sterilisiert. Australien hat das Gleiche bei Menschen mit Behinderung getan. Indien sterilisierte im Jahr 1976 insgesamt 6,2 Millionen Männer, die meist aus ärmeren Schichten stammten. Das Land wurde von ausländischen Geldgebern dazu animiert, die Bevölkerungszahl unter Kontrolle zu halten. Es wird angenommen, dass mehr als 2000 Männer bei verpfuschten Operationen gestorben sind.
Ab Ende der 1970er Jahre begrenzte China das Bevölkerungswachstum durch Geldstrafen, Sterilisation und Zwangsabtreibungen im Rahmen einer jahrzehntelangen Ein-Kind-Politik. Laut einer im vergangenen Monat von der Associated Press veröffentlichten Untersuchung werden solche Praktiken bei uigurischen Frauen bis heute fortgesetzt.
Unterschiedliche Bevölkerungsmodelle
Global betrachtet bekommen Frauen weniger Kinder, weil mehr Mädchen zur Schule gehen und mehr Menschen Zugang zu Verhütungsmitteln haben. Beides sind Menschenrechtsziele.
Doch es gibt Unsicherheiten bei der Berechnung von globalen Geburtenraten. Demografen sind sich uneinig darüber, wie weit und wie schnell die globale Geburtenrate absinken wird.
Das IHME prognostiziert, dass die Weltbevölkerung ab 2064 schrumpfen wird. Die Vereinten Nationen sagen dagegen, die Bevölkerungszahl wird im Laufe des Jahrhunderts weiterwachsen. Der Unterschied zwischen beiden Modellen macht bis zum Jahr 2100 etwa 2 Milliarden Menschen aus. Beide Forschungsgruppen nehmen die Möglichkeit einer gegenläufigen Entwicklung in Kauf, weil die Prognosen sehr unsicher sind.
Ein Grund für die Diskrepanz: Die UNO geht im Gegensatz zum IHME davon aus, dass die Geburtsraten steigen werden, wenn Länder reicher werden.
Umfragen zeigen jedoch, dass Frauen in ganz Europa und Nordamerika weniger Kinder bekommen, als sie sich wünschen. Der Grund: Es gibt zu viele Hürden, beispielsweise zu teure Kinderbetreuung, Druck am Arbeitsplatz und die Tatsache, dass Männer zu wenig Hausarbeit leisten. Seit Deutschland aber einige dieser Hindernisse verkleinert hat, steigt die Geburtenrate wieder.
"Die UN-Prognosen vermitteln den Optimismus, dass es mit dem menschlichen Fortschritt immer weitergeht", sagt Sara Hertog. Sie ist Demografin bei der UNO und fügt hinzu, dass die sich ändernden Geburtenraten an sich weder gute noch schlechte Nachrichten sind. "Ich hoffe, das Niveau der Fruchtbarkeit spiegelt die Anzahl der Kinder wider, die die Menschen haben wollen."
Adaption: Sarah Mewes
In einer früheren Version dieses Artikels hieß es, die Hindernisse für Frauen in Deutschland wurden beseitigt, anstatt verkleinert. Dies ist nun korrigiert worden. Die Redaktion entschuldigt sich für den Fehler.