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Politik

Der Griff nach indigenem Land

Thomas Milz
20. Dezember 2019

In den Indigenen-Gebieten Brasiliens nehmen Konflikte mit weißen Eindringlingen zu. Mitverantwortlich sei die Regierung von Präsident Jair Messias Bolsonaro, sagen Aktivisten.

Brasilien | Korubos
Bild: picture-alliance/dpa/AP Photo/Brazil's National Indian Foundation Photo

In West-Amazonien, an der Grenze zu Peru und Kolumbien, erstreckt sich Brasiliens zweitgrößtes Indigenen-Reservat, die "Terra Indígena (TI) Vale do Javari". Acht isoliert lebende Indigenenvölker hat die staatliche Indigenenbehörde Funai hier gezählt, die weltweit größte Konzentration dieser Völker. 

"Das sind die letzten Menschen, die sich frei entschlossen haben, autonom und außerhalb unserer materialistischen und verrückten Welt zu leben", sagt Beto Marubo, ein indigener Aktivist aus dem Javari-Tal, der Deutschen Welle. Seine Marubos haben seit 100 Jahren "Kontakt". Andere Völker, wie die Korubos, sind zum Teil noch isoliert. Sie sind am meisten gefährdet. "Eine Grippe kann sie in drei Tagen töten."

Sie kennen auf der Jagd auch nicht die auf Landkarten gezogenen Grenzen im Wald. "Deshalb ist es so wichtig, die Umwelt zu schützen, in der und von der sie überleben." Doch die gewaltsamen Konflikte im Javari-Tal nehmen zu, und selbst die Schutzposten der Indigenenbehörde Funai werden angegriffen, der Posten Itui-Itacoai wurde 2019 bereits achtmal beschossen. Im September wurde ein Funai-Mitarbeiter ermordet. "Diese Posten bieten nicht den mindesten Schutz, um von dort aus das Gebiet zu kontrollieren", so Beto.

Indigene wehren sich mit ihrem Protest gegen Angriffe und die Politik BolsonarosBild: Reuters/A. Coelho

Soldaten im Schutzgebiet

Seit einigen Tagen ersetzen 20 Soldaten der Nationalen Eingreiftruppe die im November abgezogenen Funai-Mitarbeiter. Ihr Einsatz ist jedoch auf sechs Monate beschränkt, auch an der nötigen Ausrüstung fehle es, so Beto. Einen langfristigen Plan zum Schutz der Gebiete gebe es nicht, betont der Aktivist. "Die Regierung hat nicht das geringste Interesse, dass das funktioniert."

Stattdessen höre man von der Regierung, dass die Indigenen faul und die Reservate ein Hindernis für die Entwicklung seien. Man wolle die TIs, die Gebiete der Indigenen, für Bergbau, die Holzproduktion und Landwirtschaft öffnen. "Das erzeugt ein feindliches und gewalttätiges Ambiente, zu dem auch die Zunahme der Brände in Amazonien und die zunehmende Gewalt gegen Indigene gehört." 

Aber es sind nicht nur weiße Landwirte, die den Druck auf die Indigenen-Gebiete erhöhen. Im Javari-Tal haben es Schmuggler auf Zierfische und Schildkröten abgesehen, die in großen Mengen auf den Schwarzmärkten Kolumbiens, Brasiliens und Perus verkauft werden. Medien spekulieren zudem über eine Verbindung der Banden zum Drogenhandel. "Bisher hatten wir derartige Fälle von extremer Gewalt noch nicht erlebt, aber wir sehen, dass sie in vielen Regionen Amazoniens passieren."

Schildkröten sind in Brasilien bei Schmugglern begehrtBild: Getty Images/AFP/C. Simon

Feindliches Ambiente für Indigene

Wie in Maranhão, am östlichen Rand Amazoniens, wo in den letzten Wochen vier Indigene des Volkes der Guajajara getötet wurden. Weltweit wurden sie als "Wächter des Waldes" bekannt, weil sie auf eigene Faust gegen illegale Holzhändler vorgehen und die isoliert lebenden Awás-Guajás beschützen. Auch hierhin entsandte die Regierung Soldaten. 

Kurzfristig mache das Sinn, ersetzte jedoch nicht den strukturell verbesserten Schutz der Territorien, so ein Mitarbeiter der Funai gegenüber der DW, der nicht namentlich genannt werden will. "Die Sicherheitskräfte und die Armee verfügen derzeit nicht über rasche und effektive Aktionen, und damit verfehlen sie ihren Auftrag, die Indigenen und ihre Gebiete zu schützen."

Im Wahlkampf im letzten Jahr hatte Präsident Jair Messias Bolsonaro versprochen, die Vergabe von Staatsland an Indigene zu stoppen. Dabei garantiert die Verfassung von 1988 den Indigenen das Recht auf ihre Siedlungsgebiete. Bisher wurden 486 Gebiete offiziell anerkannt, weitere 236 befinden sich noch immer im Prozess der Legalisierung, der laut Verfassung eigentlich bis 1993 abgeschlossen sein sollte. Im November untersagte die Funai ihren Mitarbeitern Reisen in nicht offizielle Territorien. Tausende Indigene sind dadurch von Unterstützung und Schutz abgeschnitten.

Mitarbeiter von FUNAI versuchen den Korubo in Brasilien zu helfenBild: Reuters/Handout FUNAI

Illegaler Landhandel leichter gemacht

Zusätzliche Gefahr droht den TIs zudem durch ein neues Präsidenten-Dekret, das den Landerwerb im Amazonasgebiet für Kleinbauern vereinfacht. Bisher galten für diese Region Sonderregelungen. "Das erleichtert den illegalen Landhandel und spielt dem Agrobusiness in die Hände", so der Funai-Mitarbeiter. 

Besorgt zeigt sich auch der Indigenen-Missionrat der katholischen Kirche Brasiliens, Cimi. Er hatte von Januar bis November dieses Jahres einen Anstieg illegaler Aktivitäten in Indigenen-Gebieten gemessen. Nach 111 in 2018 seien es nun bereits 160 gewesen.

"Die Regierung hat den Landwirten, den Holzhändlern, den Bergwerksfirmen und den Viehbaronen signalisiert, dass man die Demarkierung und Legalisierung der indigenen Gebiete stoppen wird. Und dass diese Gebiete wirtschaftlich ausgebeutet werden sollen", so Antonio Eduardo Oliveira, der Direktor des Cimi im DW_interview. "Dieser Regierungsdiskurs hat diese Gewalt nur noch befeuert."

Cimi versucht derzeit, einen Dialog herzustellen. Allerdings empfangen Regierungsorgane seit Januar die Indigenen nicht mehr. Zuletzt weigerte sich gar die Funai, sie zu empfangen, so Oliveira. "Sie sagen, dass die Indigenen keine offiziellen Vertreter ihrer Völker seien, weil sie schlicht nicht durch die Regierung ernannt wurden. Für sie sind das nur Banditen, die die Entwicklung Brasiliens behindern."

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