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Übergewichtig? Das soll nicht nur der BMI entscheiden

15. Januar 2025

Laut Body-Mass-Index gilt auch ein gesunder Muskelprotz als übergewichtig. Eine internationale Kommission will die Diagnose von Übergewicht reformieren und die Behandlung verbessern. Die Fachwelt ist zwiegespalten.

Symbolbild | Adipositas
Etwa die Hälfte der Kinder mit Fettleibigkeit leidet das gesamte Leben an Adipositas. Je höher der BMI, desto höher das KrankheitsrisikoBild: beyond/beyond foto/picture alliance

Weltweit sind mehr als eine Milliarde Menschen stark übergewichtig. Die WHO spricht bereits von einer Epidemie und die Zahl der Menschen mit Adipositas nimmt weiter rasant zu. Das gilt auch für Kinder und Jugendliche.

Warum ist Übergewicht bei Kindern besonders gefährlich?

Übergewichtige Kinder haben ein erhöhtes Risiko für Typ-2-Diabetes, Bluthochdruck und Fettstoffwechselstörungen. Es kann zu Organschäden wie Leberverfettung, Gallensteinbildung sowie Herzkreislauferkrankungen kommen. Das übermäßige Gewicht belastet Knochen und Gelenke, was zu Arthrose und Rückenproblemen führen kann. Übergewichtige Kinder leiden häufiger unter Kurzatmigkeit, Schlafapnoe und Asthma.

Etwa die Hälfte der fettleibigen Kinder leidet ihr gesamtes Leben lang an Adipositas. Je höher der BMI, desto höher das Risiko für eine schwere, lebensbedrohliche Krankheit. 

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Wann ist jemand übergewichtig?

Als Leitlinie zur Diagnose von Übergewicht dient seit Jahrzehnten der Body-Mass-Index - kurz BMI. Der berechnet sich durch das Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch die Körpergröße in Meter zum Quadrat. So hat eine Person, die 70 kg wiegt und 1,75 m groß ist, einen BMI von 22,86. Als adipös gilt, wer einen BMI von 30 oder höher hat. Demnach sind etwa ein Viertel der Deutschen übergewichtig.

Forschende halten den Body-Mass-Index allein für kein brauchbares Maß für Übergewicht. Denn der BMI kann nicht zwischen Fett- und Muskelmasse unterscheiden und liefert keine Aussage über den Gesundheitszustand. Deshalb schlägt eine internationale Kommission aus mehr als 50 Fachleuten in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet Diabetes & Endocrinology alternative Diagnoserichtlinien für Adipositas vor, die auch Daten zum Körperfett und Taillenumfang berücksichtigen:

  • mindestens eine Messung der Körpermaße (Taillenumfang, Verhältnis Taille-Hüfte oder Verhältnis Taille-Höhe) zusätzlich zum BMI
  • mindestens zwei Messungen dieser Körpermaße unabhängig vom BMI
  • direkte Messung des Körperfetts

Außerdem solle auf objektive Anzeichen und Symptome für einen schlechten Gesundheitszustand geachtet werden. 

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Wann ist Übergewicht krankhaft?

Die neuen Diagnoserichtlinien für Adipositas sollen auch klären, wann Übergewicht als Krankheit zählt. Dafür will die Kommission die unterschiedlichen Ausprägungen der Adipositas genauer definieren, für die unterschiedliche therapeutische Strategien erforderlich sind: 

  • präklinische Adipositas (pre-clinical obesity): Zustand der Fettleibigkeit mit normaler Organfunktion. Menschen mit präklinischer Adipositas sind nicht dauerhaft krank, haben aber ein erhöhtes Risiko, in Zukunft klinische Adipositas und verschiedene andere Krankheiten zu entwickeln. Durch entsprechende Unterstützung lässt sich das Risiko potenzieller Erkrankungen verringern.
  • klinische Adipositas (clinical obesity): Symptome einer eingeschränkten Organfunktion und/oder einer erheblichen Einschränkung bei Standardaktivitäten des täglichen Lebens. Menschen mit klinischer Adipositas gelten als chronisch Kranke und sollen entsprechend behandelt werden.

"Die Frage, ob Adipositas eine Krankheit ist, führt in die Irre, weil sie von einem unplausiblen Alles-oder-Nichts-Szenario ausgeht, bei dem Adipositas entweder immer eine Krankheit oder nie eine Krankheit ist." Die Realität sei differenzierter, so der Vorsitzende der Kommission Francesco Rubino vom King's College London.

Menschen mit präklinischer Adipositas bräuchten individuelle Strategien, um das Risiko für Erkrankungen zu verringern. Menschen mit klinischer Adipositas benötigten schnellen Zugang zu Therapien. Die neue Unterteilung könne eine rationale Zuweisung von Ressourcen und eine medizinisch sinnvolle und faire Priorisierung der verfügbaren Behandlungsoptionen erleichtern.

Wie reagiert die Fachwelt auf die Vorschläge?

Die Vorschläge der Kommission stoßen in der Fachwelt auf ein geteiltes Echo. Viele begrüßen, dass die Definition von Adipositas hinterfragt und der Krankheitsbegriff erweitert wird.

"Wenn man ausschließlich auf den BMI schaut, dann haben auch Sportler·innen mit viel Muskelmasse einen hohen BMI. Auf der anderen Seite gibt es seit einigen Jahren schon den Begriff der 'healthy obesity', also Menschen, die zwar übergewichtig aber noch nicht krank sind. Eine reine Definition von Adipositas über den BMI kann also sehr ungenau sein und Menschen mit einbeziehen, die nicht an Adipositas leiden", so Prof. Dr. Susanna Wiegand, Leiterin der pädiatrischen Adipositas- und Lipidambulanz an der Berliner Charité.

Andere Forschende halten auch die neuen Begrifflichkeiten für zu schwammig. Prof. Dr. Thomas Reinehr von der Vestischen Kinder- und Jugendklinik Datteln hält den Mehrwert des Ansatzes für begrenzt. Die neue Definition werde sich nicht durchsetzen, unter anderem, weil die Bestimmung des BMIs exakt und gut reproduzierbar sei. "Dies ist zum Beispiel für Bauchumfangsmessungen oder Körperfettmessungen nicht gegeben. Vergleichende Bauchumfangsmessungen durch verschiedene Untersucher geben unterschiedliche Ergebnisse." Die Ergebnisse könnten beispielsweise durch die Tageszeit oder das Trinkverhalten beeinflusst sein, sagt Reinehr.

Durch die vorgeschlagene Neudefinition würde die Anzahl adipöser Menschen in den Statistiken sinken. Dies würde fälschlicherweise so wirken, als ob sich das Übergewichtsproblem verringere. Außerdem würden weniger Übergewichtige eine Therapie von den Krankenkassen bezahlt bekommen, so Reinehr.

Die Diskussion über dem BMI sei "größtenteils akademischer Natur", sagt Reinehr. Schon heute würden bei Studien und vor allem bei der individuellen Einordnung eines Patienten nicht nur der BMI, sondern auch Begleiterkrankungen und Körperfettverteilung miterfasst.

 

Quelle:

Definition and diagnostic criteria of clinical obesity

https://www.thelancet.com/commissions/clinical-obesity

 

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