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KatastropheTürkei

Überlebende Erbebenopfer stehen vor dem Nichts

9. Februar 2023

Nach dem katastrophalen Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet schwindet die Hoffnung, weitere Menschen lebend aus den Trümmern zu bergen. Erste Hilfen der Vereinten Nationen erreichten das syrische Bebengebiet.

Türkei Hatay Luftaufnahme Erdbeben
Ganze Straßenzüge sind in Hatay im Südosten der Türkei wie Kartenhäuser zusammengefallenBild: DHA/AFP

Unter den Trümmern der eingestürzten Gebäude sind in beiden Ländern vermutlich noch Tausende Opfer verschüttet. Die Zahl der Todesopfer nach den Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet stieg inzwischen auf mehr als 22.000 gestiegen. Alleine in der Türkei seien fast 19.000 Menschen ums Leben gekommen, sagte Präsident Recep Tayyip Erdogan in Adiyaman. Aus Syrien wurden zuletzt fast 3400 Tote gemeldet. Hinzu kommen Zehntausende Verletzte in beiden Ländern.

Zwar wurde am Donnerstag noch live im türkischen Fernsehen gezeigt, wie eine 60-Jährige lebend aus den Trümmern eines Wohnhauses geborgen wurde. Deutsche und britische Helfer befreiten in der Nacht zu Donnerstag in der türkischen Stadt Kahramanmaras eine Mutter und ihre sechsjährige Tochter aus den Trümmern eines eingestürzten Hauses. Das teilte die Hilfsorganisation àfire mit.

Mit dem Leben davongekommen, aber wie geht es weiter. Erbebenopfer in AntakyaBild: Khalil Hamra/AP Photo/picture alliance

Doch das Zeitfenster, Überlebende zu finden, schließt sich drei Tage nach den verheerenden Beben immer mehr. 72 Stunden gelten als Richtwert, die ein Mensch längstens ohne Wasser auskommen kann. "Die Zahl der Toten und Verletzten dürfte noch sehr stark steigen, sagte der Chef der Rettungsdienste im Nordwesten Syriens, Raed Saleh, der Nachrichtenagentur Reuters.

Gleichwohl gelingen den Einsatzkräfte doch immer wieder Erfolge. So konnten sie am Donnerstag zwei Brüder im Alter von fünf und elf Jahren in der Südosttürkei nach 84 Stunden aus den Trümmern bergen. Der elfjährige sei Autist. Beide Kinder seien ins Krankenhaus gebracht worden, meldet der Sender NTV. Auch in der Provinz Hatay wurden am Donnerstag drei Menschen nach 84 Stunden unter den Trümmern gerettet, wie die Nachrichtenagentur Anadolu berichtet.

Überlebende stehen vor dem Nichts

In beiden Ländern verbrachten viele Menschen bei Minustemperaturen eine weitere Nacht im Freien oder in ihren Autos, weil ihre Häuser zerstört sind oder noch einzustürzen drohten. Die Zerstörungen sind so umfassend, dass kaum jemand dringend benötigte Teile seines Hab und Guts retten konnte.

Überlebende des Bebens bei Kahramanmaras in der TürkeiBild: OZAN KOSE/AFP

Die Rettungskräfte wollen trotz schwindender Chancen die Hoffnung auf weitere Überlebende unter meterhohen Trümmerbergen nicht aufgeben. Dem türkischen Sender TRT World zufolge konnten in der Türkei bislang etwa 8000 Überlebende aus den Trümmern geborgen werden. Eine Reporterin des Fernsehkanals berichtete über den verzweifelten Kampf gegen die Zeit: "Die Retter weigern sich aufzugeben."

Einsatzkräfte arbeiten sich in Kahramanmaras vorsichtig durch SchuttbergeBild: Stoyan Nenov/REUTERS

Zur Verzweiflung der Angehörigen ist es mitunter auch nicht möglich, Verschüttete zu bergen, obwohl ihre Hilferufe zu hören sind. In der Türkei kritisieren bereits viele den Mangel an Ausrüstung, Fachwissen und Unterstützung. Allein in der Türkei sind nach Regierungsangaben mehr als 100.000 Helfer im Einsatz.

Erster UN-Hilfskonvoi erreicht Nordsyrien

Ein erster Hilfskonvoi der Vereinten Nationen hat den von Rebellen kontrollierten Norden Syriens über den seit einzigen noch offenen Grenzübergang zwischen der Türkei und Syrien bei Bab al-Hawa passiert. Bei der Ladung der sechs Lastwagen handele es sich um Hilfsgüter, die bereits in Syrien eintreffen sollten, bevor das Erdbeben am Montag das Gebiet erschütterte, hieß es von Seiten der Grenzschützer.

Die sechs Lastwagen des UN-Hilfskonvois für Syrien bei Bab al-Hawa Bild: OMAR HAJ KADOUR/AFP

Die ohnehin schwierige Lage für Rettungskräfte und Hilfslieferungen vor Ort wird in Syrien zusätzlich durch die politisch heikle Situation erschwert. Das Katastrophengebiet ist dort in von Damaskus kontrollierte Gebiete und Territorien unter der Kontrolle von Rebellen geteilt. Durch die Schäden infolge der Erdstöße blieb auch die reguläre UN-Hilfe aus. Der Grenzübergang Bab al-Hawa war schon vor dem Erdbeben eine Lebensader für rund 4,5 Millionen Menschen im Nordwesten des Landes, der nicht von der syrischen Regierung kontrolliert wird. 90 Prozent der Bevölkerung waren dort bereits vor der Katastrophe nach UN-Angaben auf humanitäre Hilfe angewiesen.

Rettungskräfte aus Iran und Armenien helfen bei Aleppo/Syrien bei der BergungsarbeitenBild: AFP

Der UN-Syrienvermittler Geir Pedersen hat an die syrische Regierung appelliert, Hilfsgüter für Erdbeben-Betroffene in Regionen außerhalb der Regierungskontrolle nicht zu behindern. "Wir müssen sicherstellen, dass es keine politischen Behinderungen gibt, um die Hilfsgüter dorthin zu bekommen, wo Menschen betroffen sind." Er habe mit Vertretern der USA und der Europäischen Union gesprochen, sagte Pedersen. "Sie versichern mir, dass sie alles in ihrer Macht Stehende tun, um sicherzustellen, dass es keine Hürden für Hilfe gibt, die für diesen Einsatz nach Syrien gebracht werden muss.". Bei möglichen politischen Behinderungen geht es auch um von den USA und der EU verhängte Sanktionen, die Exporte in das Land erschweren.

EU sichert Türkei verstärkte Hilfe zu

"Wir stehen bereit, unsere Unterstützung in enger Zusammenarbeit mit den türkischen Behörden weiter zu verstärken", heißt in einem Schreiben der EU-Staaten an den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Die 27 Staats- und Regierungschefs der EU sprachen demnach der Bevölkerung in der Türkei und in Syrien ihre "volle Solidarität" aus.

Nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) könnten bis zu 23 Millionen Menschen von den Folgen des Bebens betroffen sein. Die wirtschaftlichen Schäden könnten sich der Ratingagentur Fitch zufolge auf mehrere Milliarden Dollar summieren. Zwar seien die Verluste derzeit noch schwer zu schätzen, da sich die Lage ständig ändere, teilte die Ratingagentur mit. Die Schäden dürften aber zwei Milliarden Dollar übersteigen und könnten sich auf bis zu vier Milliarden Dollar "oder mehr" belaufen. Die versicherten Schäden schätzt Fitch nur auf rund eine Milliarde Euro, da ein Großteil der Gebäude in der Region keinen Versicherungsschutz hat.

qu/kle (dpa, afp, rtr)

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