Ukraine: Was spricht für die AKW-Übernahme durch die USA?
25. März 2025
Die Atomkraftwerke in der Ukraine zu Eigentum der USA zu machen, sei der beste Weg, sie vor russischen Bomben zu schützen. So zumindest hieß es in einer Stellungnahme von US-Außenminister Marco Rubio und dem Nationalen Sicherheitsberater Mike Waltz, nachdem sie beiden Präsidenten Donald Trump und Wolodymyr Selenskyj telefoniert hatten.
Der ukrainische Präsident hatte den Inhalt des Telefonats am 19. März offenbar etwas anders interpretiert: Man könne über Investitionen reden, sagte er, "aber wir haben nur über ein AKW gesprochen, das besetzt ist", sagte Selenskyj vor Journalisten. Gemeint ist das AKW Saporischschja. Bereits kurz nach Beginn der Großoffensive Russlands im Februar 2022 hatte die russische Armee das mit Abstand größte Kernkraftwerk der Ukraine besetzt. Die anderen befinden sich unter ukrainischer Kontrolle.
Kritik seitens der ukrainischen Opposition
Der US-Vorschlag hat in der Ukraine eine Diskussion entfacht. "Erst haben wir die Atomwaffen hergegeben und nun will man uns auch die Atomkraftwerke nehmen", schreibt die Co-Vorsitzende der Oppositionsfraktion "Europäische Solidarität", Iryna Heraschtschenko, auf Telegram. 1994 hatte Russland, nach dem sogenannten Budapester Memorandum, alle sowjetischen Atomwaffen aus der Ukraine abgezogen. Im Gegenzug garantierten die USA und Russland der Ukraine ihre Souveränität und territoriale Integrität.
Heraschtschenkos Fraktionskollege, der Abgeordnete Oleksij Hontscharenko, mutmaßt öffentlich, dass der ukrainische Präsident den USA das AKW Saporischschja selbst angeboten habe: "Er bat um Hilfe für den Wiederaufbau, und die USA haben nicht lange überlegt und sprechen jetzt von allen unseren Atomkraftwerken. Zuerst haben wir Seltene Erden angeboten, nach denen uns niemand gefragt hat, und jetzt die Atomkraft", schreibt Hontscharenko auf Facebook und bittet Selenskyj, nicht weiter mit Trump zu reden. Andernfalls, schreibt er unverhohlen sarkastisch, bliebe der Ukraine am Ende nur noch der fruchtbare Boden.
Frage nach Sicherheitsgarantien
Sachlicher kritisiert Mychajlo Hontschar, Leiter des ukrainischen Zentrums für globale Studien "Strategie XXI", eine Übergabe von AKWs an die USA. Zum einen gehe es um nukleare Sicherheit, sagte er der DW. "Es darf nur einen einzigen Betreiber geben, nämlich Energoatom." Der ukrainische Staatskonzern müsse auch Eigentümer bleiben, betont Hontschar. "Selbst wenn wir dies aus geschäftlicher Sicht betrachten, wie die USA es vorschlagen: Was bekommen wir von ihnen im Gegenzug, wenn sie alle ukrainischen Atomkraftwerke übernehmen? Darauf gibt es keine Antwort."
Er vermisse konkrete Sicherheitsgarantien seitens der USA, sagt Hontschar und erinnert daran, dass bis 2022 mehrere US-Firmen in der Ukraine an der Erschließung von Gasfeldern arbeiteten. Nach Beginn der russischen Invasion hätten sie die Ukraine verlassen. Auch das AKW Saporischschja sei bis 2022 vollständig mit Kernbrennstoff des US-Lieferanten Westinghouse betrieben worden. Die Besetzung durch die Russen habe das nicht verhindert. "Eine Übertragung des Besitzes an AKWs wäre ein trügerisches Geschäft", warnt Hontschar. Die Ukrainer würden ihr Eigentum abgeben und die Amerikaner sich im Notfall einfach davonmachen.
Hontschar kritisiert zudem, dass der jetzigen US-Führung nicht klar sei, welches Ausmaß an Schäden die russischen Truppen der Anlage in Saporischschja zugefügt haben. "Die Sprengung des Kachowka-Wasserkraftwerks durch Russland führte zum Niedergang des AKWs. Der Stausee ist ausgetrocknet und wegen Wassermangels können höchstens zwei der sechs Reaktorblöcke betrieben werden. Trumps Team wird damit kein Geschäft machen können", so der Energieexperte. Auch Präsident Selenskyj hatte erklärt, dass eine Befreiung des AKWs allein nicht reiche, um die Stromproduktion aufzunehmen, es bedürfe außerdem der dazugehörigen Infrastruktur und einer sicheren Wasserversorgung sowie Personal.
Chance zur Befreiung des AKWs?
Wolodymyr Omeltschenko vom Kyjiwer Rasumkow-Forschungszentrum sieht das anders. Er hält eine amerikanische Übernahme ukrainischer AKWs für die Ukraine für durchaus interessant. Wenn es den USA gelinge, das AKW Saporischschja sowie die dazugehörige Infrastruktur in der Stadt Enerhodar unter ukrainische Kontrolle zu bringen, könne die Ukraine ein Unternehmen zum Betrieb des AKWs gründen, über das die USA als Partner beteiligt werden könnte.
"Das wäre positiv für die Ukraine", sagte Omeltschenko der DW. "Das AKW würde die Verbraucher versorgen, dem Staatshaushalt Geld einbringen und das Sicherheitsproblem wäre gelöst." Russland könne die Sicherheit des Kraftwerks nicht gewährleisten, weil das russische Personal die Besonderheiten der Anlage nicht kenne. "Das US-Angebot ist gut und die Ukraine sollte es annehmen", meint Omeltschenko.
"Russland wird das AKW nicht einfach hergeben"
Die ukrainische Expertin für Atomenergie Olha Koscharna hält das für problematisch. Alle ukrainischen Atomkraftwerke sind in Staatsbesitz und könnten, unter anderem aufgrund finanzieller Verpflichtungen gegenüber der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE), nicht einfach privatisiert werden, so die Expertin. Außerdem glaubt sie nicht, dass die russischen Besatzer bereit sind, das AKW Saporischschja aufzugeben. Sie würden sogar Vorbereitungen treffen, es an das russische Energienetz anzuschließen.
Die Einschätzung der Expertin hat sich als richtig erwiesen. Denn das russische Außenministerium hat erneut die Übergabe der Kontrolle über das AKW in Saporischja an die Ukraine oder ein anderes Land ausgeschlossen.
"Das AKW Saporischja ist eine russische Nuklearanlage", heißt es in einem Statement des Ministeriums. Der internationalen Gemeinschaft bleibe nichts anderes übrig, als diesen Fakt anzuerkennen*.
"Ich denke, das AKW kann man nur auf militärischem Weg befreien. Alle Aufrufe, Resolutionen und Vorschläge der USA zeigen auf Russland keine Wirkung", sagt Koscharna. Das AKW sei für Russland eine nukleare Trophäe, mit der es die Ukraine zudem erpressen könne: "Russland wird das AKW nicht einfach hergeben."
Auch der ehemalige ukrainische Energie- und Umweltminister Oleksij Orschel betont im Gespräch mit der DW, dass die Gesetze der Ukraine eine Übertragung strategischer Anlagen in Privatbesitz einschränken. Seiner Meinung nach könnte man dies aber im Falle der AKWs überdenken, wenn es dem Sicherheitsinteresse des Landes diene: "Wären bestimmte Objekte im Besitz der USA, wäre die Wahrscheinlichkeit, dass Putin sie gezielt zerstört, zumindest geringer", hofft Orschel.
Adaption aus dem Ukrainischen: Markian Ostaptschuk
*Dieser Artikel wurde am 26.März aktualisiert und ergänzt.