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Aachener Umweltmediziner verteidigt NO2-Test

2. Februar 2018

Prof. Thomas Kraus hat das umstrittene Stickstoff-Experiment durchgeführt. Im Interview erklärt er, wie es dazu kam, warum es ethisch begründet war und dass ihn die Berichterstattung kalt erwischt hat.

Roboter in der Autofertigung
Ein Schweißroboter in der Autoindustrie - auch in der Produktion ensteht Stickstoffdioxid.Bild: dpa

Herr Prof. Kraus, Sie hatten 2013 und 2014 eine Expositionsstudie mit Stickstoffdioxid (NO2) durchgeführt. Als Sie am Montag erstmals erfuhren, dass die Süddeutsche Zeitung (SZ) diese in Zusammenhang mit Abgasversuchen an Affen brachte, was ging Ihnen da durch den Kopf?

Ich war zunächst überrascht und dann auch entsetzt, dass sehr undifferenziert berichtet wurde über eine Untersuchung, die wir lange abgeschlossen hatten und auch darüber, dass es mit dem Dieselskandal in Verbindung gebracht wurde, obwohl diese Studie weit vor dem Dieselskandal durchgeführt wurde.

Hatten die Journalisten der SZ eigentlich vor der Veröffentlichung mit Ihnen gesprochen?

Nein, ich hatte zu keinem Zeitpunkt einen Kontakt mit irgendjemandem von der Süddeutschen Zeitung.

Hatten Sie schon vorher Erfahrungen, dass Studien aus dem Bereich der Umweltmedizin von den Medien so aufgegriffen wurden?

Prof. Thomas Kraus erklärt im Pressegespräch sein Stickoxid-ExperimentBild: Reuters/W. Rattay

Es passiert sehr selten, dass Studien in diesem Ausmaß fehlinterpretiert wiedergegeben werden. Natürlich werden immer wieder Studienergebnisse medial aufgegriffen und einzelne Forschungsarbeiten stoßen auf ein sehr großes mediales Interesse. Es ist ja eine sehr gesellschaftsrelevante Forschung, die wir machen. Sie hat potentiell Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit in der Umwelt und am Arbeitsplatz.

Deswegen ist eine mediale Aufmerksamkeit nichts Ungewöhnliches. Nur die Art und Weise, wie unsere Studie mit Tierversuchen und Dieselmotor-Emissionen, die in keinster Weise vergleichbar sind, verquickt wurde, das hat mich ein Stück weit entsetzt.

Einzelne Kommentatoren haben ja sogar einen unglücklichen Bezug zur deutschen Geschichte hergestellt. Was war für Sie die größte Fehlinterpretation?

Der größte Fehler war sicherlich, dass in einigen Darstellungen behauptet wurde, wir hätten Autoabgase getestet. Wir haben nur mit Stickstoffdioxid getestet. Dieses Gas kommt auch in Autoabgasen vor, ist aber nur eine Komponente davon. Es spielt auch in ganz anderem Kontext am Arbeitsplatz eine Rolle.

Anm.d.Red.: Dieser Fehler ist übrigens selbst der Deutschen Welle passiert. 

Als Sie die Studie durchgeführt haben, sind Sie da auf die Idee gekommen, dass der Finanzier der Studie - die Europäische Forschungsvereinigung für Umwelt und Gesundheit im Transportsektor (EUGT), die von der Autoindustrie gegründet worden war - ihre Ergebnisse auch ganz anders nutzen könnte, zum Beispiel um zu verhindern, dass Auto-Abgas-Grenzwerte heruntergesetzt werden?

Dass der Förderer ein Interesse hat, auch Informationen zu bekommen, wie Stickstoffdioxide im Niedrigkonzentrationsbereich wirken, konnte ich mir selbstverständlich vorstellen. Ich finde es selbst eine interessante Forschungsfrage, denn in epidemiologischen Studien ist ja immer wieder gezeigt worden, dass die Luftverschmutzungen auch in niedrigen Konzentrationsbereichen zu gesundheitlichen Einschränkungen beim Menschen führen können.

Das Problem, bei der Interpretation dieser Umweltstudien ist ja, dass die bevölkerungsbezogene Epidemiologie immer nur die Mischbelastung bewerten kann. Draußen haben wir nämlich alle möglichen Luftschadstoffe. Welcher dann konkret wirkt, ist nicht bekannt. Es ist natürlich schon interessant, zu versuchen, die einzelnen Wirkstoffkomponenten auseinanderzudividieren und zu schauen: Was sind tatsächlich die Gefahrstoffe, die zur Wirkung führen, die wir in den epidemiologischen Studien beobachten? Dass es auch für die Automobilindustrie eine interessante Fragestellung ist, ist nachvollziehbar.

Wer hat sich denn das Experiment ausgedacht und was war die Motivation dafür?

Wir stellen als Institut Bedingungen, die für Industrieförderungen erfüllt sein müssen: Der Förderer darf nicht an der Konzeption des Studiendesigns beteiligt sein. Er darf keinen Einfluss auf die Durchführung nehmen. Wir müssen volle ergebnisoffene Publikationsfreiheit haben und die Förderung muss völlig transparent sein.

In diesem Fall hatte Dr. Rudolf Jörres, Arbeits-, Sozial und Umweltmediziner der Ludwig Maximilian Universität in München das Studiendesign entwickelt. Dort sollte die Studie ursprünglich auch durchgeführt werden. Weil dort zu der Zeit kein Labor zur Verfügung stand, sind sie auf uns zugekommen. So kam die Kooperation zustande.

Und wann kam die EUGT ins Spiel?

Schon vor 2012 war bekannt, dass die EUGT als potentieller Förderer zur Verfügung stehen könnte.

Ist es üblich, dass ein Forscher zuerst ein Vorhaben entwirft und sich dann an die Industrie für eine Förderung wendet, oder kommen die Vorschläge eher aus der Industrie?

Das kann so und so sein. Es gibt Konzepte, die völlig losgelöst von einem Wissenschaftler als Idee geboren werden und dann sucht man nach einer Fördermöglichkeit. Das ist sehr häufig der Fall. Oft bekommt man für seine Ideen aber keine Forschungsförderung.

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Die andere Konstellation ist, dass andere Leute - etwa aus der Industrie, aus Ministerien - sagen: 'Da müsste man eigentlich mehr forschen. Könntet Ihr Euch vorstellen, eine entsprechende Idee zu entwickeln wie man so etwas machen könnte?'

Mit dem NO2 fing es so an, dass in einer Begründung der Deutschen Forschungsgemeinschaft für die Absenkung des Arbeitsplatzgrenzwertes -publiziert 2010 -stand, dass die vorliegenden Studien alle nur Mischexpositionen betrachten und die Datenlage zu Monoexpositionen mit NO2 völlig unzureichend ist. Das war für uns die Motivation, mit unserem methodischen Spektrum, dazu beizutragen, diese Lücke zu schließen. Es ging also um Arbeitsplatzgrenzwerte.

Eigentlich ist es doch ungewöhnlich, einen Schadstoff am Menschen zu testen. Bei Medikamenten kennt man solche Versuchsreihen ja, weil die Arzneimittel sicher sein sollen. Aber man würde einen Probanden ja auch nicht Asbest oder Zigarettenrauch aussetzen. Wo ziehen Sie da die Grenze?

Sie können natürlich solche Untersuchungen keinesfalls mit für den Menschen krebserzeugenden Substanzen machen. Das wäre absolut unethisch und in keinster Weise zu vertreten.

Es ist nur möglich, wenn ich aus der Toxikologie weiß, dass wenn ich Probanden einem Gefahrstoff in einer definierten Konzentration aussetze, keine manifeste Erkrankung verursache. Deshalb haben wir unser Design so gewählt: Eine Kurzzeitbelastung unter dem alten Grenzwert. Und wir haben Methoden eingesetzt, die extrem empfindlich waren.

Wären irgendwelche beginnenden Entzündungen aufgetreten, hätten wir das festgestellt, lange bevor der betroffene Proband Beschwerden gehabt hätte. Dann ist so etwas durchaus ethisch vertretbar. Veränderungen im molekularen Bereich bei Entzündungsmarkern sind innerhalb von Stunden reversibel.

Deswegen ist die Ethikkommission bei der Nutzen-Risiko Abwägung zu dem Schluss gekommen, dass es unter diesen streng kontrollierten Bedingungen und mit der gewählten Methodik vertretbar ist, die Probanden dieser Belastung auszusetzen. Weil aus den Ergebnissen dieser Studie ein relevanter Nutzen für die Arbeitsplatzsicherheit zu erwarten ist.

Professor Thomas Kraus ist Lehrstuhlinhaber für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin am Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen.

Das Interview führte Fabian Schmidt

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