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PolitikFrankreich

Überraschungs-Sieger in Frankreich: Wer sind die Linken?

8. Juli 2024

Bis zur Stichwahl war das neue Linksbündnis in Frankreich NFP einig im primären Ziel, die Rechten zu schlagen. Nachdem das überraschend geglückt ist, dürften neue gemeinsame Ziele schwieriger werden.

Sozialistenchef Olivier Faure steht auf dem Podium und hält die linke Faust hoch
Verbesserte das Ergebnis der Sozialisten: Sozialistenchef Olivier FaureBild: Aurelien Morissard/AP Photo/picture alliance

Unmittelbar nach der Europawahl am 9. Juni erlebte Frankreich zwei handfeste politische Überraschungen: Direkt am Abend die Ankündigung des abgestraften Präsidenten Emmanuel Macron, die Nationalversammlung aufzulösen und neu wählen zu lassen. Und direkt am nächsten Tag überraschte die in viele Parteien zersplitterte französische Linke mit dem Schmieden eines gemeinsamen Bündnisses: Als Nouveau Front Populaire ("Neue Volksfront", NFP) wollten sie zusammenarbeiten, um einen Wahlsieg des rechtsextremen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen zu verhindern.

Dieses Ziel hat das Linksbündnis erreicht: Es ging überraschend als stärkste Kraft aus der Stichwahl am 7. Juli hervor und sieht sich nun auf dem Weg zur Macht. "Die Neue Volksfront ist bereit zum Regieren", sagte der Chef der linken La France Insoumise (LFI), Jean-Luc Mélenchon, am Wahlabend. "Wir haben gewonnen und jetzt werden wir regieren", erklärte die Generalsekretärin der Grünen, Marine Tondelier, die als maßgebliche Initiatorin des Linksbündnisses gilt.

Würde gerne regieren: LFI-Chef Jean-Luc Mélenchon am WahlabendBild: Thomas Padilla/AP Photo/picture alliance

Und der Chef der Sozialisten, Olivier Faure, sagte: "Die Neue Volksfront muss diese neue Seite unserer Geschichte in die Hand nehmen." In seiner Ansprache wird der Konflikt für die unmittelbare Zukunft deutlich: Mit dem liberalen Präsidentenlager "Ensemble" will Faure nämlich nicht zusammenarbeiten.

Wer ist Teil des Linksbündnisses?

Die Sozialisten sind die einzige Gruppierung innerhalb des Linksbündnisses, die Regierungserfahrung vorweisen können. Die Partei stellte mit François Mitterrand (1981-1995) und François Hollande (2012-2017) zwei französische Präsidenten. Dazu kommt Erfahrung mit der sogenannten "Cohabitation" - also der Konstellation, in der die Partei des Präsidenten keine Mehrheit im Parlament besitzt und dort mit einer Regierung anderer politischer Färbung zusammenarbeiten muss. Von 1997 bis 2002 stellten die Sozialisten den Premierminister Lionel Jospin unter dem konservativen Präsidenten Jacques Chirac.

Politisch ungleiches Duo: Premierminister Lionel Jospin und Präsident Jacques Chirac, gegen Ende ihrer Kohabitation 2002Bild: epa belga Doppagne/dpa/picture-alliance

Allerdings sind sie nur die zweitstärkste Gruppe im aktuellen Linksbündnis: Hollandes Unbeliebtheit begünstigte 2017 den Aufstieg seines ehemaligen Parteikollegen Jean-Luc Mélenchon, dessen Partei La France Insoumise (LFI) stärker auf Linkspopulismus und EU-Skepsis setzt. Mélenchon selbst fiel in der Vergangenheit mit antisemitischen Aussagen auf, äußerte bis zur russischen Invasion in der Ukraine regelmäßig großes Verständnis für die Sichtweise des Kreml und fordert bis heute Frankreichs Austritt aus der NATO.

Drittgrößter Partner sind die Grünen, die sich mit vollem Namen "Europe Écologie Les Verts" (EELV) nennen. Außerdem vertreten sind die Französische Kommunistische Partei (PCF) sowie eine ganze Reihe kleinerer bis winziger Parteien - zum Beispiel eine Gruppierung, die im fernen Überseegebiet Französisch-Polynesien für dessen Unabhängigkeit eintritt.

Droht dem Linksbündnis dasselbe Schicksal wie seinen Vorgängern?

Das Linksbündnis NFP steht in direkter Tradition einer früheren Zusammenarbeit, die heute als gescheitert gilt: Als sich im regulären Wahljahr 2022 Macron und Le Pen schon einmal gegenüberstanden, hatte Mélenchon die französische Linke zum Schulterschluss unter seiner Führung aufgerufen. Sein Bündnis der "Neuen ökologischen und sozialen Volksfront" (Nupes) wurde schließlich sogar zweitstärkste Kraft im Parlament, konnte diesen Wahlerfolg jedoch nicht in politischen Machtgewinn umwandeln: Die Bildung einer gemeinsamen Fraktion in der Nationalversammlung scheiterte - an Sozialisten, Kommunisten und Grünen, die ihr jeweiliges Profil nicht in einem solchen Oppositionsbündnis des Euroskeptikers Mélenchon verwässern wollten.

Feier vor dem Bruch: Nupes-Anhänger am Wahlabend im Juni 2022Bild: Michel Euler/AP Photo/picture alliance

Von Nupes zum neuen Linksbündnis NFP gab es eine zentrale Veränderung: Anstelle von Mélenchon als zentraler Führungsfigur tritt das Spitzenpersonal der größeren Parteien als kollektive Führung auf - und damit auch ohne Spitzenkandidaten, der oder die auf Grundlage des jüngsten Wahlergebnisses logischer Anwärter auf den Posten des Regierungschefs wäre.

Die Politologin Sophie Pornschlegel vom Brüsseler Thinktank Europe Jacques Delors rechnet dem neuen Bündnis bessere Erfolgschancen aus: "Sie haben bessere Gründe, zusammenzubleiben, weil sie tatsächlich eine Regierung bilden und exekutive Macht ausüben könnten - das ist eine große Motivation, es gemeinsam hinzukriegen." Dazu komme, dass die Sozialisten nach den jüngsten Wahlen innerhalb des Bündnisses mehr Gewicht hätten und, dass teilweise eine neue Generation weniger egozentrischer Politiker in den Parteien den Kurs vorgebe, so Pornschlegel weiter.

Vom Bündnis zur Koalition?

Ob das Linksbündnis aus seiner relativen Mehrheit nun politisches Kapital schlagen kann, ist jedoch noch völlig offen: Bereits im Vorfeld der Wahl sprachen sich Vertreter einiger Parteien für eine Einheitsregierung - mit Macron, gegen Le Pen - aus. Vor allem LFI beharrte jedoch auf seinen politischen Maximalforderungen, die mit Macron nicht zu machen wären. Der Präsident hat eine Zusammenarbeit mit Mélenchon jedoch im Vorfeld kategorisch ausgeschlossen.

Auf die Inhalte kommt es an: Grünen-Generalsekretärin Marine Tondelier bei der StimmabgabeBild: Sameer Al-Doumy/AFP

"Es ist eher die Frage, wer welche Posten in einer neuen Regierung erhält", meint Sophie Pornschlegel: "Es ist sehr unwahrscheinlich, dass La France Insoumise den Premierminister stellt, weil das nicht mit Macron funktioniert. Aber die Verhandlungen kommen erst, es ist also sehr schwer zu sagen."

Im Laufe dieser Woche will das Linksbündnis sich auf einen Vorschlag für einen Premierminister einigen. Eine noch wichtigere Frage sei jedoch, sagte die Grüne Tondelier, welche Politik dessen Regierung umsetzen solle.

Mitarbeit: Ella Joyner