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Politik

1:0 für Whistleblower

12. April 2019

Panama Papers, Cum-Ex, Dieselgate - oft geben Mitarbeiter Hinweise an die Presse. Beinahe wäre das für die Whistleblower, aber auch für Journalisten strafbar geworden. Aus Berlin Sabine Kinkartz.

Symbolbild | Cum-Ex-Geschäfte an der Börse
Bild: picture-alliance/chromorange/C. Ohde

Nach dem Bundestag hat am Freitag auch der Bundesrat einem Gesetz zugestimmt, das Unternehmen besser vor Industriespionage schützen soll. Wer Geschäftsgeheimnisse rechtswidrig erwirbt, offen legt oder nutzt, macht sich in Zukunft strafbar.

Damit setzt Deutschland mit fast einem Jahr Verspätung eine EU-Richtlinie aus dem Jahr 2016 um. Ausgenommen von der Strafbarkeit sind Journalisten und ihre Hinweisgeber, die Missstände ans Licht der Öffentlichkeit bringen. Damit sind Whistleblower erstmals gesetzlich vor einer Strafverfolgung geschützt.

Ende gut, alles gut? Die Geschichte hätte auch anders ausgehen können. Denn in der ursprünglichen Gesetzesvorlage des von der SPD geführten Bundesjustizministeriums, die erstmals im April 2018 öffentlich wurde, fehlte eine Ausnahmeregelung für Journalisten und Hinweisgeber. Dabei ist sie in der EU-Richtlinie ausdrücklich enthalten. Zudem sollten Unternehmen in der deutschen Fassung selbst bestimmen dürfen, was ein Geschäftsgeheimnis ist und was nicht. Also auch Unterlagen, die einen Skandal belegen.

Enthüllung oder Verrat?

Unternehmen hätten Journalisten bei der Staatsanwaltschaft anzeigen können, wenn diese über interne Dokumente berichten. Im Zuge der Ermittlungen hätten Redaktionen durchsucht und Informanten enttarnt werden können. Die Betroffenen hätten für die Dauer der Ermittlungen unter dem Verdacht gestanden, eine Straftat begangen zu haben.

Ein Szenario, das durchaus realistisch ist, wie sich unter anderem am Fall des Journalisten Oliver Schröm zeigt. Der Chefredakteur des Rechercheverbundes Correctiv war maßgeblich an der Aufdeckung der Steuerbetrügereien im Cum-Ex-Skandal beteiligt.

Schröm bekam seine Informationen von einem Mitarbeiter einer Schweizer Privatbank. Die Bank zeigte Schröm daraufhin wegen Wirtschaftsspionage bei der Staatsanwaltschaft in Zürich an. Inzwischen ist auch die Staatsanwaltschaft in Hamburg involviert. Die Schweizer haben ihre deutschen Kollegen gebeten, gegen Schröm wegen "Anstiftung zum Verrat von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen" zu ermitteln.

Investigativer Journalismus: Nein Danke!

Auch vor diesem Hintergrund schlugen Medienverbände und Gewerkschaften Alarm. Sie warnten, dass insbesondere investigativ tätige Journalisten aus Angst vor staatsanwaltlichen Ermittlungen in Zukunft davor zurückschrecken könnten, Missstände aufzudecken. Zumal sie ihren Informanten keinen Schutz mehr hätten garantieren können. Die Wahrscheinlichkeit, dass Steuerskandale, Dieselmanipulationen oder ähnliches zukünftig ans Licht kommen würden, werde deutlich reduziert, wenn nicht sogar zunichte gemacht.

Bild: picture alliance/dpa/K.Ohlenschläger

Da das Bundesjustizministerium mit der Umsetzung der EU-Richtlinie bereits spät dran war, sollte das Gesetz im Oktober 2018 im Eilverfahren, also ohne Änderungen, durch den Bundestag gebracht werden. Dafür ist eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig. Das scheiterte am Widerstand des Bundestags. Die Parlamentarier pochten darauf, dass das Grundrecht der Pressefreiheit Vorrang gegenüber Geschäftsgeheimnissen haben müsse.

Was hat sich das Ministerium dabei gedacht?

Selten sind sich Opposition und Regierungsparteien einig. In diesem Fall hagelte es, abgesehen von der rechtspopulistischen AfD, parteiübergreifend Kritik. Es dürfe nicht sein, dass man eine gute Rechtsschutzversicherung brauche, um journalistisch arbeiten zu können, meinte der SPD-Abgeordnete Martin Rabanus, dessen Parteifreundin Katarina Barley das Justizministerium leitet.

Auf dem Sprung nach Brüssel: Justizministerin Katarina Barley Bild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Die Linksfraktion mutmaßte, dass Wirtschaftsverbände erheblichen Einfluss auf die Gesetzgebung genommen hätten. Ihr Abgeordneter Niema Movassat wetterte, wahrscheinlich sei Barley, die bei der Europawahl als SPD-Spitzenkandidatin ins Rennen geht, "so sehr mit ihrem Umzug nach Brüssel beschäftigt, dass sie nicht mehr so ganz mitbekommt, was ihr Justizministerium so treibt." 

Übersetzungsfehler mit weitreichenden Folgen

Auf Drängen der Linkspartei fand eine Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestags statt, zu der Sachverständige eingeladen wurden. Die unterstützten die Kritik an dem Gesetzentwurf, der unter anderem auch einen Übersetzungsfehler enthielt. Nach der EU-Richtlinie handelt ein Whistleblower gerechtfertigt, wenn seine Veröffentlichung objektiv den Zweck erfüllt, dem öffentlichen Interesse zu dienen.

Das deutsche Justizministerium übersetzte "purpose" aber nicht mit "Zweck", sondern mit "Absicht". Wer Skandale an die Presse gebe, müsse in der Absicht handeln, dem öffentlichen Interesse zu dienen und müsse sich entsprechend rechtfertigen. "Das ist eine Gesinnungsprüfung, die dem modernen Strafrecht zum Glück fremd ist", urteilte der Linkspolitiker Movassat.

EU will Whistleblower besser schützen

Auf Druck der Parlamentarier wurde der Gesetzentwurf schließlich geändert. Danach ist es ausdrücklich nicht strafbar, rechtswidrige Handlungen, berufliches oder sonstiges Fehlverhalten aufzudecken. Dazu zählt auch unethisches Handeln, selbst wenn es im Land des Firmensitzes nicht rechtswidrig ist. Das gilt beispielsweise für Kinderarbeit oder gesundheitsschädliche und umweltschädliche Produktionsbedingungen.

Unabhängig von dem jetzt auch in Deutschland auf den Weg gebrachten Gesetz sollen Whistleblower innerhalb der EU in Zukunft noch besser geschützt werden. Eine entsprechende Richtlinie soll am 16. April im EU-Parlament in erster Lesung beraten werden. Unter anderem ist vorgesehen, sichere Kanäle für die Meldung von Missständen sowohl innerhalb eines Unternehmens oder einer Organisation als auch an Behörden zu schaffen.

Darüber hinaus sollen Hinweisgeber vor Kündigungen, Zurückstufungen und anderen Repressalien geschützt werden. Wenn das Parlament und der EU-Rat zugestimmt haben, muss auch diese EU-Richtlinie innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht umgesetzt werden. Im Bundestag haben die Grünen schon angekündigt, dass sie bei der Gesetzgebung ganz genau hinschauen werden.

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