Flucht, Asyl, Integration: Wo steht Deutschland heute?
25. August 2025
"Wir schaffen das." Ein Satz, der weltweit zum Symbol wurde für die offene Haltung Deutschlands gegenüber Geflüchteten. Als die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Sommer 2015 diesen Satz sagte, waren Hunderttausende Menschen auf dem Weg nach Deutschland – viele kamen aus Syrien, Afghanistan und dem Irak.
Mit einer Welle an Solidarität und Hilfsbereitschaft wurden sie empfangen. Vielen sind die Bilder vom Hauptbahnhof in München in Erinnerung, wo tausende Geflüchtete von Einheimischen mit kleinen Geschenken begrüßt wurden.
Doch zehn Jahre später zeigt sich: Die Stimmung in Deutschland hat sich verändert. Die anfängliche Willkommenskultur ist gewichen, Skepsis und Ablehnung herrschen vor. Denn nicht alles hat Deutschland geschafft. Viele Neuankömmlinge haben noch keinen Job gefunden. Kriminalität von und gegen Geflüchtete wird heiß diskutiert. Migration ist zum emotional aufgeladenen Thema geworden.
Ein datenbasierter Rückblick in zehn Fragen und Antworten zeigt, ob die Integration gelungen ist und wie die Zuwanderung Deutschland verändert hat.
1. Wie viele Flüchtlinge sind nach Deutschland gekommen?
Zusammengenommen sind in den Jahren 2015 und 2016 1,2 Millionen Menschen auf der Suche nach Schutz nach Deutschland gekommen und haben hier einen Antrag auf Asyl gestellt. In den nachfolgenden Jahren hat die Zahl der Asylsuchenden deutlich abgenommen.
Kein anderes Land in der Europäischen Union hat eine ähnlich hohe Zahl an Schutzsuchenden aufgenommen. Nach Deutschland haben Menschen vor allem in Italien (204 Tsd.), Ungarn (203 Tsd.) und Schweden (178 Tsd.) Asyl beantragt.
Doch ein Antrag auf Asyl bedeutet nicht automatisch, dass auch jeder Mensch als Flüchtling anerkannt wurde und ein Aufenthaltsrecht erhalten hat. Im Schnitt hat Deutschland mehr als die Hälfte (56 Prozent) der in den letzten zehn Jahren gestellten Asylanträge in erster Instanz positiv entschieden und damit 1,5 Millionen Menschen ein Bleiberecht gewährt.
Im europäischen Vergleich liegt Deutschland damit über dem EU-Schnitt und auch vor anderen Ländern, die viele Flüchtlinge aufgenommen haben.
Deutschland ist eines der wenigen Länder weltweit, das politisch Verfolgten ein vor Gerichten einklagbares Recht auf Asyl einräumt.
Neben den politisch Verfolgten dürfen auch Menschen in Deutschland bleiben, die gemäß der Genfer Konvention als Flüchtlinge gelten oder als sogenannte subsidiär Schutzberechtigte, etwa weil in ihrer Heimat Krieg herrscht. Insgesamt leben heute etwa 3,5 Millionen Schutzsuchende in Deutschland.
2. Woher kommen die Menschen, die in Deutschland Asyl gesucht haben?
In den Jahren 2015 und 2016 kam der Großteil der Menschen, die in Deutschland Asyl gesucht haben, aus Syrien, Afghanistan und dem Irak. Länder, die seit Jahren von Krieg und Konflikten geprägt sind.
Rund ein Fünftel der heute in Deutschland lebenden Syrerinnen und Syrer besitzt inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft, ein Zehntel ist hier geboren.
Seit dem groß angelegten russischen Angriff auf die Ukraine 2022 flohen auch von dort zahlreiche Menschen nach Deutschland. Inzwischen stammen fast 1,3 Millionen Geflüchtete in Deutschland aus der Ukraine.
3. Männer, Frauen, Kinder: wer hat in Deutschland Schutz gesucht?
Von den 1,2 Millionen Menschen, die 2015 und 2016 in Deutschland Schutz gesucht haben, waren knapp die Hälfte (564,4 Tsd.) zwischen 18 und 34 Jahre alt und davon drei Viertel männlich.
Wird ein Mensch als schutzbedürftig und damit als Flüchtling anerkannt, gilt dieses Recht auf Schutz auch für die Ehepartner und minderjährigen Kinder. Sie können dann per Familiennachzug mit Bleiberecht nach Deutschland kommen. Zwischen 2015 und Mitte 2017 wurden 230.000 solcher Anträge auf Familiennachzug bewilligt, berichtet der Deutsche Städte- und Gemeindebund. Für Geflüchtete mit eingeschränktem Schutzstatus wurde dieser Familiennachzug im Juli 2025 allerdings für zwei Jahre ausgesetzt.
4. Wie gut sind die Flüchtlinge heute integriert?
Eine der wichtigsten Kenngrößen, um den Erfolg von Integration zu bemessen, ist die Einbindung in den Arbeitsmarkt.
Yuliya Kosyakova, Migrationsforscherin an der Universität Bamberg, hat sich intensiv mit dem Thema Geflüchtete am Arbeitsmarkt beschäftigt. Auf die Frage, ob Deutschland es in diesem Bereich geschafft habe, kommt sie im DW-Gespräch zu folgendem Ergebnis: "Ich würde sagen, wir haben es teilweise geschafft. Beziehungsweise haben wir es nicht bei allen geschafft. Es gibt Luft nach oben bei geflüchteten Frauen und bei älteren Geflüchteten."
Ein Blick auf die Zahlen verrät: der Trend ist positiv. Ende Mai 2025 war die Arbeitslosenquote auf dem niedrigsten Stand, die Beschäftigungsquote auf dem höchsten Stand seit Januar 2015 für Menschen aus Asylherkunftsländern. Dazu zählen Afghanistan, Pakistan, Iran, Irak, Syrien, Somalia, Eritrea und Nigeria.
Schaut man sich einen weiteren Indikator an, die Erwerbstätigenquote, die auch Selbstständige beinhaltet, zeigt sich: je länger Geflüchtete im Land sind, umso eher finden sie eine Arbeit. Von denen, die 2015 nach Deutschland kamen, hatten über 60 Prozent sieben Jahre nach ihrer Ankunft eine Arbeit gefunden.
"Wir sehen, dass die Arbeitsmarktintegration besonders gut bei jüngeren Menschen gelingt, also bis 45. Bei Personen, die älter als 45 Jahre alt sind, ist die Erwerbstätigenquote in Deutschland deutlich niedriger, auch über die Zeit hinweg", sagt Migrationsexpertin Kosyakova.
"Asylbewerber, die nach Deutschland kommen, sind im Durchschnitt relativ gering qualifiziert. Natürlich gibt es auch Ärztinnen und Ärzte dabei, aber die Mehrheit hat keine universitäre oder berufliche Ausbildung durchlaufen", sagt Daniel Thym, Migrationsforscher an der Universität Konstanz. "Die Menschen reisen ein, können erst einmal kein Deutsch, müssen staatlich untergebracht werden, leben von Sozialleistungen. Das dauert einige Jahre, bis sie überhaupt einen Job finden, und auch dann arbeiten sie häufig auf einem eher gering qualifizierten Niveau."
Im Vergleich zur Tätigkeit in ihrem Heimatland arbeiten Geflüchtete in Deutschland deutlich häufiger als Helfer, seltener als Fachkräfte, Experten oder Spezialisten, wie eine Befragung von Geflüchteten 2017 ergab.
Gründe dafür sind nicht nur eine generell geringere Qualifikation und mangelnde Sprachkenntnisse, sondern auch fehlende Anerkennung von Abschlüssen oder die Unterbringung in Gegenden mit insgesamt weniger Jobmöglichkeiten.
Das hat auch Konsequenten für das Einkommen. Der Brutto-Monatslohn der 2015 nach Deutschland geflüchteten Personen lag bei Vollzeitbeschäftigten im Durchschnitt bei 1.600 Euro, während der Durchschnitt für alle Geflüchteten, unabhängig von der Art ihrer Tätigkeit, bei 800 Euro pro Person lag. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Brutto-Monatslohn von Vollzeitbeschäftigten in Deutschland lag in demselben Jahr bei 3.771 Euro.
5. Wie gut sind die Sprachkenntnissen von Geflüchteten?
Ein weiterer Indikator, der häufig herangezogen wird, um Integration zu beurteilen, sind Sprachkenntnisse. Das liegt auch daran, dass für viele Berufe in Deutschland ausreichende Sprachkenntnisse essenziell sind.
Beim Erlernen der neuen Sprache zeigen sich aber deutliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Laut einer Umfrage unter Geflüchteten im Jahr 2020 hatten 34 Prozent der Frauen fortgeschrittene Sprachkenntnisse (Zertifikat der Stufe B1). Bei den männlichen Geflüchteten lag dieser Anteil bei 54 Prozent. Das spiegelt sich auch in den Arbeitsmarkt-Zahlen wider: Obwohl sie oft auch gut ausgebildet sind, finden Frauen seltener einen Job.
Dafür gebe es mehrere Gründe, sagt Yuliya Kosyakova. Zum einen hätten gerade die jüngeren Frauen häufig Kinder, um die sie sich kümmern müssten. Zum anderen seien Frauen in ihren Herkunftsländern häufiger in Berufen tätig gewesen, in denen Sprache und Berufsqualifikation eine Rolle spielen, wie Lehrerinnen oder Beamtinnen. "Da besteht ein höheres Risiko der Nichtanerkennung der Qualifikationen. Und es braucht auch deutlich bessere Sprachkenntnisse, um in diese Berufe einzusteigen, verglichen mit beispielsweise einem Beruf im Bausektor", sagt Kosyakova.
6. Wie viele Flüchtlinge von damals sind heute deutsche Staatsbürger?
Seit 2016 wurden rund 414.000 Menschen aus Asylherkunftsländern eingebürgert, davon 244.000 allein aus Syrien.
"Wir sind jetzt in einer Zeit, in der sich viele Geflüchtete von 2015 einbürgern lassen. Einige der Syrerinnen und Syrer erwägen, nach Syrien zurückzugehen, weil das Regime Assad gestürzt ist, obwohl sie hier vielleicht schon eingebürgert sind. Oft entscheiden sie sich dann aber doch dafür, hierzubleiben, weil sie hier ein Geschäft aufgemacht haben, weil sie hier angekommen sind, weil die Kinder hier in der Schule sind”, sagt Migrationsforscher Hannes Schammann von der Universität Hildesheim.
7. Was hat es Deutschland gekostet, so viele Flüchtlinge aufzunehmen?
Was Deutschland die Aufnahme von Flüchtlingen kostet, dazu gehen die Schätzungen auseinander, wie der Mediendienst Integrationzeigt. Je nach verwendeter Berechnungsmethode ergeben sich Kosten von 5800 Milliarden – oder jährliche Einsparungen in Zukunft von 95 Milliarden Euro.
Fakt ist: Kommt ein schutzsuchender Mensch in Deutschland an, so entstehen dem Staat zunächst Kosten, bevor das Land perspektivisch von der Wirtschaftskraft der Einwanderer profitiert.
So lagen die "flüchtlingsbezogenen Ausgaben" des Bundeshaushalts etwa im Jahr 2023 bei fast 30 Milliarden Euro. Dabei machten Sozialleistungen den größten Posten aus.
Im April 2025 erhielten rund 43 Prozent der Menschen aus Asylherkunftsländern – etwas weniger als eine Million Menschen – in Deutschland finanzielle Unterstützung in Form von Grundsicherung. Das ist eine staatliche Sozialleistung für Menschen, die Arbeit suchen oder ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenen Mitteln bestreiten können.
Während diese Zahl sich über die letzten Jahre kaum verändert hat, ist die Zahl an Ausländern, die Grundsicherung beziehen, im Jahr 2022 deutlich angestiegen. In dem Jahr flüchteten viele Menschen aus der Ukraine nach Deutschland, die aufgrund einer Sonderregelung sofort ein Anrecht auf Grundsicherung hatten.
In demselben Zeitraum ist die Zahl der Deutschen, die Grundsicherung beziehen, leicht gesunken. Dennoch machen sie nach wie vor den größten Anteil (52 Prozent) all jener Menschen aus, die Sozialleistungen beziehen. Zweitgrößte Gruppe unter den Leistungsbeziehenden sind Menschen aus Asylherkunftsländern (17 Prozent), gefolgt von Ukrainern (13 Prozent).
8. Wie hat sich die Stimmung in Deutschland gewandelt?
Während der Großteil der Deutschen im Januar 2015 der Aufnahme von Flüchtlingen eher offen gegenüberstand, finden zehn Jahre später 68 Prozent der befragten Wahlberechtigten, dass Deutschland weniger Flüchtlinge aufnehmen sollte.
2023 bilden Menschen mit dieser Ansicht das erste Mal die Mehrheit unter den Befragten. In demselben Jahr zeigt auch eine Umfrage im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung, dass Zuwanderung inzwischen eher negativ gesehen wird. Demnach sahen 78 Prozent zusätzliche Belastungen für den Sozialstaat und 73 Prozent Konflikte zwischen Einheimischen und Einwanderern. Dass Zuwanderung wirtschaftlich wichtig ist, fand nur bei 63 Prozent Zustimmung.
9. Gibt es eine erhöhte Kriminalitäts-Gefahr durch Geflüchtete?
Aufsehenerregende Fälle von Gewaltkriminalität durch Geflüchtete haben zu dem Stimmungswandel beigetragen. Der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz in Berlin 2016 durch einen Tunesier oder der Messerangriff auf ein Stadtfest in Solingen 2024 durch einen Syrer befeuerten Ängste vor Terror durch Geflüchtete. Ängste, aus denen die in Teilen rechtsextremistische Partei AfD politisches Kapital schlagen konnte. Sie ist mittlerweile die zweitgrößte Partei im Deutschen Bundestag.
Wie aber steht es um Kriminalität insgesamt? Ein Blick auf die polizeiliche Kriminalstatistik zeigt, dass Nicht-Deutsche in 35 Prozent aller Fälle tatverdächtig sind. Sie machen jedoch nur etwa 15 Prozent der Bevölkerung aus. Dass Flüchtlinge per se öfter straffällig werden als Deutsche, lässt sich laut Experten jedoch nicht unbedingt aus dieser Statistik ablesen.
"Jetzt könnte man sagen, das ist doch ganz klar überrepräsentiert, aber es gibt viele Verzerrfaktoren" sagt Gina Wollinger, Kriminologin an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung in Köln. So würden Nichtdeutsche oder Menschen, die als fremd wahrgenommen würden, viel häufiger angezeigt als Deutsche, so Wollinger. "Die Geflüchteten sind auch nicht ein Querschnitt der jeweiligen Herkunftsgesellschaft, sondern vor allem junge Männer. Und wir wissen, diese beiden Merkmale, jung und männlich, die stehen sehr stark im Zusammenhang mit Gewaltkriminalität."
10. Wie hat sich die Migrationspolitik seit 2015 verändert?
Seit Merkels "Wir schaffen das" vom 31. August 2015 hat sich die deutsche Migrationspolitik deutlich gewandelt. Dieser Trend spiegelt sich auch im Stimmungsbild der Geflüchteten wider: Fühlten sich im Jahr ihrer Ankunft noch 57 Prozent sehr willkommen, hatten mehr als sieben Jahre nach ihrer Ankunft nur noch 28 Prozent von ihnen dieses Gefühl, wie aus einem Bericht des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung hervorgeht.
Der politische Wandel setzte schon sehr bald ein, sagt Migrationsforscher Thym. "Schon im Herbst 2015 hat man die Gesetze deutlich nachgeschärft, Asylbewerberleistungen gekürzt, neue sichere Herkunftsländer ausgerufen, den Familiennachzug eingeschränkt."
Die deutsche Politik versucht dabei einen Spagat: einerseits sollen die Asylbewerber-Zahlen gesenkt werden. Andererseits braucht Deutschland dringend Fachkräfte aus dem Ausland, um wirtschaftlich bestehen zu können.
Dies war ein Ziel der Ampel-Regierung unter Kanzler Olaf Scholz (SPD) ab 2021. So sollte der sogenannte Spurwechsel den Übergang vom Asylverfahren in ein reguläres Aufenthaltsrecht ermöglichen.
Seit dem Regierungswechsel 2025 mit einer Koalition aus konservativer Union und Sozialdemokraten hat sich die Politik vor allem auf Begrenzung und Rückführung konzentriert. Etwa mit der Einführung einer Bezahlkarte für Asylbewerber, verschärften Grenzkontrollen und mehr Abschiebungen. Deutschland habe es "offenkundig nicht geschafft", sagt der heutige Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) mit Blick auf Merkels Ausspruch von 2015.
Migrationsforscher Schammann hält dagegen: "Ich glaube, die Aufgabe von 2015, die haben wir überwiegend geschafft." Jetzt gehe es darum, politisch clevere Lösungen zu finden für neue Herausforderungen und "nicht die ganze Zeit auf 2015 zu schielen, sondern nach vorne zu gucken und zu sagen, wie kriegen wir das in den Griff?"
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