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Politik

Deutsch-Dänische Grenzziehung und Südosteuropa

14. Februar 2020

Die deutsch-dänische Grenze wurde durch ein Referendum festgelegt. Man folgte dem ethnischen Prinzip. Diese Erfahrung ist aber auf den Grenzstreit zwischen Serbien und Kosovo nur wenig übertragbar, meint Stefan Troebst.

Prof. Dr. Stefan Troebst
Bild: Imago Images/VIADATA

Deutsche Welle: Grenzziehung per Volksabstimmung - Wie kam es dazu und wie entstand die Linie, die heute noch die Grenze zwischen Dänemark und Deutschland bildet?

Stefan Troebst: Bei der Pariser Friedenskonferenz 1919/20, die auf den Ersten Weltkrieg folgte, maßen die Siegermächte dem ethnischen Prinzip große Bedeutung bei. Dem wollte man mit Volksabstimmungen Rechnung tragen. Entsprechend sah auch der Friedensvertrag von Versailles mit dem besiegten Deutschland von 1919  in etlichen gemischt-ethnischen Grenzgebieten, so zu Belgien, Frankreich, Polen und Dänemark, hier im ehemaligen Herzogtum Schleswig, Plebiszite über die künftige staatliche Zugehörigkeit vor. 1920 optierte die  stimmberechtigte Bevölkerungsmehrheit in Südschleswig für das Deutsche Reich, in Nordschleswig für das Königreich Dänemark. Die neue Staatsgrenze wurde entlang der Abstimmungszonen I (Nordschleswig) und II (Mittelschleswig) gezogen. Eine Ausnahme bildete hier der nördliche Teil des Landkreises Tondern, dänisch Tønder, der für Dänemark optierte.

Welche Parameter haben dazu geführt, dass die Grenzziehung heute als modellhaft gilt? 

Zunächst keine, denn es entwickelte sich die gesamte Zwischenkriegszeit hindurch ein erbitterter sogenannter Grenzkampf zwischen Deutschland und Dänemark, der zu ethnopolitischer Hochspannung zwischen den Mehrheiten und Minderheiten auf beiden Seiten der neuen Grenze führte. Die Okkupation Dänemarks durch deutsche Truppen im Jahr 1940 verschlechterte die interethnischen Beziehungen weiter dramatisch. Daran änderte auch die Gründung des Landes Schleswig-Holstein 1946 zunächst wenig. Erst die Kieler Erklärung im Gründungsjahr der Bundesrepublik Deutschland 1949, in welcher Dänen und Friesen im Landesteil Schleswig Grundrechte zugesichert wurden, verbesserte deren rechtliche Lage graduell.

Ein  Wendepunkt in den bilateralen Beziehungen sowie im Verhältnis von Mehrheiten und Minderheiten beiderseits der Grenze bewirkten erst die im Vorfeld des deutschen NATO-Beitritts erfolgten Bonn-Kopenhagener Erklärungen von 1955, welche die Rechtsstellung der Dänen und Friesen im Landesteil Schleswig des nördlichsten deutschen Bundeslandes sowie jetzt auch diejenige der deutschsprachigen Nordschleswiger in Dänemark verbesserten. In der Folge erhielt Deutschland die Möglichkeit, die deutsche Minderheit in Dänemark finanziell zu fördern, was seitens Dänemarks mit Blick auf die dänische Minderheit und ihr Schul-, Kultur-, Medien- und Sozialwesen bereits erfolgte.

In der Folgezeit unternahmen die Regierungen in Kopenhagen bzw. in Kiel und Bonn auf europäischer Ebene Bemühungen, die neu geregelten Verhältnisse im deutsch-dänischen Grenzland als „Modell" zu propagieren, das bezüglich anderer Grenz- und Minderheitenkonflikte als Vorbild dienen könne. Nicht zufällig gründeten Dänemark und Deutschland 1996 in Flensburg das European Center for Minority Issues (ECMI), dessen praktisch-konfliktpräventive wie wissenschaftliche Tätigkeit vor allem auf Südosteuropa, Ostmitteleuropa und den postsowjetischen Raum  einschließlich des Kaukasus gerichtet ist.

Grenzübergang Brnjak zwischen Serbien und KosovoBild: DW/M. Rakic

Welche Lehren kann man aus den Volksabstimmungen zur Grenzziehung ziehen?

Dass in ethnopolitisch aufgeladenen Grenz- und Minderheitenkonfliktlagen Spannungen vor allem dann gemindert werden können, wenn übergeordnete politische Konstellationen dies begünstigen. Denn der Beitritt der Bundesrepublik zur NATO hing von der Zustimmung des NATO-Gründungsmitglieds Dänemark ab. Anzuführen wären weiter etwa die im Zuge der deutsch-französischen Annäherung erfolgte Lösung des Saar-Problems 1955 oder die durch das Epochenjahr 1989 bedingten Verträge des wiedervereinigten Deutschlands mit Polen und der Tschechoslowakei in den Jahren 1990 bis 1992. Auch die durch das Ausscheiden Jugoslawiens aus dem Ostblock ermöglichte politische Lösung der Triest-Frage im Verhältnis Belgrads zu Rom 1954, völkerrechtlich dann 1975, wäre hier zu nennen.

Könnte man das Prinzip heute anwenden? Auch in der Diskussion um mögliche "Grenzkorrekturen" zwischen Serbien und Kosovo wurde über Plebiszite diskutiert.

Nein, auch wenn auf den ersten Blick gewisse Parallelen zum serbisch besiedelten Nordteil des Kosovo und zur albanisch besiedelten Region im Südwesten Serbien bestehen. Aber zwischen dem Deutsch-Dänischen Krieg von 1864 und den Bonn-Kopenhagener Erklärungen lag fast ein Jahrhundert, wohingegen das serbische Regime im Kosovo samt Besatzungsterror und ethnischer Säuberung erst vor 21 Jahren endete. An der Flensburger Förde leben keine Kombattanten und zivile Opfer von damals mehr – anders als auf dem Amselfeld und in der Šumadija.

Aber der eigentlich ausschlaggebende Umstand dafür, dass das angebliche südjütländisch-schleswigsche "Modell" weder in Richtung Balkan noch sonst wohin auf der Welt übertragbar ist, liegt in dem im globalen, ja selbst im europäischen Maßstab gesehen exorbitant hohen Lebensstandard der deutsch-dänischen Grenzregion mit ihren Minderheiten. Könnte man dieses Einkommens- und Sozialstaatsniveau zusammen mit dem postulierten "Modellcharakter" exportieren, ließe sich der serbisch-kosovarische Konflikt mutmaßlich im Laufe von zwei oder drei Generationen lösen. Das ist die eigentliche Lehre aus der erfolgreich bewältigten Konfliktgeschichte zwischen Dänen und Deutschen.

Das Gespräch führte Adelheid Feilcke

Stefan Troebst ist stellvertretender Direktor am Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des Östlichen Europas in Leipzig; er war Gründungsdirektor des dänisch-deutschen European Centre for Minority Issues (ECMI) mit Sitz in Flensburg (1996-1998)

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