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Weltkonzern Disney: 100 Jahre Zeichentrick

Nadine Wojcik
15. Oktober 2023

Mit nur 40 Dollar soll sich Walt Disney einst auf den Weg nach Hollywood gemacht haben. 100 Jahre später kennt jedes Kind seinen Namen. Der Zeichentrickpionier schuf ein riesiges Film- und Medienunternehmen.

Menschliche Puppen zeigen zwei übergroße Mäuse in Abendgardrobe.
Mit der Maus fing alles an: Disneys unsterbliche Stars Micky und Minnie MausBild: Sven Hoppe/dpa/picture alliance

"Denkt immer daran: Mit einer Maus fing alles an", erklärte Walt Disney 1954 in einem TV-Programm. Damals war seine Filmproduktionsfirma bereits seit mehr als 30 Jahren im Geschäft und eine der erfolgreichsten in den USA - mit Zeichentrickfilmen. Disneys Micky Maus war nicht nur ein Leinwandheld geworden, sondern lächelte auch von T-Shirts, auf Fußbällen und Zahnputzbechern. 1955 wurde er im ersten Disneyland in Kalifornien sogar lebendig. 

Walt Disney, der auf einer Farm in Missouri aufwuchs, startete als Werbezeichner und entdeckte hier den Trickfilm für sich. Mit nur 40 Dollar in der Tasche machte er sich auf den Weg nach Hollywood und gründete vor genau 100 Jahren, am 16. Oktober 2023, die Walt Disney Company, heute ein milliardenschweres Unternehmen.

"Es macht Spaß, das Unmögliche zu tun", war einer der Glaubenssätze des Zeichentrick-Pioniers. Hinter dieser unbekümmerten Aussage steckte jedoch nicht nur ein hohes, nahezu manisches Arbeitspensum, sondern auch ein unbeirrbarer Glaube an die eigenen Ideen. Immer wieder war der 1901 geborene Farmerjunge kurz vor der Pleite: Zu waghalsig waren seine Projekte, immer musste die neueste Filmtechnik ausprobiert und perfektioniert werden. Mit diesem Antrieb schlief er schon bald auf einer Couch in seinen Studios und sah seine eigenen Kinder kaum noch - um fremde Kinder mit seinen Leinwandmärchen zu verzaubern.

Ein großer und sieben kleine Oscars

Bereits 1937 schrieb Walt Disney Filmgeschichte: Mit "Schneewittchen und die sieben Zwerge" kam der erste abendfüllende Zeichentrickfilm in die Kinos, Micky Maus und Co. waren bisher nur kurze Filmchen gewesen. Damals hätte keiner ahnen können, dass bis heute noch 60 weitere Langfilme folgen würden. Stattdessen drohte die Pleite, denn Produzent Walt Disney hatte sich ziemlich verrechnet: Statt 250.000 Dollar kostete der Film 1,5 Millionen Dollar, statt 18 Monaten arbeiteten seine Zeichner drei Jahre an einer Idee, die in Hollywood als völliger Irrsinn galt. Ein abendfüllender Zeichentrickfilm? Wer soll denn dafür an den Kinokassen Schlange stehen?

"Schneewittchen und die sieben Zwerge" war 1937 ein Riesenerfolg Bild: United Archives/picture alliance

Ziemlich viele, wie sich schon kurz nach Filmstart zeigte: Rund acht Millionen Dollar spielte "Schneewittchen" ein - damals kostete eine Kinokarte durchschnittlich 25 Cent. Übersetzt in zehn Sprachen klingelten anschließend die Kinokassen in 46 weiteren Ländern. Die Academy Awards zeichneten Walt Disney dafür gar mit einem Oscar aus, genauer gesagt, in Anlehnung an die Zwerge, sogar mit acht: eine große und sieben kleine Ministatuetten.

Strenger Chef mit großem Ego

Märchenhaft soll die Arbeit in den Walt Disney Studios hingegen nicht immer gewesen sein. Überstunden, schlechte Löhne und ein Chef, der jeden Zeichenstrich penibel überwachte, der so viel auf sein kreatives Ego setzte, dass es nur ein Name in den Vorspann schaffte: Walt Disney. Dessen Unterschrift ziert bis heute das Logo des Milliardenkonzern. Dabei war es nicht nur Walt Disneys Können: Die Studios gründete er gemeinsam mit seinem Bruder Roy, der später die Finanzen übernahm. Die Maus, mit der alles anfing, entsprang der Zeichenfeder von Art-Director Ub Iwerks, wohl aber nach strengen Vorgaben des Erfinders. Übrigens entstand auch Micky Maus während eines unternehmerischen Tiefpunkts: auf einer Zugreise zurück nach Los Angeles. In New York hatte Walt Disney sich nicht mit einem Verleiher einigen können, der ihm daraufhin seine damals erfolgreichen Kurztrickfilme "Oswald der lustige Hase" unter der Nase wegschnappte.

Börsenreif: Mickey Mouse auf Zahnbürsten

Walt Disney war Visionär und Geschäftsmann. Und er hatte ein Händchen für talentierte Leute. Ausgerechnet in der Weltwirtschaftskrise Ende der 1920er-Jahre, in der viele Unternehmen zahlungsunfähig wurden und Familien bitterarm, entstand das Merchandising. Mit dem genialen Werbemanager Kay Kamen an Bord prangte ab den 1930er-Jahren das Micky-Maus-Konterfei auf Socken, Müslipackungen oder Fußbällen. Schnell verdienten die Disney-Studios wesentlich mehr mit ihren Werbeträgern als mit den Filmen selbst, bis heute eine wichtige milliardenschwere Einnahmequelle des Konzerns.

Workaholic Walt Disney: "Um loszulegen, muss man aufhören zu reden und anfangen zu handeln."Bild: UIP/dpa/picture alliance

Nach "Schneewittchen" starteten unter anderem "Pinocchio" (1940), "Dumbo" (1941) und "Bambi" (1942) in den Kinos. Doch die Filme waren nicht allzu erfolgreich, die erhofften Einnahmen blieben aus - auch weil mit dem Zweiten Weltkrieg der europäische Absatzmarkt wegbrach. Da sich kaum noch Banken für die nötigen Kredite für Neuproduktionen fanden, ging das Unternehmen an die Börse. Heute steht die Walt Disney Company laut dem Institut für Medien- und Informationspolitik auf Platz sechs der weltweit erfolgreichsten Medienkonzerne und gehört zum Dow-Jones-Aktienindex, auf dem die 30 erfolgreichsten US-Unternehmen gelistet sind.

Während des Zweiten Weltkriegs wurde Disney Teil der US-amerikanischen Propagandamaschinerie. Die Studios produzierten zahlreiche Kurzfilme und Cartoons, die die US-amerikanische Kriegsführung glorifizierten und Feindbilder reproduzierten. So muss in dem bekannten Propagandafilm "The Fuehrer's Face" (1943) Donald Duck in einer Rüstungsfabrik im Nazi-Deutschland arbeiten und wird vor lauter "Heil Hitler"-Rufen verrückt. Darüber hinaus produzierte Disney Ausbildungs- und Trainingsfilme für die US-Armee. Kritiker monierten, der Konzern hätte statt Kriegspropaganda besser pazifistische und humanistische Botschaften verbreiten sollen.

26 Oscars für Disney-Gründer

Walt-Disney-Ausstellung in München

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In den Nachkriegsjahren knüpfte Disney mit "Alice im Wunderland" (1951) oder "Peter Pan" (1953) wieder an den Erfolg seiner Langfilme an. 1955 hatte Walt Disney noch eine Irrsinns-Idee: Aus seinen Märchenwelten sollte Realität werden, und so wurde das erste Disneyland im US-Bundesstaat Kalifornien aus dem Boden gestampft. Später folgten Ableger in Florida, Paris, Tokio, Hongkong und Shanghai.

Mit 26 Oscars wurde Walt Disney ausgezeichnet - bisher unerreichter Rekord. Die Premiere seines letzten Films, "Das Dschungelbuch", erlebte er nicht mehr, er starb 1966 an Lungenkrebs. Die Marke Disney lebte weiter. Doch das Strickmuster mit heiler, puritanischer Märchenwelt war nicht mehr gefragt. In den 1980ern gerieten die Filmstudios in eine tiefe Krise, der Aktienkurs fiel. Ab 1986 übernahm Walts Neffe Roy E. Disney die Leitung des Animationsstudios und schaffte gemeinsam mit Jeffrey Katzenberg die "Disney-Renaissance": "Arielle die Meerjungfrau" (1989), "Die Schöne und das Biest" (1991) und letztlich "Der König der Löwen" (1994).

"Maleficent" erzählt das Märchen Dornröschen aus der Sicht der bösen Fee, gespielt von Angelina JolieBild: Disney/AP/picture alliance

"Wenn man Disney mit irgendetwas in Verbindung bringt, dann mit Magie, Fantasie und Kreativität, und ich glaube, das ist es, was unser Unternehmen so besonders macht: Wir erzählen Geschichten und wir schaffen Magie in allem, was wir tun", sagte Betty Cline, Direktorin des Walt Disney Archivs im Gespräch mit der Deutschen Welle. Und das nicht nur mit den eigenen Fantasiewesen: Ab den 2000ern setzte das einstige Zeichentrick-Studio auf Expansion. Zunächst kaufte es das erfolgreiche Animationsstudio Pixar (u.a. "Toy Story", "Findet Nemo"), schluckte dann mit Marvel die zahlreichen Superhelden-Filme und schließlich die Dauer-Kassenschlager-Schmiede Lucasfilm mit der "Star Wars"-Reihe. Es folgten TV-Serien und etliche Prequels, Sequels und Spin-offs. Zudem startete Disney - mal mehr mal weniger erfolgreich - die Realverfilmung der Zeichentrickklassiker wie "König der Löwen"  (2019), "Maleficent - Die dunkle Fee" mit einer gruseligen Angelina Jolie (2014) oder "Dumbo" unter der Regie von Tim Burton (2019). Und natürlich hält Disney ganz im Geiste seines Gründers weiter Schritt mit den technologischen Neuerungen. Zwar startete 2019 die eigene Streamingplattform Disney+ etwas spät und strauchelte zunächst, doch mit den Quartalzahlen von 2022 positioniert sie sich nun weltweit auf Platz drei hinter Netflix und Amazon Prime.

In der Kritik: Rassismus und kulturelle Aneignung

Während der milliardenschwere Konzern sicher durch die Jahresabschlüsse navigiert, ist sein einstiges Kerngeschäft, die Märchenfilme, in die Kritik geraten. Wegen rassistischer Darstellungen in Klassikern wie "Dumbo" oder "Das Dschungelbuch" stattete Disney die Filme mit Warnhinweisen aus.Auf Kritik der kulturellen Aneignung wie etwa bei der Vermarktung des Ausspruchs auf Swalili "Hakuna Matata" von "König der Löwen" versucht der Konzern inzwischen sensibler mit dem Kulturgut anderer Nationen und Völker umzugehen. Und so startet auch zum 100. Jubiläum die langersehnte Realverfilmung von "Arielle, die Meerjungfrau" - mit der schwarzen Hauptdarstellerin Halle Bailey.
 

In der Kleinen Olympiahalle in München startete bereits am 18. April 2023 die internationale Ausstellungstournee "Disney100", die zuvor am 18. Februar 2023 ihre Premiere im Franklin Institute in Philadelphia, USA feierte.

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