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Politik

Bitte recht freundlich, die Damen!

Marina Strauß
12. November 2018

Deutschland hat als eines der ersten Länder das Frauenwahlrecht eingeführt. 100 Jahre später sind Frauen in der Politik immer noch unterrepräsentiert - trotz Angela Merkel. Was ist schief gelaufen? Eine nüchterne Bilanz.

100 Jahre Frauenwahlrecht
Konservative Karrieren: Annegret Kramp-Karrenbauer, Kanzlerin Merkel, Ursula von der Leyen und Julia Klöckner (vlnr)Bild: picture-alliance/M. Schreiber

Ist Deutschland bereit für einen Mann als Kanzlerin? Seitdem Angela Merkel verkündet hat, bei der nächsten Bundestagswahl nicht mehr antreten zu wollen, schwirrt dieser Witz durch die sozialen Netzwerke. Er zeigt: Eine Geschichte über Frauen in der deutschen Politik ist gleichzeitig eine über diejenige, die seit dreizehn Jahren an der Spitze der Regierung steht und viele Jahre lang als mächtigste Frau der Welt galt.

Jugendliche in Deutschland können sich nicht an eine Zeit erinnern, in der ihr Land nicht von einer Frau regiert wurde. Und trotzdem bleibt vom Witz mit der männlichen Kanzlerin ein bitterer Beigeschmack. Denn selbst nach mehr als einem Jahrzehnt Merkel ist Deutschland politisch gesehen kein Paradies der Gleichstellung.

Frauen machen mehr als die Hälfte der Wählerschaft aus, im aktuellen Bundestag repräsentiert werden sie aber nicht entsprechend – nur knapp ein Drittel der Abgeordneten ist weiblich, so wenige waren es zuletzt 1998. In den Parlamenten der Bundesländer oder in Stadträten sieht es noch schlechter aus.

Helga Lukoschat setzt sich für die Chancengleichheit von Frauen und Männern einBild: Privat

Ehrenamt für Männer

Im Gemeinderat starten die meisten politischen Karrieren. Doch wer sich auf lokaler Ebene engagiert, macht das ehrenamtlich, muss Zeit für Sitzungen freischaufeln. "Politik in Deutschland ist männlich dominiert, das fängt schon in der Kommunalpolitik an", sagt eine, die es von Berufs wegen wissen muss. Helga Lukoschat ist Chefin von EAF, einer Organisation, die sich für Chancengleichheit einsetzt.

"Für Frauen, die immer noch eher den Haushalt schmeißen und sich hauptsächlich um die Kinder kümmern, ist das kompliziert." Kaum verwunderlich also, dass nur jeder zehnte Bürgermeister in Deutschland weiblich ist.

"Manchmal kann es schwierig sein, Frauen zu gewinnen", sagt Ina Scharrenbach, Vorsitzende der Frauen-Vereinigung der CDU in Nordrhein-Westfalen und Landesministerin für Gleichstellung. Es müsse dann einen Kopf geben, der sage, 'wir wollen das'. Das Reservoir an fähigen Frauen sei sehr groß, pflichtet Helga Lukoschat ihr bei. "Parteien müssen gezielt Frauen ansprechen, vor Ort vernetzen und mehr auf ihre Bedürfnisse eingehen, zum Beispiel Sitzungszeiten nach hinten verschieben."

Machtfaktor Wahlrecht

Benachteiligt werden Frauen auch durch das deutsche Wahlrecht. In Deutschland kommt man entweder über ein Direktmandat oder über einen Listenplatz ins Parlament. Bei der Bundestagswahl 2017 war gerade einmal jeder vierte Direktkandidat eine Frau. "Erfolgreiche männliche Bewerber lassen es sich häufig nicht nehmen, es noch einmal zu versuchen", sagt Helga Lukoschat. Es sei auch immer noch so, dass viele Wähler einem Mann mehr zutrauen würden.

Der geringe Frauenanteil im aktuellen deutschen Bundestag lässt sich auch durch den Einzug von zwei von Männern dominierten Parteien erklären: der AfD und der wirtschaftsfreundlichen FDP, die nach vier Jahren wieder in den Bundestag einzog. Bei der FDP liegt der Frauenanteil bei 23 Prozent, bei der AfD sind es nur knapp elf.

Ein Schritt für mehr Gleichheit zwischen Frauen und Männern in der Politik wäre laut Lukoschat ein Paritätsgesetz. Ein solches Gesetz könnte Parteien etwa vorschreiben, 50 Prozent der Listenplätze oder sogar der Direktkandidaturen an Frauen zu vergeben.

"In Frankreich habe die 'Loi sur la parité' dafür gesorgt, dass der Frauenanteil in den Parlamenten gestiegen ist", sagt Genderforscherin Barbara Holland-Cunz von der Universität Gießen. In einem Ranking, das auflistet wie viele Frauen in Parlamenten weltweit vertreten sind, steht Frankreich mit Platz 14 von 193 deutlich besser da als Deutschland auf Platz 46. 

"Meinungstark oder verbissen?"

"Die Feministin in mir findet die momentane Situation haarsträubend, die Wissenschaftlerin denkt, wir sind schon weit gekommen." Es sei aber immer noch so, dass Frauen und Männer in der Politik "nicht auf die gleiche Weise wahrgenommen werden, auch wenn sie das Gleiche machen", sagt Holland-Cunz.

Diese Erfahrung teilt auch Ricarda Lang, Sprecherin der Grünen Jugend. "Frauen gelten schnell als verbissen, laut oder aggressiv, wenn sie eine starke Meinung äußern." Selbst bei den Grünen, einer Partei mit mehr als 50 Prozent weiblichen Abgeordneten, erlebe sie das. "Man wird in Sitzungen öfter unterbrochen oder macht einen guten inhaltlichen Punkt, der später dann einem Mann zugeschrieben wird. Die wichtige Frage ist jedoch, ob eine Partei sich zum Ziel setzt, daran etwas zu ändern oder nicht“, sagt Lang.  

Merkel und die starken Frauen

Von Angela Merkel ist Ricarda Lang enttäuscht. Als Person habe sie zwar eine Symbolwirkung, ihre Kanzlerschaft habe sie aber sehr wenig genutzt. Für Genderforscherin Holland-Cunz gleicht die Kanzlerin einem Neutrum. "Sie zeigt sich nie deutlich als Frau." Aber nur so habe sie wohl erfolgreich sein können im Wettbewerb mit ihren männlichen Konkurrenten.

Barbara Holland-Cunz findet, dass Frauen und Männer in der Politik unterschiedlich bewertet werden Bild: Privat

Es habe am Anfang schon genug Vorbehalte gegen Merkel gegeben, sagt EAF-Chefin Lukoschat. "Sie war die erste Frau an der Spitze, dann noch aus Ostdeutschland und kinderlos." Man müsse ihr hoch anrechnen, dass sie starke Frauen berufen habe, wie Ursula von der Leyen als Verteidigungsministerin.

CDU-Frau Ina Scharrenbach sagt, Merkel frage sehr offensiv, wo die Frauen seien. Den hohen Männeranteil in der Jugendorganisation der CDU kommentierte sie etwa mit dem Hinweis, dass Frauen das Leben bereichern, "nicht nur im Privaten, sondern auch im Politischen".

So verschieden Scharrenbach, Lang, Lukoschat und Holland-Cunz Merkels Vermächtnis auch sehen, sie alle arbeiten daran – 100 Jahre nachdem Frauen in Deutschland wählen dürfen – eine andere 100 zu reduzieren. Denn Studien des Weltwirtschaftsforums sagen voraus, dass es noch so lange dauern könnte, bis Frauen und Männer gleichgestellt sind.

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