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Politik

Warten und Hoffen im Fall Steudtner

13. Oktober 2017

Seit 100 Tagen sitzt der deutsche Menschenrechtler Peter Steudtner in der Türkei in Untersuchungshaft. Die Bundesregierung fordert weiterhin seine Freilassung, aber bislang erfolglos. Steht ein Prozess nun bevor?

Berlin Fürbittengebet für Menschenrechtler Peter Steudtner
Bild: picture-alliance/dpa/G. Fischer

Es ist Hoffnung, aber auch eine gewisse Hilflosigkeit, die aus den Worten der stellvertretenden Sprecherin des Auswärtigen Amtes in Berlin spricht. "Wir hoffen immer noch, dass jetzt ein rechtsstaatlicher Prozess in einem ordentlichen Verfahren starten kann", sagt Maria Adebahr und bezieht sich dabei auf eine von der türkischen Staatsanwaltschaft verfasste Anklageschrift gegen den deutschen Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner, die seit vergangenem Sonntag kursiert. Wohlgemerkt "kursiert" - förmlich zugestellt sei die Anklage nach wie vor nicht, betont Adebahr.

"Es ist gut, dass der Prozess jetzt ins Rollen kommt und etwas passiert und Peter Steudtners Untersuchungshaft nicht endlos ohne Perspektive verlängert ist", fügt die Außenamts-Sprecherin noch hinzu. Nach mehr als drei Monaten, in denen sich die türkische Seite nicht geäußert hat, erscheint alleine die Aussicht auf irgendeine Bewegung positiv. Das zeigt, wie wenig die Bundesregierung in der Hand hat - schon gar keine Druckmittel. "Natürlich setzen wir uns für die Freilassung Steudtners ein", sagt Adebahr. "Über die Aussichten in diesem Prozessstadium sollte man nicht spekulieren. Unsere Hoffnung ist, dass es dazu kommt."

Die Deutschen Deniz Yücel, Mesale Tolu und Peter Steudtner (v.l.) sind in der Türkei inhaftiertBild: picture-alliance/dap/Zentralbild/K. Schindler/privat/TurkeyRelease Germany

Singen und beten in Berlin

Die Hoffnung verlieren wollen sie auch in Peter Steudtners Kirchengemeinde in Berlin-Prenzlauer Berg nicht. Jeden Abend um 18 Uhr beten sie für ihn, jeden Montag findet eine Fürbittenandacht statt, an der ab sofort regelmäßig auch ein Vertreter der Landeskirche teilnehmen will. Anfangs sei es ein täglicher Kraftakt gewesen, diese Andachten aufrechtzuerhalten, sagte Pfarrerin Almut Bellmann gegenüber dem Berliner Tagesspiegel. "Doch es ist leichter, seit die Information zu uns gedrungen ist, dass Peter Steudtner von unseren Fürbitten weiß. Er schrieb, dass er jeden Abend um 18 Uhr daran denke und einen Teil der Lieder, die er kennt, mitsinge."

Anfang September erreichte die Gemeinde über Steudtners Anwälte, die wöchentlich Kontakt zu ihm haben, erstmals ein "Offener Brief" den der Menschenrechtsaktivist, Foto- und Videojournalist am 31. August in der türkischen Untersuchungshaft verfasst hat. "An alle, die mich und uns in Gedanken und Taten begleiten!", steht in der Anrede. Inzwischen gibt es vier Briefe, die auf der Webseite der Bildungs- und Begegnungsstätte "Kurve Wustrow", für die Steudtner auch arbeitet, veröffentlicht sind.

Laufen statt wählen

Aus den Schreiben spricht Energie und Hoffnung, aber es ist auch zu spüren, wie viel Kraft nötig ist, die Haft zu durchleben. "Özlemek heißt vermissen! Und es gehört hier mit dazu. Da hilft es, es zuzulassen und auch oft, mich in andere Realitäten wegzulesen", schreibt Peter Steudtner am 21. September. Auch laufen helfe. "Zwar im Kreis, aber jeweils mindestens 15 km - und am Sonntag beim Marathon, auch wenn ich mehr Kurven laufen muss :-( Aber ich laufe mit allen am Sonntag - laufen darf ich - wählen nicht. Wie beim Marathon jeder Kilometer gerannt sein will, will hier jeder Tag, jede Stunde, jede Minute gelebt sein."

1500 Runden in drei Stunden ist Steudtner am deutschen Wahlsonntag, an dem auch der Berlin-Marathon stattfand, im türkischen Gefängnishof gelaufen. Davon schreibt er in seinem bislang letzten veröffentlichten Brief vom 29. September, in dem er sich sogar Gedanken über den Wahlausgang in Deutschland macht. "Nach diesem Wahlergebnis brauchen wir auch für politische Solidarität und gelebte Weltoffenheit einen langen Atem!"

Dünne Anklageschrift

Wie lange der Atem noch für die Haft reichen muss, wird sich zeigen. An diesem Freitag ist Steudtner 100 Tage hinter Gittern. Am 5. Juli war er bei einem Workshop auf der Istanbul vorgelagerten Insel Büyükada zusammen mit neun weiteren Seminarteilnehmern festgenommen worden, darunter die Direktorin von Amnesty International in der Türkei, Idil Eser, sowie Vertreter der türkischen Helsinki-Gruppe, Frauenrechtlerinnen und Menschenrechtsanwälte.

Die seit vergangenem Sonntag kursierende Anklageschrift stützt sich auf die Verdächtigungen eines türkischen Seminar-Dolmetschers. Der hatte zur Anzeige gebracht, dass die Menschenrechtler bei dem Treffen über Datensicherheit sprachen und deshalb offenbar etwas vor dem Staat zu verheimlichen hätten. Die Staatsanwaltschaft wirft den Menschenrechtlern auch vor, sie hätten mit ihrem Workshop sowohl die Bewegung des Predigers Fethullah Gülen bei der Errichtung eines theokratischen Islam-Staates als auch die PKK bei der Errichtung eines Kurdenstaates sowie Linksextremisten beim bewaffneten Umsturz unterstützen wollen.

"Groteske" Vorwürfe

Für Amnesty International sind die Vorwürfe nicht nur widersprüchlich, sondern auch "grotesk". Die Menschenrechtsorganisation spricht von einer "toxischen Mischung aus Anspielungen und Unwahrheiten, die nicht der geringsten Prüfung standhält". Es sei indes wenig überraschend, dass die Ermittlungen nach drei Monaten keine belastenden Beweise aufbieten könnten. Amnesty verurteilte die "unrechtmäßige Inhaftierung" der Betroffenen und forderte noch einmal deren "sofortige und bedingungslose Freilassung".

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