1000 Jahre Polen - Streit bei der Jubiläumsfeier
28. April 2025
In knapp drei Wochen fällt in Polen eine Richtungsentscheidung. Wenn bei der Präsidentenwahl am 18.05.2025 der links-liberale Kandidat Rafal Trzaskowski gewinnt, bekommt die seit anderthalb Jahren regierende Mitte-Links-Koalitionsregierung von Donald Tusk grünes Licht für die seit langem geplanten Reformen.
Wenn sich aber der Kandidat des national-konservativen Lagers, Karol Nawrocki, durchsetzt, bleibt das lähmende Patt zwischen Regierung und Opposition bestehen. Das amtierende Staatsoberhaupt Andrzej Duda, der der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nahesteht, blockiert mit seinem Veto die meisten Vorhaben der Regierung. Diese Obstruktionspolitik würde Nawrocki als sein Nachfolger fortsetzen.
Krönungsakt wird zum Zankapfel
In den Strudel der politischen Auseinandersetzung geriet neuerdings auch ein Schlüsseldatum der polnischen Geschichte, das eigentlich ein Grund zum Stolz für alle Polen sein sollte. Vor eintausend Jahren, im Jahr 1025 ließ sich der Herzog Boleslaw Chrobry (der Tapfere) aus dem Piasten-Geschlecht trotz des Widerstandes des deutschen Kaisers aber mit päpstlicher Zustimmung zum König krönen.
Die meisten Historiker nehmen an, dass der feierliche Akt in Gnesen (Gniezno) an Ostern, damals am 18. April, stattgefunden hat. Polen wurde damit zu einem der wichtigsten Akteure in Mittelosteuropa und zum nordöstlichen Vorposten des lateinisch-christlichen Abendlandes. Neben der Christianisierung des Landes ("Taufe Polens") durch die Taufe des polnischen Herzogs Mieszko I. im Jahr 966 gilt das Jahr 1025 als Schlüsselereignis in der polnischen Geschichte - und als Fundament der polnischen Identität.
Die politische Instrumentalisierung der Krönung, meistens durch nationalistische und antideutsche Kräfte, hat eine lange Geschichte. Bereits im Mittelalter erhob der Chronist Jan Dlugosz König Boleslaw den Tapferen zum Symbol der deutsch-polnischen Erbfeindschaft. Nachdem Polen 1795 von Preußen, Österreich und Russland geteilt wurde und für 123 Jahre von der Landkarte verschwand, spielte der Boleslaw-Mythos eine wichtige Rolle beim Kampf der Nation ums Überleben. Nach dem Zweiten Weltkrieg beriefen sich die polnischen Kommunisten auf Boleslaws Erbe in der Auseinandersetzung mit der Bundesrepublik Deutschland.
Wechselhaftes Verhältnis Polens zum Kaiserreich
Beim Endspurt des Wahlkampfs entdeckten nun die Strategen der beiden Konfliktparteien - Tusks proeuropäische Bürgerplattform PO und Jaroslaw Kaczynskis europaskeptische PiS das 1000-jährige Jubiläum für ihre Auseinandersetzung - und zwar jeder für sich. "Für Propagandazwecke stellt die PiS den ersten König als ein Symbol des standhaften Kampfes gegen die deutsche Aggression dar", schreibt der polnische Historiker Tomasz Nalecz in der Wochenzeitung Polityka.
Die Historiker betonen, dass es in den Beziehungen Boleslaws zum Heiligen Römischen Reich sowohl gute, als auch schlechte Momente gegeben hat. Enge Freundschaft verband den polnischen Fürsten mit Kaiser Otto III., der im Jahre 1000 eine Wallfahrt zum Grab des Märtyrers Adalbert nach Gnesen unternommen hatte. Bei dieser Gelegenheit hatte der Kaiser Boleslaw das kaiserliche Diadem aufs Haupt gesetzt - als Zeichen des Bündnisses zwischen den beiden Herrschern. Die Folgejahre 1002-1018 waren dagegen durch die Kriege Polens gegen den Nachfolger von Otto III., Kaiser Heinrich II., geprägt. Die vorübergehende Schwäche des Reiches nach dessen Tod 1024 nutzte Boleslaw zu seiner Krönung.
Schlagabtausch im Parlament
Tusk würdigte diese Tat am Freitag (25.04.2025) bei der feierlichen Sitzung beider polnischen Parlamentskammern - Sejm und Senat -, die diesem Ereignis gewidmet war. "Mit der Krönungswürde hat Boleslaw Chrobry die Entscheidung getroffen, das Königreich Polen zum Bestandteil des Westens zu machen", sagte Tusk. Wer diese Entscheidung zurücknehmen wolle, der trete die Krone mit Füßen, warnte der polnische Regierungschef.
Präsident Duda dagegen kritisierte die "erzwungene künstliche Einheit" in der EU, die in Wahrheit "Hegemonie der mächtigsten Staaten" bedeute. "Das ist ein Fehler", betonte Duda.
Bei einer Wahlkampfveranstaltung am Sonntag (27.04.2025) in Lodz warf Nawrocki dem Premier vor, die "Symbolik der Krönung vor tausend Jahren nicht verstanden zu haben". Boleslaw der Tapfere sei "unser König" gewesen, der "die Souveränität in den Vordergrund stellte", auch gegenüber dem deutschen Staat.
Antideutsche Akzente bei Nawrocki
Seinen Gegner Trzaskowski bezeichnete Nawrocki als eine "Geisel der Geschäftsleute und Bauunternehmer", sowie von "(George) Soros und den deutschen Stiftungen". Der ungarisch-stämmige amerikanische Unternehmer und Milliardär George Soros wird vom rechten politischen Lager in Europa immer wieder der politischen Einflussnahme beschuldigt. Die Nationalkonservativen in Polen werfen auch deutschen politischen Stiftungen vor, sich in die polnische Politik einzumischen.
"Nach Berlin, nach Berlin", skandierten die Teilnehmer der Kundgebung minutenlang an die Adresse von Trzaskowski - und machten damit deutlich, wo er ihrer Meinung nach hingehört. "Trzaskowskis Sieg würde das Ende eines Polen bedeuten, wie wir es kennen", warnte dessen Gegenkandidat Nawrocki. Der Kandidat des konservativen Lagers leitet das Institut des Nationalen Gedenkens, die polnische Entsprechung der inzwischen aufgelösten Behörde für die Stasi-Unterlagen.
"Mein Polen ist ein sicheres und normales Polen - ohne illegale Migranten, ein Land, in dem statt Integrationszentren Abschiebungszentren gebaut werden", versprach Nawrocki.
Präsident Duda stellt sich hinter national-konservativen Kandidaten
Wie ernst die Lage vor dem Urnengang ist, zeigt die Kehrtwende von Duda. Noch im November hatte er versichert, dass die Parteinahme für einen der Kandidaten für seine Nachfolge nicht zu den Aufgaben des amtierenden Staatsoberhauptes gehöre. Bei einem Auftritt tat er so, als ob er sich an den Namen des PiS-Kandidaten nicht erinnern konnte.
Am Sonntag jedoch trat er überraschend bei Nawrockis Wahlkampfveranstaltung in Lodz auf und warf jeden Anschein der Neutralität ab. Er griff die Tusk-Regierung massiv an, warf dem Regierungschef "Zynismus und Schurkerei" vor und stellte sich demonstrativ hinter Nawrocki.
"Ich, Andrzej Duda, werde meine Stimme Karol Nawrocki geben, weil ich glaube, dass er alles tun wird, damit Polen anständig und stark ist", erklärte Duda. "Begonnen hat die wahre Schlacht um Polen", begründete sein Vertrauter Marcin Mastalerek im Fernsehsender TVN am Montag (28.04.2025) die Kehrtwende des Präsidenten.
Um das Präsidentenamt bewerben sich insgesamt 13 Kandidaten. In den Umfragen führt Trzaskowski vor Nawrocki, aber der Vorsprung des liberalen Stadtpräsidenten (Bürgermeister) von Warschau schrumpft.
Wenn am 18. Mai kein Kandidat die absolute Mehrheit erreicht, wird es zwei Wochen später (01.06.2025) eine Stichwahl geben.