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11 Dinge, die Sie über Wagner und Bayreuth wissen sollten

Rick Fulker24. Juli 2016

1876 lud Wagner höchstpersönlich zu den ersten Bayreuther Festspielen ein. Heute locken sie Klassikfans aus aller Welt an. Wir verraten Ihnen, was es mit dem Holzklang, der Narrenlaune und dem Familienclan auf sich hat.

Richard Wagner Büste in Bayreuth. (Photo by Johannes Simon/Getty Images)
Bild: Getty Images

1. Tradition

Die Bayreuther Festspiele haben in Deutschland die längste Festspieltradition überhaupt. 2016 gehen sie in die 105. Saison. 1876 von Richard Wagner gegründet, halten sie bis heute am ursprünglichen Vorsatz fest: Aufgeführt werden nur Wagners Opern - und zwar die zehn, die der Komponist für "festspieltauglich" erachtete. Und natürlich werden sie nur in dem von ihm selbst entworfenen Theater gezeigt. Das klingt nach einem starren Konzept, aber während der langen Festspielgeschichte gingen von Bayreuth immer wieder frische Impulse für die Opernwelt aus.

2. Klang

Die wichtigste Zutat ist Holz, vom Boden bis zur Decke: Das Innere des Festspielhauses besteht komplett aus Holz. Die Säulen, die Bühne, der Orchestergraben und die sehr eng beieinander liegenden, harten und unbequemen Sitze im Zuschauerraum. All dieses Holz schwingt mit dem Klang. Der Gesamteffekt wurde beschrieben, "als sitze man mitten in einem Instrument". Dann gibt es den berühmten Orchestergraben unter der Bühne. Von dort wird der Klang durch eine Blende hin zur Bühne reflektiert, vermischt sich mit den Stimmen der Sänger und dringt dann in den Zuschauerraum. Diesen einzigartige Mischklang gibt es nur hier. Deshalb ist es ein ganz besonderes Erlebnis, Wagner "an der Quelle" zu hören.

Das Festspielhaus wird saniert - und ist derzeit hinter einer Textilfassade verstecktBild: DW/A. Boutsko

3. Misserfolg und Erfolg

Früher hatte man jahrelang auf eine Karte zu einer Aufführung der Bayreuther Festspiele gewartet, so groß war die Nachfrage. In den letzten paar Jahren wurden Karten allerdings kurz vor Beginn der Saison immer wieder online angeboten. Der Erfolgsmythos dieser Festspiele, historisch gesehen, weist Lücken auf. Die allerersten Wagner-Festspiele im Jahr 1876 waren ein finanzielles Desaster. Der enttäuschte Komponist nannte seine Festspielhaus "eine Narrenlaune". Die zweiten Bayreuther Festspiele 1882 mit 16 Aufführungen von "Parsifal" waren dagegen ein Triumph. Wagner starb im Jahr darauf. Drei Jahre später versuchte seine Witwe Cosima die Festspiele mit ihrer eigenen Inszenierung von "Tristan und Isolde" wiederzubeleben. Die Vorstellungen fanden vor nahezu leeren Rängen statt. Einmal wurden nur 12 Karten für eine Veranstaltung verkauft. Während des Ersten Weltkriegs fanden die Festspiele nicht mehr statt, die folgenden Jahre der Inflation machten die Wagner Familie arm. Im Dritten Reich unterstützte Adolf Hitler, ein fanatischer Wagner-Fan und Freund der Wagner-Familie, jede neue Produktion finanziell. Wegen der Verbindung zu Hitler wurden die Festspiele in den frühen Nachkriegsjahren beinahe für immer abgeschafft. Den Enkeln von Richard Wagner, Wolfang und Wieland, gelang 1951 ein Neustart.

Im abgedunkeltem Raum wirkt alles etwas mythischer - wie bei der aktuellen Inszenierung von 'Tristan und Isolde' von Katharina WagnerBild: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath

4. Familie

Cosima Wagner beerbte ihren Mann als Leiterin der Bayreuther Festspiele. Auf sie folgte ihr Sohn Siegfried. Beide starben 1930. Damit begann die Ära von Siegfrieds Witwe, Winifred Wagner, die bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs dauerte. Sechs Jahre später übernahmen Wolfgang und Wieland Wagner die Leitung als Doppelspitze. Nach Wielands Tod 1966 blieb Wolfgang Festspielleiter bis 2008 - insgesamt bemerkenswerte 57 Jahre. Auf ihn folgten seine Töchter Eva Wagner-Pasquier und Katharina Wagner. Seit 2016 ist Katharina die alleinige Festspielchefin. Klingt nach einer glatten Abfolge, aber ganz so war es nicht, denn es gab jedes mal hefltige Familienstreitereien und Kontroversen. Ganze Bücher wurden darüber geschrieben.

5. Nazis

Als junger Mann ging Adolf Hitler zu jeder möglichen Aufführung einer Wagner-Oper. Wie viele andere fühlte er sich von Wagners Musik angesprochen. In "Hitlers Bayreuth" dokumentierte die Historikerin Brigitte Hamann die verhängnisvolle Verbindung zwischen dem "Führer" und den Bayreuther Festspielen. Sie führte zu Absurditäten wie etwa Sonderaufführungen für verwundete Soldaten aus dem Zweiten Weltkrieg - in der Annahme, sie könnten unter dem Einfluss von Wagners Musik genesen. Vieles wissen wir heute über diese Jahre in der Geschichte der Festspiele - manches aber auch nicht. Der Briefwechsel zwischen Winifred Wagner und Adolf Hitler etwa wartet immer noch darauf, entdeckt und von Historikern ausgewertet zu werden.

Winifred Wagner, Adolf Hitler und Wieland Wagner bei den Bayreuther Festspielen 1938Bild: picture-alliance/akg-images

6. Medien

Der Nimbus der Bayreuther Festspiele wurde durch Übertragungen in den Massenmedien weiter gesteigert. Bereits in den 1920er Jahren wurden Wagner-Opern live über das neue Medium Radio übertragen - per Kurzwelle. Seit den 1950ern nimmt die ARD die Aufführungen als wichtigster Medienpartner auf und stellt sie über die EBU (European Broadcasting Union) weltweit für Radiostationen zur Verfügung. Was die Videoaufzeichnung betrifft: Früher wurden Proben aufgenommen, zusammengeschnitten und zeitversetzt angeboten. Heute sind die Produktionen auf DVD erhältlich. In den letzten Jahren geht der Trend jedoch Richtung Live-Übertragungen - etwa auf lokale Marktplätze und gleichzeitig als Livestream im Internet. In diesem Jahr werden fünf Aufführungen aus dem Premieren-Zyklus live übertragen: in Kinos und im Fernsehen im In- und Ausland.

7. Promis

In den vergangenen Jahren haben viele große Berühmtheiten den "Grünen Hügel" besucht: die deutschen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker und Joachim Gauck, Prince Charles und der frühere russische Präsident Michail Gorbatschow, um nur ein paar zu nennen. Und natürlich: Bundeskanzlerin Angela Merkel, die als zuverlässige Festspielbesucherin gilt. In diesem Jahr erscheint sie zwar aus Termingründen nicht zur Eröffnung, sie und ihr Ehemann Joachim Sauer werden die Festspiele jedoch zu einem späteren Zeitpunkt als Privatbesucher genießen. In diesem Jahr wird es erstmals weder ein Schaulaufen auf dem Roten Teppich noch einen Staatsempfang geben - aus Respekt vor den Opfern des Münchner Amoklaufs.

Die Kanzerlin ist Stammgast bei den Festpielen - und kommt diesmal als PrivatpersonBild: picture-alliance/Eventpress

8. Sicherheitsmaßnahmen

Wagners Festspielhaus hinterm Sicherheitszaun - das führte zu kuriosen Situationen: Startenor Klaus Florian Vogt war während einer Pause in seinem Parsifal-Kostüm, einer olivgrünen Uniform, aus dem Theater gegangen und durfte nicht wieder hinein, weil er seinen Ausweis nicht vorzeigen konnte. Sogar Festspielleiterin Katharina Wagner, die vergessen hatte, ihren Ausweis einzustecken, wurde vom Sicherheitspersonal abgewiesen und musste das Dokument von zuhause holen. Während der Festspielzeit dürfen in diesem Jahr außerdem keine Autos zum "Grünen Hügel" fahren. Darüber hinaus berichtet unter anderem der Bayrische Rundfunk, die Polizei habe 35 Angestellte der Bayreuther Festspiele - wegen Vorstrafen - als Sicherheitsrisiko eingestuft und empfohlen, diese nicht länger dort arbeiten zu lassen. Reagiert man da wegen eines möglichen terroristischen Anschlags übersensibel? Immerhin: Besucher der Generalprobe vergangene Woche waren zufrieden. Ein autofreies Festspielgelände schaffte gleich eine ganz andere Atmosphäre.

9. Ambiente

"Ich denke immer noch, irgendwann einmal sitzen wir alle in Bayreuth zusammen und begreifen gar nicht mehr, wie man es anderswo aushalten konnte." So schrieb Richard Wagners Freund und zeitweise Intimfeind Friedrich Nietzsche. Die Stadt in der üppig grünen fränkischen Hügellandschaft hat ein besonderes Ambiente. Viele Künstler sind davon begeistert, obwohl einige die Stimmung am Festspielhügel in diesem Jahr durch die verschärften Sicherheitsmaßnahmen getrübt sehen. Während der Festspielzeit gibt es in der Stadt wenig, das von Wagner ablenken könnte. Ganz so, wie er es bei der Gründung im Sinn hatte.

Rund ums Festspielhaus herrscht ein besonderes AmbienteBild: picture-alliance/dpa

10. Veröffentlichungen

Angeblich wurde über Richard Wagner mehr geschrieben als über irgendeine andere Person in der Geschichte - außer Jesus Christus und Napoleon Bonaparte. Und jedes Jahr kommen neue Werke dazu. Das interessanteste 2016 erschienene Buch ist "Die Geschichte der Bayreuther Festspiele" von Oswald Georg Bauer. Die zwei Bände mit zusammen 1292 Seiten und über 1100 Illustrationen sind möglicherweise ein Referenzwerk, denn als langjähriger Pressesprecher der Bayreuther Festspiele hat Bauer Insider-Wissen. Den Auftrag zu diesem Wälzer hatte er vom vorigen Festspielleiter Wolfgang Wagner erhalten, verbunden mit der Auflage, die Geschichte "nach Quellen und nur nach Quellen" zu schreiben. Mehr als ein Vierteljahrhundert später witzelt Bauer: Wenn er gewusst hätte, auf was er sich da eingelassen hatte, hätte er dieses gigantische Projekt nie angefangen. Für Wagnerianer ist diese Anthologie wohl ein Muss.

Eine andere erwähnenswerte Publikation wartet sogar als bilinguale Ausgabe auf. Und mit 176 Seiten und über 200 Illustrationen scheint sie leichter zu bewältigen: "Wahnfried - Das Haus von Richard Wagner / The Home of Richard Wagner" von Markus Kiesel und Joachim Mildner. Wagners einstiger Wohnsitz, heute ein Museum, wurde aufwendig restauriert und 2015 wiedereröffnet. Dieser Band ermöglicht all denjenigen tiefe Einblicke, die es noch nicht dorthin geschafft haben.

11. Wagner

Er war einer der einflussreichsten Komponisten der Musikgeschichte. Ein Besessener. Ein Sozialist und einer, der sich bei Hof anbiederte. Ein Anarchist, Visionär, ein steckbrieflich Gesuchter, Urheber von tausenden Seiten von Schriften, Briefen und Traktaten, die sich zum Teil gegenseitig widersprechen. Einer der kreativsten Figuren der Kulturgeschichte. Einer, der Anhimmelung oder Ablehnung provoziert - aber selten Langeweile. Ein notorischer Antisemit. Ein Revolutionär des Musiktheaters. Und in modernen Worten: ein Netzwerker und Selbstdarsteller, der sich und seine Kunst einer Welt aufzwang, die diese nicht haben wollte. Jetzt ist die Welt dankbar dafür.

Er gibt immer noch den Takt anBild: picture-alliance/dpa/T. Hase
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