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11. März: Gedenktag für Terror-Opfer

10. März 2022

NSU, Hanau, Breitscheidplatz, Halle – diese Namen und Orte stehen stellvertretend für Attentate mit vielen Toten und Verletzten. Aber auch für staatliches Versagen im Umgang mit Opfern und Angehörigen.

DW Dokumentationen | Hanau Eine Nacht und ihre Folgen
Gedenken an die Opfer des rassistischen Anschlags am 19. Februar 2020 in Hanau (Archivbild) Bild: HR

Jeden Tag kann es passieren, jeden Menschen kann es treffen – überall auf der Welt. Terrorismus und Extremismus sind zeit- und grenzenlos. In Deutschlands jüngerer Geschichte ragen drei Fälle heraus: Die von 2000 bis 2007 begangene Mordserie des rechtsextremistischen Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU), das islamistische Weihnachtsmarkt-Attentat auf dem Berliner Breitscheidplatz 2016, der versuchte antisemitische Anschlag auf eine Synagoge im Oktober 2019 und der rassistische Anschlag an mehreren Orten in Hanau im Februar 2020.

Den vielen Toten und Verletzten dieser und anderer Angriffe auf die freie, demokratische Gesellschaft ist der in Deutschland Nationale Gedenktag für die Opfer terroristischer Gewalt gewidmet. Er wird an diesem 11. März 2022 erstmals begangen. Mit dem Datum knüpft die Bundesregierung an den Europäischen Gedenktag an, der nach Attentaten in Madrid vom 11. März 2004 eingeführt wurde. In der spanischen Hauptstadt waren bei Bombenanschlägen auf Züge 191 Menschen getötet worden und mehr als 2000 verletzt.

11. März 2004: Bei Terror-Anschlägen auf Bahnen in Madrid werden 191 Menschen getötet und über 2000 verletztBild: PAUL WHITE/AP/picture alliance

"Mir geht es nicht gut"

Andreas Schwartz findet den neuen Gedenktag am 11. März richtig. "Aber der Hauptgedenktag, was uns betrifft, bleibt der 19. Dezember." An diesem Tag im Jahr 2016 riss der Islamist Anis Amri auf dem Breitscheidplatz in Berlin zwölf Menschen in den Tod, als er mit einem Lastwagen in einen Weihnachtsmarkt raste. Als 13. Opfer starb 2021 ein Mann an den Spätfolgen des Attentats. Mehr als 100 wurden verletzt. Schwartz überlebte den Anschlag schwerverletzt.

"Mir geht es nicht gut", sagt er im DW-Gespräch in seiner Berliner Wohnung. "Diese ganze Geschichte" – er zögert einen Moment, bevor ihm das Wort "Breitscheidplatz" über die Lippen kommt – "hat mich kaputt gemacht." Die Bilder vom Ort des Geschehens haben sich tief in sein Inneres eingebrannt. Der 52-Jährige leidet unter Herzproblemen, ausgelöst durch Stress. Früher ist der Berliner selbst LKW gefahren, heute ist er arbeitsunfähig.

Terror in Berlin: fünf Jahre danach

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Die Jahre seit dem Attentat fasst Schwartz so zusammen: "Schiefgelaufen ist grundsätzlich der Umgang mit uns." Wenn er auch von anderen Opfern höre, wie viele Gutachten man durchlaufen müsse, "um zu unserem Recht zu kommen, ist das schon eine Katastrophe". Bei der Ausarbeitung des neuen Opferentschädigungsgesetzes (OEG) habe man gefordert, dass ein Gutachten ausreichend sein müsse. "Und daran haben sich alle Behörden zu halten."

Von 30 beantragten Therapie-Stunden wurden nur fünf genehmigt

Dazu ist es am Ende nicht gekommen. Schwartz kling verbittert: "Wir werden eigentlich ein zweites Mal zum Opfer gemacht – nämlich zum Opfer der Behörden." Er habe mit vielen Politikern gesprochen, auch am Rande von Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen. Immer sei gesagt worden, es werde sich alles bessern. "Die Frage ist bloß, wann?" Manchmal käme es ihm so vor, "dass man uns hinhalten möchte".

"Wir werden eigentlich ein zweites Mal zum Opfer gemacht", sagt Terror-Opfer Andreas SchwartzBild: Marcel Fürstenau/DW

Das Terror-Opfer vom Breitscheidplatz nennt ein Beispiel: Sein Trauma-Therapeut habe beim Landesamt für Gesundheit und Soziales (Lageso) 30 Stunden Therapie beantragt. Genehmigt worden seien fünf Stunden. "Wie soll dann ein Mensch, der traumatisiert ist, wieder normal Fuß fassen können?"

Nancy Faeser: "Wir dürfen sie dabei nicht allein lassen"

"Die Anschläge haben das Leben vieler Menschen dramatisch verändert. Viele kämpfen sich mit großer Kraft zurück ins Leben. Wir dürfen sie dabei nicht alleinlassen", sagt Bundesinnenministerin Nancy Faeser mit Blick auf Attentate in Deutschland. Ihr Ressort ist für die Sicherheit der Menschen zuständig. Dafür sollen Behörden wie die Bundespolizei sorgen, das Bundeskriminalamt (BKA) und das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV).

Trotz aller Erfolge bei der Gefahrenabwehr - verhinderte Anschläge etwa - gibt es immer wieder heftige Kritik. Politische Fehleinschätzungen, auch tödliche Pannen waren und sind Anlass für Parlamentarische Untersuchungsausschüsse. Dabei geht es immer wieder um Versäumnisse im Umgang mit Opfern und ihren Angehörigen. Auch vor diesem Hintergrund will die deutsche Innenministerin die Situation der Betroffenen mehr in den Fokus der Regierung und das Bewusstsein der Gesellschaft rücken.

Innenministerin Nancy Faeser (M.) gedenkt am 19. Februar 2022 der Opfer des rassistischen Attentats in Hanau Bild: Thomas Lohnes/Getty Images

"In diesem Zusammenhang soll der Umgang mit Betroffenen empathischer und würdiger gestaltet werden", heißt es in einer Pressemitteilung der Sozialdemokratin Nancy Faeser. Sie selbst wird im Rahmen einer Gedenkstunde im Berliner Kronprinzenpalais an diesem 11. März sprechen. Wegen der Corona-Pandemie findet die Premiere des Gedenktags in Deutschland im kleinen Rahmen statt.

Der Opfer-Beauftragte will die Betroffenen künftig einbinden

Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, und die Terrorismus-Expertin Petra Terhoeven von der Universität Göttingen werden auf der Veranstaltung sprechen. Künftig sollen beim jährlichen Gedenken aber auch die Wünsche und Vorstellungen von Terror-Überlebenden und Hinterbliebenen berücksichtigt werden. Das betont der seit Januar 2022 amtierende Opfer-Beauftragte der Bundesregierung, Pascal Kober, in einem Brief an die Betroffenen.

Was Pascal Kober für Terror-Opfer tun will

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Mit dem neuen Gedenktag wolle man den Opfern signalisieren, dass sie nicht allein seien, "sondern, dass wir uns mit getroffen fühlen", sagt der Freidemokrat im Interview mit der Deutschen Welle. Terroristische und extremistische Anschläge seien immer auch Angriffe auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung Deutschlands.

Pascal Kober ist auch Militär-Seelsorger

Pascal Kober kann sich zum Beispiel mehr Hilfe vorstellen, indem man bei der Betreuung von Traumatisierten personelle Kontinuität gewährleiste oder bei der Begutachtung zur Seite stehe. Da seien Verbesserungen möglich und auch schon erreicht worden. "Aber in der Richtung wollen wir weiterarbeiten." 

Man könne aber auch nicht einfach von der Logik des Sozialstaats absehen, sagt Kober. Sprich: Ansprüche müssen beantragt und belegt werden. "Das empfinden viele gerade in einer solchen belastenden Situation als verletzend – und das muss man ernst nehmen." Als Sozialpolitiker im Bundestag sieht sich der studierte Theologe auch als die Stimme der Betroffenen, wenn es um Gesetze geht. 

Ein Wunsch zum Gedenktag: "Unbürokratische, schnelle Hilfe"

"Das ist auch ein Punkt, den ich hoffentlich im Sinne der Opfer erfolgreich in das Amt einbringen kann", sagt Kober. Als Militär-Seelsorger sei ihm der Umgang mit traumatisierten Personen vertraut. Mehrmals hat Kober Soldaten der Bundeswehr bei ihrem Einsatz in Mali begleitet. "Ich kenne die Auswirkungen, die Gewalterlebnisse auf die Psyche von Menschen haben können." 

Andreas Schwartz hat das Attentat vom Breitscheidplatz schwer traumatisiert überlebt. Als Erfolg betrachtet er, dass ihm inzwischen 60 Prozent Schwerbehinderung zugesprochen worden seien. Dass er sich dafür einen Anwalt habe nehmen müssen, "das ist traurig". Terror-Opfern müsse ohne Wenn und Aber geholfen werden. Er wünsche sich für die Zukunft "unbürokratische, schnelle Hilfe".

Seine Sorge, dass es in Deutschland jederzeit wieder ein Attentat geben könnte, ist groß. Wie sich nach dem Attentat in Berlin herausstellte, war Anis Amri den Behörden lange bekannt und als sogenannter Gefährder eingestuft. Man traute ihm also einen Anschlag zu. Auch deshalb mahnt Andreas Schwartz, Sicherheitsbehörden und Politik sollten sich genau überlegen, wie man mit Terror umgehe. "Wir dürfen keinen Terror zulassen, egal aus welcher Ecke er kommt – ob linke, rechte oder islamistische Gewalt."

Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland
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