Das einzige deutsche Auslandsmuseum erinnert an den berühmten Dichter, der in Italien einst eine Auszeit vom Alltag in Weimar suchte. Seither steht der Klassiker Goethe auch für die Italiensehnsucht der Deutschen.
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Das Goethe-Haus "Casa di Goethe" wurde 1997 in Rom eröffnet. Das kleine, sehenswerte Museum in der einstigen Wohnung des berühmten deutschen Dichters soll ein lebendiges Forum für Besucher, Künstler und Goethe-Experten sein. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf den Goethe-Reisen, deren Auswirkungen auf das Werk sowie der Rezeptionsgeschichte.
Im Palazzo Via del Corso 18, in dem sich heute das Goethe-Haus befindet, haben im Laufe der Jahrhunderte zahlreiche Gäste gewohnt - darunter auch Paul Heyse. Im Jahr 1910 wurde er als erster deutscher Schriftsteller mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Ausbruch aus dem Alltag
Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832) informierte weder seine Freunde noch den Weimarer Hof, als er sich von Karlsbad aus mitten in der Nacht auf die Reise nach Italien machte. Ziel der damals beschwerlichen Alpenüberquerung war Rom. Hier suchte er Leichtigkeit, Ausgelassenheit und Sinnlichkeit. Er reiste unter Pseudonym. Kurz und ohne Blick für die Kunstwerke machte er Station in späteren Touristenmetropolen wie Florenz.Am 29. Oktober 1786 endlich kam er in Rom, der Stadt seiner Sehnsucht, an und lebte mit dem Maler Johann Heinrich Wilhelm Tischbein in einer Künstler-Wohngemeinschaft in der römischen Altstadt. Heute ist die Wohnung an der Via del Corso ein Museum, die Casa di Goethe (deutsch: Goethehaus). Finanziert wird es vom deutschen Staatsministerium für Kultur und Medien, es ist das einzige deutsche Museum im Ausland. Am 30. Oktober feiert die Casa di Goethe ihr 20-jähriges Bestehen.
Das Zimmer des Dichters ging zu einer ruhigen Seitenstraße hinaus. In der Ecke, in der sein Bett stand, hängt heute eine Tischbein-Zeichnung, die auf Goethes Liebschaften anspielt. "Das verflixte zweite Kissen" steht wie in einem Comic mitten ins Bild geschrieben. Man sieht Goethe - in Hauslatschen - neben seinem Bett, ein Kissen in der Hand. Ob er es gerade für seine Geliebte aufs Bett legt oder herunternimmt, ist unklar. Daneben steht eine Büste der streng schauenden Göttergattin Juno - sie ist noch heute in Goethes Zimmer zu besichtigen. Vor dem Bett liegt eine Katze und starrt den Betrachter aus kohlschwarzen Augen an.
Goethe war auf seiner insgesamt zweijährigen "Italienischen Reise" auf der Flucht vor einer Lebenskrise, den Zwängen des Weimarer Hofs und der Beziehung zu Charlotte von Stein. Bei Tischbein nahm er Unterricht im Malen und Zeichnen. "In seinem Umgange beleb ich mich aufs neue, es ist eine Lust, sich mit ihm über alle Gegenstände zu unterhalten, Natur und Kunst mit ihm zu betrachten und zu genießen", schrieb Goethe aus Rom an den Weimarer Herzog Carl August. Tischbein sei ihm mit seiner guten und klugen Art "unentbehrlich."
Bei gemeinsamen Ausflügen fertigte Tischbein auch Entwürfe für sein berühmtestes Gemälde "Goethe in der Campagna", das heute im Frankfurter Städel-Museum zu sehen ist. Es zeigt den Dichter auf Ruinen halb sitzend, halb liegend inmitten einer idyllischen Landschaft. Er wolle ein Portrait in Lebensgröße anfertigen, in dem der Dichter "über das Schicksaal der Menschligen Wercke nachdencket", so schrieb Tischbein einst. Offenbar genossen der Maler und der Dichter die Ausflüge in die Umgebung von Rom in vollen Zügen.
Unter Freunden
Eine Zeichnung, die den Dichter sinnierend am Fenster seines Zimmers zeigt, hängt heute in der Casa di Goethe direkt neben demselben Fenster in der einstigen Künstlerwohnung. Die inneren Fensterläden sind geblieben, ebenso die bunt bemalte Holzdecke, die der Dichter vom Bett aus beim Aufwachen sah.
Um die Ecke von Goethes Wohnung, unweit der Spanischen Treppe, liegt noch heute das 1760 gegründete Caffè Greco. Hier traf Goethe sich mit anderen Rom-Deutschen, darunter vielen Künstlern. Der Dichter habe die "bohèmehafte Atmosphäre" genossen, das Künstlerleben in völliger Freiheit gelebt, sagt die Leiterin des Casa di Goethe, Maria Gazzetti. "Man könnte fast sagen, er war ein Aussteiger, der sich ein Sabbatjahr von den Verpflichtungen als Minister in Weimar nahm."
Reisen auf Goethes Spuren
So hatte sich Goethe von 1786 bis 1788 einen Lebenstraum erfüllt. Seine Notizen aus dieser Zeit wurden dann rund 25 Jahre später, als zweibändiger Reisebericht mit dem Titel "Italienische Reise" zum Bestseller. Bis heute pilgern Touristen auf seiner Route durch Italien.
is/ks/Bettina Gabbe (dpa)
Auf Italienreise wie Goethe
Von 1786 bis 1788 erfüllte sich Goethe einen Lebenstraum und reiste nach Italien. Seine Notizen werden als "Italienische Reise" zum Bestseller. Bis heute pilgern Touristen auf seiner Route durch Italien.
Bild: picture-alliance/D. Kalker
Brenner
Am Anfang sind die Alpen. Das gilt für jeden Nordeuropäer, der nach Italien will. Vier große Übergänge führen über das Gebirgsmassiv hinweg. Goethe wählte den Brenner-Pass. Mit der Postkutsche reiste er via München und Innsbruck seinem Sehnsuchtsland entgegen. Zwei Tage brauchte er. Von München zum Brenner sind es heute nur zweieinhalb Stunden. Ohne Stau versteht sich.
Bild: picture-alliance/blickwinkel/S. Derder
Gardasee
Gleich hinter den Alpen und schon in einer anderen Welt. Der Gardasee ist für Nordeuropäer der Inbegriff des Südens. Tiefblaues Wasser umgeben von Bergen, mildes Klima, pittoreske Städtchen, üppige Vegetation, gutes Essen. Besonders bei Deutschen ist der Gardasee beliebt. Goethe erlebte hier neben aller Faszination ein unfreiwilliges Abenteuer: Er wurde fälschlicherweise als Spion verhaftet.
Bild: picture-alliance/chromorange/W. Thoma
Malcesine
Zu Goethes Zeiten waren die Orte am Seeufer nur mit dem Boot oder über abenteuerliche Pfade zu erreichen. Auch Malcesine. Heute ist es das touristische Zentrum des Gardasees. Goethe begegnet man auf Schritt und Tritt. Ein Denkmal, viele Gedenktafeln und ein Museum erinnern an den Besuch des Dichters. Auch das Hotel San Marco schmückt sich mit einer Marmortafel. Dort hat er übernachtet.
Goethe ist Bildungsreisender. Der Besuch des Amphitheaters von Verona wird zu seiner ersten Begegnung mit einem Monument der Antike. Goethe staunte, wie gut es erhalten war. Und das ist es immer noch. Die Arena von Verona bietet 22.000 Zuschauern Platz. In den Sommermonaten finden hier die berühmten Opernfestspiele statt.
In Venedig bleibt Goethe zwei Wochen. Als Kind hatte er mit einer Gondel gespielt, die sein Vater von einer Reise mitgebracht hatte. Nun durchstreift er selbst auf Gondeln die Lagunenstadt und kann sich nicht satt sehen. Venedig gehört heute zu jenen Städten, die an der Liebe ihrer Besucher fast ersticken. In der Hochsaison kommen 130.000 Touristen auf etwa 55.000 Einwohner.
Am 1. November 1786 kommt Goethe in Rom an und schreibt: "Ich bin endlich in dieser Hauptstadt der Welt angelangt!" Er wird vier Monate bleiben, mit einem Maler zusammenziehen, viel feiern, viel schreiben, erotische Abenteuer erleben und seine Sehnsucht nach der Antike stillen. Die Faszination der "Ewigen Stadt" lockt heute viele Millionen Touristen jährlich nach Rom.
In Neapel räumt Goethe mit dem in Deutschland verbreiteten Gerücht auf, die Italiener seien Müßiggänger. Die Neapolitaner lieben ihn dafür. Er schwärmt von den Farben der Stadt, dem Essen, den Gerüchen. Heute stinkt Neapel gelegentlich zum Himmel: Die Stadt hat ein ungelöstes Müll-Problem. Und sie ächzt unter ihren mafiösen Strukturen.
Bild: picture-alliance/Photoshot
Vesuv
Die Einheimischen nennen ihn den "Bucklingen". Der Vesuv über dem Golf von Neapel ist einer der bekanntesten aktiven Vulkane der Welt. 79 n. Chr. begruben Asche und Lava des Vesuv die Stadt Pompeji unter sich. Goethe zog dieser Vulkan magisch an. Er war gleich mehrmals oben. Heute werden Touristen mit Bussen zum Krater gebracht.
Die Liste der Orte, die Goethe auf Sizilien besucht hat, ist lang. Besonders begeistert ihn die Vielfalt der Vegetation. Heute weiß man, dass auf Italiens größter Mittelmeerinsel über 3000 Pflanzenarten wachsen. Und immer wieder überwältigen Goethe die Ausblicke. Der Monte Pellegrino ist für ihn das "schönste Vorgebirge der Welt".
Bild: picture-alliance/Udo Bernhart
Taormina
Goethe gilt als einer der ersten Touristen Taorminas an der Ostküste Siziliens. Heute ist er der berühmteste Urlaubsort auf Sizilien. Goethe besuchte das antike Teatro Greco mit Blick auf den Vulkan Ätna. Wie hier Naturkulisse und Architektur verschmelzen, berührte ihn zutiefst. Heute erleben Besucher hier Konzerte und Opernabende - und geraten dabei ins Schwärmen wie einst Goethe.
Bild: picture-alliance/ZB/W. Thieme
Dolce Vita
Auf vieles war Goethe vorbereitet, auf eines nicht - das italienische Lebensgefühl. Die Lässigkeit der Italiener, ihr Optimismus, ihre Sinnlichkeit. "La dolce Vita", das süße Leben wird seine eigentliche Entdeckung. Er findet die Worte, die Italiener verehren ihn dafür. In Deutschland entfacht er mit seinem Reisebericht eine Italiensehnsucht, die bis heute anhält.