200 Jahre "Stille Nacht"
24. Dezember 2018Zum Jubiläum gibt es eine große Landesausstellung an sieben Orten im österreichischen Bundesland Salzburg sowie je einem weiteren Ort in Oberösterreich und in Tirol. Noch bis zum 3. Februar 2019 wird vielfältig an die 200-jährige Geschichte des berühmten Weihnachtsliedes erinnert, das erstmals am 24. Dezember 1818 im kleinen Ort Oberndorf bei Salzburg öffentlich zu Gehör gebracht wurde.
Dabei stehen selbstredend auch seine beiden Schöpfer im Fokus. Gedichtet wurde "Stille Nacht" 1816 vom Hilfspfarrer Joseph Mohr (1792–1848) in Mariapfarr. Als er zwei Jahre später nach Oberndorf versetzt wurde, bat er den dortigen Dorfschullehrer und Organisten Franz Xaver Gruber (1787–1863), eine Melodie für das Gedicht zu schreiben.
"Unermesslicher Stellenwert"
Für den österreichischen Kunsthistoriker Martin Hochleitner hat "Stille Nacht, heilige Nacht" einen beinahe unermesslichen Stellenwert, "weil es eines der bekanntesten Lieder ist, die Menschen, die sich dem Christentum zugehörig fühlen, auf der ganzen Welt singen". Der Text wurde bisher in rund 300 Sprachen und Dialekte übersetzt. Der Direktor des Salzburg Museums sieht darin ein Indiz dafür, "dass das Lied überall funktioniert". "Stille Nacht" sei gewissermaßen eine "übergeordnete Marke".
Keine Frage, dass die Menschen in Österreich stolz darauf sind, dass dieser frühe international erfolgreiche Hit mit der wiegenden Melodie im 6/8-Takt in ihrem Land entstanden ist. Das jedoch war geschichtlich äußerst knapp. Zwar wurde Salzburg 1805 zusammen mit Berchtesgaden dem neuen Kaisertum Österreich zugeschlagen, fünf Jahre später aber wieder dem Königreich Bayern angegliedert. Erst 1816, also in dem Jahr als Mohr den Text von "Stille Nacht" verfasste, fiel das Land Salzburg größtenteils wieder an das Kaisertum Österreich. Das jedoch schmälert den Stolz der Österreicher auf ihr Weihnachtslied nicht.
Schon 2011 hat die österreichische UNESCO-Kommission das Lied als "Stille Nacht - das Lied zur Weihnacht" in die Liste des Immateriellen Kulturerbes des Landes aufgenommen. Dabei habe auch eine Rolle gespielt, dass es "immer wieder Thema für Ausstellungen, Projekte, aber auch für politische Instrumentalisierung in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen oder während des Nationalsozialismus" gewesen sei, sagt Hochleitner.
Idee der Politik
In diesem Jahr bietet es sich also an, um das 200. Jubiläum herum eine gigantische Aktion zu bauen, die - wen wundert es - auch auf Touristen aus aller Welt abzielt. Ein Musical zum Lied, ein neues Fachbuch zum Lied, eine App zum Lied und 600 Begleitveranstaltungen. Kein Wunder, dass die Salzburger Kulturzeitung "DrehPunktKultur" im Internet von einem Jubeljahr schreibt, "das seit Monaten von einer medialen PR-Kanonade zugeknallt wird, die ihresgleichen sucht".
Die Initiative für das Mammut-Gedenken wurde bereits vor einigen Jahren von der Salzburger Landesregierung ergriffen und danach eine Stille Nacht 2018 GmbH gegründet, die auch die Wirtschaft an Bord nahm.Daneben gebe es schon seit vielen Jahren die Stille-Nacht-Gesellschaft, "die sich auf einem hohen wissenschaftlichen Niveau um dieses Lied, seine Wirkungs- und Rezeptionsgeschichte kümmert", betont Martin Hochleitner vom Salzburg Museum.
Im Rahmen des Ausstellungsprojekts werden alle Orte, die mit den beiden Persönlichkeiten Mohr und Gruber verbunden sind, zusammengefasst. Entsprechende Museen gab es dort ohnehin schon. Einige davon wurden extra herausgeputzt und sogar erweitert.
Museale Spurensuche und Analysen
Jeder Ort für sich erzählt dabei seinen Teil der Geschichte zu "Stille Nacht, heilige Nacht". Da ist zuerst Oberndorf, der Ort, in dem das Lied zum ersten Mal öffentlich gesungen wurde. Die Kirche, in der das geschah, musste 1906 abgerissen werden. Anstelle der Kirche wurde eine Stille-Nacht-Kapelle errichtet und im alten Pfarrhof ein Stille-Nacht-Museum. Das thematisiert nicht nur die Entstehung des Weihnachts-Klassikers, sondern stellt die umfassende Kulturgeschichte dieser bewegten Zeit dar. Auch die damaligen Lebensumstände der Menschen in wirtschaftlich elender Zeit werden gespiegelt.
In Salzburg, der Geburtsstadt von Komponist Franz Gruber, kuratiert Museumsdirektor Hochleitner die Sonderausstellung. Es geht um die Geschichte des Liedes, darum, wie es in der Gegenwart dasteht und um seine Botschaft. Sechs Themen orientieren sich an den Inhalten der sechs Liedstrophen. Besonders stolz ist der Kurator auf eine spezielle mediale Darstellung: "Wir haben den Autografen, also das Notenblatt, dekonstruiert. Man kriegt alle Informationen zu diesem Lied über ein unheimlich cooles mediales Display vermittelt."
Im Stille-Nacht-Museum von Hallein kann sich der Besucher in besonderer Weise auf die Spur des Komponisten Franz Xaver Gruber begeben. "Das ist eine atemberaubende, stimmige Ausstellung", schwärmt Hochleitner. Jener Ort, an dem der Komponist am längsten gelebt und gewirkt hat, zeigt die originalen Notenblätter und die Gitarre des Musikers. Das besondere Highlight sei die sogenannte "Authentische Veranlassung": ein Dokument, in dem Franz Xaver Gruber die Geschichte von "Stille Nacht" minutiös niedergeschrieben hat.
"Stille Nacht" eine universale Friedensbotschaft?
Dass sich alle neun Orte mit ihren Sonderausstellungen gewaltig ins Zeug legen, ist unbestritten - ebenso, dass die Besucher hier und dort Besonderes erwartet.
Schwer einzuordnen ist jedoch der über allen kulturellen Angeboten schwebende pathetische Slogan "200 Jahre Stille Nacht! Heilige Nacht! Österreichs Friedensbotschaft an die Welt". Diese nach purer PR riechende Definition von Friedensbotschaft durch die Veranstalter, reduziert den Begriff "Frieden" rein auf das zwischenmenschliche Miteinander, also auf eine horizontale Ebene von Mensch zu Mensch und bleibt dabei diffus. Sie unterscheidet sich in dieser Form elementar von Mohrs christlicher Intention des Begriffs "Frieden" im Lied "Stille Nacht".
Mohr spricht von der vertikalen Ebene zwischen Mensch und Gott. Seine Formulierung "Christ, der Retter ist da" meint: Weil Christus von Gott als Retter zu den Menschen geschickt wurde, können die wieder in Frieden mit Gott leben - wenn sie es denn wollen. Einen solchen Deutungs-Spagat vermag eine noch so interessante und gigantische Ausstellung kaum aufzulösen.