Das Erdgas gehört uns!
23. Januar 2008Hinter dem Berg Potosí geht die Sonne auf. Ein Alpaka steht auf einer saftig grünen Wiese, vor ihm eine Weizengarbe und ein Brotfruchtbaum. Das Wappen des Andenstaates Bolivien trägt die Symbole des Wohlstands und der Fruchtbarkeit in sich. Was eigentlich darin noch fehlt, ist die Abbildung einer Gaspipeline. Erdgas ist das teuerste Gut, dass das Land zurzeit zu bieten hat. Neue Erdgasfelder wurden unter anderem im bolivianischen Chaco nahe der Grenze zu Paraguay entdeckt, berichteten die Zeitungen des Landes diese Tage. Goldgräberstimmung in Bolivien? Mitnichten.
Trotz der reichen Vorkommen ist Bolivien kein Idyll, sondern das zweitärmste Land Lateinamerikas. Zur Armutsbekämpfung setzt die bolivianische Regierung unter Evo Morales auf die Verstaatlichung der Ressource: Erdgasförderung, Transport und Vertrieb alles in staatlicher Hand. In leidenschaftlichen Reden angekündigt, macht Präsident Morales jetzt tatsächlich ernst: Die Verstaatlichung soll 2008 abgeschlossen werden, der Staat wieder die Mehrheit der Erdgasindustrie halten. Ausländische Firmen werden zu reinen Anlagenbetreibern herabgestuft, so sieht es der Plan vor.
Unbequeme Zeiten für ausländische Investoren
Mit einigen ausländischen Investoren hat Bolivien schon Verträge geschlossen, in denen die Modalitäten der Übertragung geklärt wurden. Viele andere Unternehmen stecken noch mitten in den Verhandlungen. So auch das deutsche Unternehmen Oiltanking. Es betreibt in Bolivien zusammen mit seinem peruanischen Partner GMP insgesamt 19 Terminals zur Erdgaslagerung. Außerdem gehören dem Gemeinschaftsunternehmen etwa 1500 Kilometer Pipeline. Welche der ausländischen Unternehmen in Bolivien bleiben und welche das Land verlassen ist noch nicht klar, und das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Oiltanking kann vor Abschluss der Verhandlungen verständlicherweise keine Stellungnahme dazu abgeben. Der französische Konzern Total allerdings hat sich schon positioniert: Er will bleiben. Schon im Sommer 2007 hat er einen Steueranstieg von 34 Prozent auf 50 Prozent akzeptiert. Bis zu 82 Prozent Abgaben müssen die Unternehmen der Erdgasbranche an den bolivianischen Staat entrichten.
Verärgerung bei den Unternehmen besteht nicht nur wegen der höheren Steuerlast. Viele erwarten mit Sorge die neue Verfassung, die Morales in den kommenden Monaten dem Volk zur Abstimmung vorlegen will. Denn diese Verfassung birgt Rechtsunsicherheiten auch für die bereits ausgehandelten Verträge.
Ohne Investitionen aus dem Ausland geht es nicht
Aber so laut Morales auch die Hoheit über die Erdgasvorkommen propagiert, ohne ausländische Hilfe wird er auch 2008 nicht auskommen. Bolivien ist auf ausländische Investitionen angewiesen, weil es Lieferverträge mit Brasilien und Argentinien zu erfüllen hat. "Das Land hat nicht genug Kapazitäten und nicht die technologischen Mittel, um die erforderlichen Mengen zu erbringen", sagt Rodolfo Richter von der Außenhandelskammer (AHK) in La Paz. 100 Prozent zu verstaatlichen, sei völlig illusorisch, und das wüssten die Unternehmen, so Richter. Schon im letzten Jahr konnte Bolivien die festgelegte Menge Erdgas nicht liefern, und auch 2008 wird das nicht klappen, wie vor wenigen Tagen Evo Morales in einer Pressekonferenz zugegeben musste.
Rechtsunsicherheit in Bolivien
Der Unternehmensberater Heinz Mewes, ehemals Chefvolkswirt der Dresdner Bank in Lateinamerika, rät von Investitionen in Bolivien ab. "Die Rechtsunsicherheit ist zu groß", sagt er. Mewes sieht in der Politik Morales' ein "zweischneidiges Schwert". Einerseits kann er das Handeln des Präsidenten gut nachvollziehen. Lange Zeit sei von den Erdgasgewinnen nur sehr wenig im Land hängen geblieben, und so sei die Anlehnung an das Vorbild Venezuelas durchaus verständlich. Andererseits gibt er zu Bedenken, dass das Land langfristig zu einem positiven Investitionsklima für ausländische Unternehmen zurückkehren müsse.
Bolivien setzt indes auf die lateinamerikanische Karte und holt sich regionale Investoren ins Boot. So rechnete der bolivianische Minister für Energie und fossile Brennstoffe Carlos Villegas der Öffentlichkeit vor, man habe "einen Rekord" bei Investitionen ausländischer Unternehmen im Gas- und Erdölsektor zu verbuchen.
Investitionsspritze aus der Region
Die zwölf im Lande operierenden Firmen wie die französische Total, die spanisch- argentinische Repsol oder die halbstaatliche brasilianische Petrobras hätten für 2008 Zusagen in Höhe von 876,5 Millionen US-Dollar gemacht. Zusammen mit Geldern der 2006 wieder gegründeten Staatsfirma YPFB (Yacimientos Petroliferos Fiscales Boliviano) rechnet man für dieses Jahr mit einem Gesamtinvestitionsvolumen von 1,3 Milliarden US-Dollar.
Bolivienexperte Miguel Buitrago vom GIGA Institut für Lateinamerika-Studien in Hamburg kennt diese Zahlen. "Bisher sind das aber nur Zahlen", sagt er. Details seien noch nicht an die Öffentlichkeit gedrungen." Rodolfo Richter von der AHK in La Paz glaubt aber, dass diese angekündigte Investitionsspritze nicht ausreicht, um die Liefervertrage einzuhalten. "Bolivien braucht in diesem Jahr mindestens eine Milliarde Investitionen", so Richter.
Politik und Wirtschaft eng verwoben Entscheidende Motive für ein wirtschaftliches Engagement in Bolivien sind neben dem Profitstreben und der Versorgungssicherheit auch immer politische Natur. Brasilien zum Beispiel hatte nach der Wahl Morales zunächst die Investitionen im bolivianischen Erdgassektor stark gedrosselt. "Der brasilianische Präsident Lula will das Feld aber nicht dem Venezuela überlassen und will in Bolivien präsent sein", sagt der bolivianische Politikwissenschaftler Miguel Buitrago.
Und das ist ein Glück für den Präsidenten Evo Morales. Er segelt im Windschatten der sozialistischen Parolen seines Gran Amigos Hugo Chávez. Viele marktwirtschaftlich orientierte Staaten in Lateinamerika und in anderen Teilen der Welt buhlen gerade deshalb um die Gunst Boliviens. Sie wollen die Andenrepublik mit den großen Gasvorkommen nicht dem Einfluss Venezuelas überlassen. Eine kleine Brise Kalter Krieg kann dem Andenstaat nicht schaden.