1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

2015: Jahr der Extreme für die USA

Gero Schließ, Washington26. Dezember 2015

Trotz außenpolitischer Erfolge kann Barack Obama keineswegs zufrieden auf 2015 zurückblicken: Polizeigewalt, Terrorangst und ein aggressiver Donald Trump lassen das Land nicht zur Ruhe kommen. Gero Schließ, Washington.

US-Präsident Barack Obama im Weißen Haus - Foto: picture-alliance/landov
Bild: picture-alliance/landov

Für die Amerikaner war es ein Jahr, in dem sich die Ereignisse förmlich überschlugen. Einige davon könnten spätere Generationen als historische Durchbrüche feiern, zum Beispiel den Nuklear-Deal mit dem Iran, die Annäherung an Kuba und zuletzt die Klimavereinbarung in Paris.

Michael Werz vom Center for American Progress sieht darin für Präsident Barack Obama den krönenden Abschluss eines "gerade im außenpolitischen Bereich sehr erfolgreichen Jahres". Zu den Pluspunkten in Obamas Bilanz zählt er auch den von den USA angeführten Kampf gegen den "Islamischen Staat" und die im Zuge der Ukraine-Krise härter werdende Auseinandersetzung mit Russlands Präsident Wladimir Putin. Dies dürften nicht nur die oppositionellen Republikaner anders bewerten, sondern Umfragen zufolge auch weite Teile der Bevölkerung.

Umstrittene Syrien-Politik

Für Heather Conley vom Washingtoner Center for Strategic and International Studies zeigen gerade Obamas zögerlichen Reaktion auf massive Regelverletzungen des Völkerrechts seine außenpolitischen Schwächen: Weder die Missachtung der territorialen Integrität der Ukraine durch Russland noch der Einsatz von Chemiewaffen durch den syrischen Diktator Baschar al-Assad seien geahndet worden: "Wir haben diese wunderbaren internationalen Normen, die keiner mehr durchsetzt", beklagt Conley. "Und es wird immer unwahrscheinlicher, dass es künftig noch die USA sein werden, die diese Regeln international durchsetzen."

Außenminister Kerry und Lawrow: Wiederannäherung am Rande des OSZE-Gipfels in BelgradBild: Getty Images/AFP/J. Ernst

Dass liegt nicht nur an den begrenzten Optionen einer "Weltmacht auf dem Rückzug", wie viele die USA mittlerweile sehen. Gerade die Beispiele Syrien und "Islamischer Staat" zeigen die Komplexität heutiger Konflikte. "Die Regierung Obama kämpft mit Problemen, zu denen keiner eine wirkliche Lösung hat", gibt Constanze Stelzenmüller von der Washingtoner Brookings Institution zu bedenken. "Inzwischen herrscht eine gewisse Ratlosigkeit." Auch mit der Intensivierung der Bombeneinsätze und einer erstmalige Stationierung von bis zu 50 US-Spezialkräften in Syrien konnte Präsident Obama das Ruder nicht herumwerfen.

Weltmacht auf dem Rückzug

Für Constanze Stelzenmüller war Präsident Obamas Spielraum in Syrien aber auch begrenzt. "Ich glaube, dass die größte Herausforderung ist, das Gleichgewicht zwischen militärischer Intervention und der Diplomatie zu halten", sagt sie im Interview mit der Deutschen Welle. Die andere große Herausforderung sei gewesen zu verhindern, "dass es zu einem echten Stellvertreterkrieg zwischen Russland und den Mitgliedern der militärischen Koalition kommt, zu der jetzt ja auch Deutschland gehört".

Obamas Syrien-Strategie: Luftangriffe ja, Bodentruppen neinBild: picture-alliance/DOD/US Air Force

Bei den Wiener Friedensgesprächen ist es gelungen, neben Russland und den USA alle am Konflikt Beteiligten unter Einschluss Irans und Saudi-Arabiens an einen Tisch zu bringen. Allein das wurde schon als Erfolg gefeiert.

Jahr des Schreckens

Für viele Amerikaner war 2015 dennoch ein "Annus Horribilis": Sie mussten Bilder von der Enthauptung von US-Geiseln durch die Henker des "Islamischen Staates" mit ansehen. Hinzu kamen die Anschläge von Paris und San Bernadino und immer wieder rassistisch motivierte Polizeigewalt in den USA.

In Ferguson im Bundesstaat Missouri eskalierten im August Proteste gegen rassistische PolizeigewaltBild: Reuters/L. Jackson

Das alles wurde verstärkt durch die polternde Rhetorik des aufziehenden Präsidentschaftswahlkampfs, in dem sich die republikanischen Kandidaten mit radikal-aberwitzigen Vorschlägen überboten. Bis hin zu Donald Trumps Vorschlag, Muslime an der Einreise in die USA zu hindern. "American Angst" machte sich bereit in einer Nation, die sonst keine Furcht kennt.

"American Angst"

Der langjährige USA-Kenner Michael Werz sieht darin einen überraschenden "Mentalitätsumschwung". Das sei nicht nur eine Reaktion auf die Terrorbedrohung. Für Werz hat das auch mit sozialen Umwälzungen zu tun, die durch die demographische Entwicklung ausgelöst werden: In der Gesellschaft gewinnen die Minderheiten der Latinos oder Asiaten immer mehr an Gewicht. "Die bisherige weiße Mehrheit bangt um ihre Privilegien," analysiert Werz.

Republikaner Trump: "Einreisestopp für alle Muslime!"Bild: picture-alliance/dpa

Lawrence Haas vom American Foreign Policy Council sieht noch weitere Gründe, warum die Furcht-Rhehorik Donald Trumps auf offene Ohren stößt: "Es gibt Millionen weißer amerikanischer Arbeiter, die sich Sorgen um ihre Jobs und ihren Lebensstandard machen." Diese Arbeiter müssten ohnmächtig mit ansehen, "dass wirtschaftliches Wachstum viel zu stark der Oberklasse zugutekommt und die breite Arbeiterklasse nicht erreicht." Vor dem Hintergrund dieser Ängste habe Trump ein leichtes Spiel, meint Haas.

Trump gegen Clinton?

Für Heather Conley vollziehen sich dies- und jenseits des Atlantiks zeitversetzt dieselben Entwicklungen. Wie in einem "transatlantischen Spiegel" sei erst in Europa, und jetzt in den USA "das politische Zentrum unter großem Druck, was ein Auseinanderbrechen bewirkt." Weit rechts und links im poltischen Spektrum hätte sich die politische Rhetorik radikalisiert. In Europa steht dafür Marine le Pen - in den USA Donald Trump.

Unter potenziellen republikanischen Wählern hat Trump punkten können. Auf demokratischer Seite hat sich Hillary Clinton dagegen durch Besonnenheit und Sachkenntnis profiliert. Selbst viele Republikaner bestreiten nicht, dass die ehemalige Außenministerin im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik Kompetenzen hat. Mittlerweile hat sie ihren stärksten Mitbewerber Bernie Sanders, den Senator von Vermont, im Umfragen weit hinter sich gelassen und steht unangefochten an der Spitze ihrer Partei.

Doch die Zeiten sind unruhig, die Ereignisse überschlagen sich. Schon morgen könnte alles anders aussehen.