25 Jahre Buena Vista Social Club
16. September 2021Kubas Hauptstadt Havanna in den 1990er-Jahren: Eine Uferpromenade, an der sich die Wellen brechen, dahinter beginnt die Altstadt, die durch ihren morbiden Charme berühmt geworden ist: Häuser im Kolonialstil, die langsam zerfallen, Farbe und Putz blättern von den Hauswänden ab, auf den Straßen die alten amerikanischen Riesenkarossen und Schlaglöcher, wohin man sieht.
Mittendrin wohnt der fast 70-jährige Ibrahim Ferrer, Schuhputzer, Zeitungsverkäufer, Musiker. Er hat sich in den 1940ern und 1950ern in Kuba einen Namen als Sänger gemacht, sich aber vor ein paar Jahren zur Ruhe gesetzt. An einem Nachmittag im März 1996 putzt er gerade seine Schuhe, als Juan de Marcos González an seine Tür klopft und ihn auf der Stelle mit ins Studio mitnehmen möchte. Ferrer geht, verdreckt und voller Schuhcreme, mit.
Eine schicksalhafte Begegnung
Im historischen Egrem-Studio im Zentrum von Havanna trifft Ferrer auf alte Bekannte, die Crème de la Crème der kubanischen Musikveteranen: Da ist der 90-jährige Sänger und Klarinettist Compay Segundo, die Grammy-geschmückte Sängerin Omara Portuondo, der mit seinen 49 Jahren noch vergleichsweise jugendliche Eliades Ochoa und der berühmte Pianist Rubén González. Dieser stimmt während der Session den alten Hit "Candela" an, mit dem Ferrer bekannt geworden war. Natürlich steigt der Sänger mit ein. Im Studio ist just an diesem Tag der US-amerikanische Bluesgitarrist Ry Cooder zu Besuch, der sofort verzaubert ist.
Ry Cooder, ein musikalischer Weltenbummler
Ry Cooder, der gerade seinen 49. Geburtstag gefeiert hat, ist längst berühmt und gilt als einer der besten Slide-Gitarristen der Welt. Bei dieser Spieltechnik stülpt sich der Gitarrist eine Art Rohr aus Glas oder Metall über einen Finger und gleitet damit über die Saiten. Das erzeugt einen charakteristischen Sound.
Cooder hat damals schon mit vielen Größen gespielt. Er stand mit den Stones, Eric Clapton, Van Morrison oder Bob Dylan im Studio. Er, der vom Blues kommt, interessiert sich für Jazz und Weltmusik und streckt seine Fühler nach Indien, Afrika oder Hawaii aus, bringt Stile der Country- und Folkmusik, Gospel, Salsa oder Ragtime zusammen.
Fidel Castro: "bourgeois und faschistisch"
Cooder und der Chef des britischen Weltmusik-Labels "World Circuit", Nick Gold, interessieren sich schon länger für ein Projekt des Musikers und Bandleaders Juan de Marcos González.
Der versammelt unter dem Namen "Afro-Cuban All Stars" seit Jahren kubanische Musikveteranen, um einen längst vergessenen Musikstil wiederzubeleben: Den "Son Cubano". Vor der Revolution gab es in Kuba eine lebendige afro-kubanische Club- und Musikszene. Fidel Castros Regime bezeichnete dies als "bourgeois, faschistisch und von amerikanischen Gangstern instrumentalisiert". Die Clubs wurden geschlossen, die blühende Musikszene starb - und der "Son Cubano" wurde zur "Musik der Alten".
Der Buena Vista Social Club entsteht
Diese "Alten", von denen einige unter Castro in Ungnade gefallen waren, sitzen an diesem Nachmittag im März 1996 zusammen im Studio, als der magische Moment passiert, in dem Ibrahim Ferrer seinen alten Hit singt. Cooder bittet Ferrer, diesen Song mit ihm aufzunehmen, und nicht nur das, er möchte mit allen Musikerinnen und Musikern der Afro-Cuban All Stars zusammen eine Platte produzieren. Das Projekt soll den Namen "Buena Vista Social Club" bekommen, benannt nach einem der vielen alten Clubs, die von Castro geschlossen worden waren.
Am 26. März 1996 beginnen die "Havanna Sessions" - die Studioaufnahmen sind nach sechs Tagen im Kasten. Das Album dazu wird einen Siegeszug um die ganze Welt antreten.
Ein filmisches Denkmal von Wim Wenders
Zwei Jahre später dreht der Filmemacher Wim Wenders, der mit Ry Cooder befreundet ist, einen Film über den berühmten Seniorenclub. Der ist nach dem Erfolg des Albums schon viel getourt - und Wenders hat die Kameras aufgestellt.
Zu sehen sind beeindruckende Konzertausschnitte, mit einer vor Rührung weinenden Omara Portuondo, die ein Duett mit Compay Segundo singt; mit einem in sich hinein lächelnden Ibrahim Ferrer, einem begeisterten Ry Cooder, der den kubanischen Sound mit seiner Slide-Gitarre bereichert. Rubén González' Finger gleiten geschmeidig über die Klaviatur, Sänger und Gitarrist Eliades Ochoa mit seinem weißen Stetson sitzt auf seinem Stuhl wie ein Fels in der Brandung.
Neben den Konzertausschnitten zeigt der Oscar-prämierte Film Studiosessions, Interviews mit den Musikern und immer wieder Szenen aus Havanna. Spätestens jetzt hat der "Buena Vista Social Club" einen wahren Kuba-Boom ausgelöst, das Album schießt in vielen Ländern an die Spitzen der Charts. Ausgezeichnet mit einem Grammy und mit acht Millionen verkauften Exemplaren ist es das erfolgreichste Weltmusik-Album und hat Kubas reichhaltiges musikalisches Erbe berühmt gemacht.
Zum Jubiläum eine Sonder-Edition
Das 25. Jubiläum des Albums erleben nicht mehr alle beteiligten Musiker - schließlich waren viele von ihnen schon damals im hohen Alter. Compay Segundo ist 2003 im Alter von 95 gestorben, Ibrahim Ferrer wurde 78 Jahre alt und starb 2005, Rubén González starb 2003 mit 84 Jahren. Alle haben noch eine späte Karriere genossen, denn im Zuge der Buena-Vista-Aufnahmen gab es auch diverse Soloplatten. Funfact: Ibrahim Ferrer erhielt 2000 einen Latino-Grammy als bester Nachwuchskünstler - mit 73!
Am 17. September erscheint eine Sonder-Edition der legendären Platte. Die Produzenten Ry Cooder und Nick Gold nahmen sich nochmal die Original-Bänder vor, gruben sich durch das Archiv und stellten ein umfangreiches Paket zusammen: Das neu gemasterte Album erscheint mit zwölf zuvor unveröffentlichten Songs aus den Recording Sessions von 1996 und bisher noch nicht gezeigten Fotos. Das Ganze mit einem 64 Seiten starken Booklet mit Songtexten und Notizen.