25 Jahre Literaturhaus Berlin
20. Mai 2011Wer das Literaturhaus Berlin in diesen Tagen betritt, dem fliegen die Worte nur so um die Ohren. Ernst Jandl, der virtuose Dichter, der aus Sprache Musik und aus kleinsten Manuskripten visuelle Kunstwerke machte, schallt dem Besucher auf etlichen Kanälen entgegen: bravouröse Mischungen aus Scharf- und Blödsinn. Eine Ausstellung würdigt den legendären Performer, der riesige Säle füllte und der auch nach seinem Tod im Jahr 2000 noch eine große Fangemeinde hat. Zu sehen sind neben Manuskripten und Briefen Notizzettel, die Jandl täglich anfertigte. Sie verraten, wann er Wurst oder Toilettenpapier kaufte. Oder wie viele Socken er auf Reisen mitnahm. Ein Video zeigt ihn sogar beim Kofferpacken - eine selbstironische Inszenierung des Dichters, der virtuos in und mit der Öffentlichkeit spielte.
Vom Geheimtipp zum Nobelpreis
Im Berliner Literaturhaus war Ernst Jandl auch einmal - allerdings, um seine Lebensgefährtin, die Lyrikerin Friederike Mayröcker, bei ihrer eigenen Lesung zu begleiten. Für den populären Jandl wäre das Haus schlicht zu klein gewesen. Denn es war nie als Bühne für Erfolgsautoren konzipiert, sondern als Diskussions-Ort und Forum für literarische Entdeckungen. Manchmal aber wurden Autoren, die hier als Newcomer auftraten, später weltberühmt. Der Ungar Imre Kertesz etwa, der den "Roman eines Schicksallosen" schrieb und 2002 den Literatur-Nobelpreis erhielt.
Genauso wie sieben Jahre später Herta Müller. Ernest Wichner, Chef des Literaturhauses seit 2003 und schon seit der Gründungszeit im Berliner Team dabei, hat sich für sie schon stark gemacht, als sie nur Insidern bekannt war. "Es ist natürlich erfreulich zu sehen, dass die Autoren, die man lange schon als Freunde des Hauses gewonnen hatte, international erfolgreich sind", sagt er. Manchmal aber wird das Literaturhaus auch zum Opfer seines eigenen Erfolgs: "Ich fürchte, wir werden künftige Bücher von Herta Müller hier nicht mehr vorstellen können", meint Wichner im Hinblick auf die Größe des dann zu erwartenden Publikums.
Großstadt-Idylle mit Garten
Umso schöner, dass Herta Müller sich zum 25. Geburtstag des Literaturhauses unter die Gäste mischt. Konzentriert hört sie den Kolleginnen und Kollegen zu, die trotz frischer Temperaturen draußen im Garten aus ihren Gedichten lesen. Auch das gehört zum Literaturhaus: Ein Stück Großstadt-Idylle, in der Autoren und Gäste unter hohen Bäumen bei Vogelgezwitscher Gedichte hören können. Eine gut sortierte Buchhandlung und ein Café - seit vielen Jahren ein beliebter Berliner Treffpunkt - gehören dazu.
Doch in der Gründungsphase ging es darum, überhaupt erst einmal einen Ort für Literatur in der Öffentlichkeit zu schaffen. Mit der historischen Villa in der West-Berliner City, nur wenige Schritte vom berühmten Kurfürstendamm entfernt, hoffte man den Stellenwert der Literatur in der Öffentlichkeit zu verbessern, erzählt Wichner. "Und das ist vielleicht ja auch geschehen", fügt er bescheiden hinzu.
Honorare statt Freibier
Heute muss man sagen: Es hat funktioniert. Zum Erfolgsrezept gehörte von Anfang an ein Team, das professionell mit Literatur umging. Das war damals ungefähr so neu wie die angemessene Bezahlung für Autorenlesungen, die meist in Buchhandlungen, Cafés oder Kneipen stattfanden.
"Früher haben die Autoren das für ein paar Bier oder für ein Buchgeschenk gemacht. Wir haben gute Honorare bezahlt, Das gehörte mit zum Programm", erinnert sich Wichner. Das war Mitte der 1980er Jahre bei weitem noch nicht so selbstverständlich, wie es heute erscheint. "Dass sich das in der Gesellschaft durchgesetzt hat, und dass man weiß, Autoren müssen auch leben und bezahlt werden, ist auch ein Verdienst dieser Literaturhäuser." Möglich war das damals durch eine solide finanzielle Ausstattung - nicht zuletzt mit öffentlichen Geldern.
Netzwerk der Literatur
Schnell wurde das Berliner Haus zum Vorbild für andere Neugründungen. Literarisch organisierte Bürger ließen sich in Berlin beraten und stellten in ihren Städten ähnliche Institutionen auf die Beine - auch außerhalb der deutschen Grenzen. Inzwischen ist ein ganzes Netzwerk der Literaturhäuser entstanden, von Rostock bis Zürich, von Köln bis Graz. Sogar im dänischen Kopenhagen gibt es eine Einrichtung, die den deutschen Namen "Literaturhaus" trägt - die Bezeichnung wurde zum Markennamen.
Teilung literarisch überwinden
Das konnte man 1986 noch nicht ahnen. Welten scheinen zwischen dem Jubiläumsfest von heute und der Eröffnungsfeier zu liegen. Denn damals stand in Berlin noch die Mauer. Heute ist es selbstverständlich, dass die Ost-Berliner Dichterin Elke Erb bei der Geburtstagsfeier eine Lesung hält. Doch dass sie auch bei der Eröffnung auftreten konnte, war etwas Besonderes. "Es war immer unsere Absicht, die Teilung der Stadt nicht literarisch abzubilden, sondern eher zu überwinden", erzählt Ernest Wichner, "es war natürlich nicht so einfach, immer wieder Autoren aus Ost-Berlin hierher zu kriegen, solange die Mauer stand".
Kurz nach dem Mauerfall reagierte das Literaturhaus mit einer Ausstellung über die Zensur in der DDR-Literatur - die erste Schau zu diesem Thema überhaupt. "Damit haben wir den Intellektuellen in der ehemaligen DDR signalisiert, dass wir uns auch für diese Themen zuständig fühlen".
Inzwischen spielen Ost und West kaum noch eine Rolle. Heute, sagt Ernest Wichner, kommt ein "hedonistisches Großstadtpublikum" - eines, das Literatur genießt und sich je nach Veranstaltung verschieden zusammensetzt: "Eine Normalität in einer Großstadt mit 3,4 Millionen Einwohnern - und genau das, was ich mir immer gewünscht habe"
Glück und Gedichte
Und doch ist das Literaturhaus kein Ort wie jeder andere: Der Charme der denkmalgeschützten Gründerzeit-Villa, die Aura der Autoren, die hier ein und aus gehen, sind immer zu spüren - nicht nur, wenn im Garten Geburtstag gefeiert wird.
Manchmal, erzählt Elke Erb im Rückblick, entstehen ganz besondere Momente. So wie damals, als der rumänische Autor Gellu Naum hier las, für den sich Ernest Wichner stark machte: "Ich sitze vorne und denke, der ganze Saal hinter mir empfindet dasselbe Glück. Es gibt solche Situationen, in denen du denkst, was du jetzt empfindest, das empfinden alle." Und die Stadt Berlin kann sich glücklich schätzen, dass es gelungen ist, mit dem Literaturhaus einen urbanen Ort, ein intellektuelles Forum und ein Refugium der Poesie zugleich zu haben.
Autorin: Aya Bach
Redaktion: Gabriela Schaaf